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Lebensstil oder Überlebensstil

Das Umweltministerium lässt über die „Grenzen des Konsums“ diskutieren. Der müsse weniger und grüner werden, heißt es. Aber auch dann zeige er noch koloniale Züge

Auch Arbeit muss neu gedacht werden. Hier ein Bild von La Toma, einer argentinischen Kooperation für Recycling Foto: Xinhua/imago

Von Bernhard Pötter

Es ist der Tag, an dem die Gas-Expertenkommission vorschlägt, die Verbrennung von fossilen Ressourcen in Deutschland zu subventionieren. Und im Lichthof des Bundesumweltministeriums in Berlin sagt der grüne parlamentarische Staatssekretär Christian Kühn: „Unsere Konsummuster, die selbstverständlich geworden sind, werden so nicht mehr funktionieren.“

Die TeilnehmerInnen an der Konferenz „Die Grenzen des Konsums“ lassen sich vom Staatssekretär daran erinnern, dass diese Regierung beschlossen hat, die „konsumbedingten CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren“. Aber sie wissen auch, dass dieselbe Regierung nicht wirklich weiß, wie das gehen soll. Aber dass sehr schnell sehr viel passieren muss, darüber sind sich alle einig.

Für den Präsidenten des Umweltbundesamts, Dirk Messner, müssen sich deshalb „die Tiefenstrukturen der Gesellschaft ändern“. Vieles bewege sich seit dem berühmten Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ vor 50 Jahren in die richtige Richtung, aber alles gehe zu langsam. Es brauche eine neue Erzählung, wie das Weniger zu einem Besseren werden könne: fleischarme Ernährung, Städte mit reduziertem Autoverkehr, vor allem auch eine Frage der Gerechtigkeit: Global und in einzelnen Ländern müssten die Reichen ihren Konsum reduzieren, damit für die Armen das Nötigste übrig bleibe.

Über Lebensstil zu reden, heißt von Überlebensstilen zu sprechen. Das forderte die Co-Vorsitzende des Club of Rome, die südafrikanische Ärztin und Geschäftsfrau Mamphela Ramphele ein: Das berühmte Gutachten von 1972 habe die soziale und politische Dimension vernachlässigt, wie der nötige Wandel zustande kommen könne. Das aber bedeute für die reichen Länder: „Eine Kultur, wo man für langfristige Erfolge kurzfristig Opfer bringt“ und wo Menschen als Wesen verstanden würden, die mitfühlen und mitentscheiden könnten. „Der Konsum in der westlichen Welt muss sich drastisch ändern“, denn er unterminiere die gerechte Transformation zu Klima- und Umweltschutz, so Ramphele. Das sehe sie aber derzeit gerade nicht: Auch der Green Deal der EU mit seinem Hunger nach seltenen Rohstoffen und grünem Wasserstoff sei „der dritte koloniale Wettlauf nach Ressourcen“.

Auch Johan Rockström, Nachhaltigkeitspapst und Leiter des Potsdamer PIK, beschrieb die globale Lage in drastischen Begriffen: „Unser Konsum ist komplett verrückt geworden“, von neun planetaren Grenzen wie Klima oder Artenvielfalt würden inzwischen sechs überschritten. Um die lebenserhaltenden Systeme des Planeten zu bewahren, dürfe praktisch kein CO2 mehr emittiert und keine Naturflächen mehr zerstört werden – und auch dann sei es eine knappe Sache. Selbst wenn die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt würde, seien große Ökosysteme gefährdet: Grönland, der Amazonas, die Korallen. Der Abschied vom Wachstum, so Rockström, sei aber machbar: „Japan hat seit 15 Jahren kein Wirtschaftswachstum“ und sei trotzdem ein Sozialstaat.

Der Konsum der Reichen verschärfe die Probleme, so auch Doris Fuchs, Professorin am Zentrum Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung an der Uni Münster. Ihr Vorschlag: „Konsum-Korridore“ festzulegen, die die Erfüllung von Lebensnotwendigem garantieren, aber den Maximalkonsum untersagen. Die Gesellschaft „muss allen helfen, das Minimum an notwendigem Konsum zu erreichen, aber nicht, alle Wünsche zu befriedigen“. Danach müssten Gesetze folgen, denn „bisher richten sich alle Gesetze auf Wachstum und Konsum. Sie zeigen also in die falsche Richtung.“ Aber da hatte der Staatssekretär die Veranstaltung schon verlassen.

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