piwik no script img

Ein hartes Geschäft, jetzt erst recht: Backstube der Bäckerei Bajwa Foto: Anna Tiessen

Backgewerbe in KrisenzeitenKleinere Brötchen backen

Hoffnungsvoll übernimmt Fahad Bajwa eine Berliner Bäckerei. Doch mit Energiekrise und Inflation fragt er sich, ob sich das alles noch lohnt.

Gina La Mela
Von Gina La Mela aus Berlin

S chalter klicken, Lichter gehen an, die Kaffeemaschine fährt hoch. Der Kühlschrank mit den Softdrinks beginnt gleichmäßig zu surren. Über Nacht bleibt er abgeschaltet – das spart Strom. Morgens um sechs Uhr ist die Theke noch leer, der Verkaufsraum aber bereits vom Duft frischer Backwaren erfüllt. Auf den grauen Fliesen am Boden finden sich Reste von schwarz-gelbem Klebeband, das einst darauf hinwies, wo die Kun­d:in­nen stehen müssen, um genügend Abstand während der Pandemie zu halten. Es ist ein Überbleibsel jener Krise, die für die Traditionsbäckerei Bajwa gerade das geringere Problem darstellt.

Um den U-Bahnhof in Berlin-Pankow herum bewegen sich um diese Uhrzeit fast nur Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Der Sommer scheint endgültig vorüber zu sein. Es ist wieder dunkel und kalt in der Stadt. In der Kissingenstraße, gegenüber vom Bahnhof, strahlt grelles Neonlicht durch die Scheibe einer angelehnten Glastür. Dahinter: geschäftiges Treiben in der Backstube. Seit halb drei bereitet Zakaullah Bajwa mit zwei Mitarbeitern Teige vor, die in einem Gasofen zu Broten, Brötchen, Kuchen und Plundergebäck werden.

Der Gasofen, das Sorgenkind des Bäckerhandwerks. Seine energieintensiven Geschwister heißen Kühlschrank und Gefriertruhe. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks backen etwa 70 Prozent der deutschen Bäckereien mit Gas. Kamen bis jetzt noch keine oder nur geringe Preiserhöhungen von den Anbietern, rechnen die Bä­cke­r:in­nen spätestens ab dem nächsten Jahr mit saftigen Nachzahlungen. Wie viele jetzt schon schließen mussten, weil sie ihre hohen Rechnungen nicht mehr begleichen können, ist ungewiss. Es bleibt allerdings kein Zweifel: Die horrenden Kosten für Gas, Strom und Rohstoffe wie Mehl und Molkereiprodukte infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine setzen der Branche zu.

Wir kommen aus Pakistan, da sind hohe Inflationsraten üblich. Aber hier – das konnte ich zuerst gar nicht glauben

Fahad Bajwa, neuer Besitzer der traditionellen Bäckerei in Pankow

„Ich hätte niemals gedacht, dass solche Preisentwicklungen in Deutschland möglich sind“, sagt Fahad Bajwa. Der 26-Jährige ist erst seit Januar 2022 der neue Inhaber der Traditionsbäckerei in Pankow. Die meisten Be­woh­ne­r:in­nen des Ostbezirks kennen die Bäckerei noch unter dem Namen Wilhelm.

Fahads Vater Zakaullah Bajwa backt, der Sohn verkauft und organisiert. Das Bäckerhandwerk hat er anders als sein Vater nicht gelernt. „Wir kommen aus Pakistan, da sind hohe Inflationsraten üblich. Aber hier – das konnte ich zuerst gar nicht glauben“, sagt er. Sein Vorgänger zahlte für 100 Kilogramm Mehl noch 32 Euro. Die Inflation bekam Bajwa schrittweise zu spüren: Erst 44,80 Euro für dieselbe Menge, dann 55 Euro, jetzt 61 Euro.

Vater Zakaullah Bajwa steht an einem metallenen Tisch, vor ihm ein Blechkuchen, auf seinen Lederschuhen liegt eine dünne Schicht Mehl. „Als ich den Gasofen das erste Mal gesehen habe, habe ich einen Schock bekommen, weil er so alt ist“, sagt er und lacht.

Vor etwa 35 Jahren begann er seine Ausbildung zum Konditor im Wiener Conditorei Caffeehaus in Berlin. Er legt ein breites Lineal auf den Kuchen und schneidet gleich große Stücke zurecht. Zum ersten Mal lebt und arbeitet der 62-Jährige in einem östlichen Bezirk der Stadt. „Es ist anders, aber ich finde es sehr schön“, sagt er und taucht die viereckigen Kuchenstücke in eine Schüssel mit weißem Zuckerguss. Das Backen ist seine Leidenschaft. Das frühe Aufstehen? Macht ihm nichts. „Man gewöhnt sich daran“, sagt er.

Fahad Bajwa an der Verkaufstheke seiner Bäckerei in Berlin-Pankow Foto: Anna Tiessen

Neben dem Gasofen steht noch ein elektrischer Ofen in der Backstube. „Am Anfang haben wir noch manche Blechkuchen im Stromofen gebacken, jetzt backen wir alles im Gasofen“, erklärt Zakaullah Bajwa. „Spart Strom.“ Im Hintergrund brummen die Kühlanlagen. Das Inventar kauften die Bajwas den Vorgängern ab, einige Geräte sind schon in die Jahre gekommen und entsprechend energieintensiv. Für neuere, effizientere Geräte fehlt das Geld. Ein moderner Gasofen kann zwischen 50.000 und 100.000 Euro kosten.

Vom BWL-Stdium zur Traditionsbäckerei

30.000 Kilowattstunden Strom verbrauchte die Bäckerei im letzten Jahr, das verursachte Kosten in Höhe von 8.500 Euro. Für das Gas zahlte der Vorgänger eine Pauschale von 250 Euro pro Monat, Fahad Bajwa kalkulierte mit 300 Euro im Monat. Zu wenig, wie er nach der ersten Anpassung feststellte: 410 Euro musste er seinem Gasanbieter bis jetzt monatlich zahlen, seit Oktober sind es bereits 550. Vor der Endabrechnung graut es ihm. „Ich plane mit einer Rücklage von 10.000 Euro“, sagt er. „Aber das Geld muss erst mal hereinkommen.“

Wie kommt ein junger Mann darauf, eine Traditionsbäckerei zu übernehmen? „Mein Vater ist Konditormeister, er lernte bei den besten Konditoreien in Berlin“, sagt Bajwa. „Mit der Coronapandemie verlor er seinen Job, aber wollte noch nicht in Rente gehen. Als 62-Jähriger findest du allerdings nicht so schnell etwas Neues.“ Bajwa entschied, einen eigenen Betrieb zu führen und seinem Vater einen festen Arbeitsplatz als Bäcker und Konditor zu ermöglichen.

Die ganze Familie packt mit an. Der Vater ackert in der Backstube, die Mutter schmiert und belegt Brötchen, der jüngere Bruder löst den älteren manchmal im Verkauf ab

Optisch passt Fahad Bajwa eher in ein Start-up: weiße Sneaker, karierte Stoffhose, Hemd unterm Pullover und eine Brille mit dunklem Gestell. In so einem Jungunternehmen hatte er nach seinem BWL-Studium auch tatsächlich gearbeitet, bevor er sich im Januar 2022 mit der Bäckerei selbstständig machte. Das Start-up-Vokabular sitzt noch: Er benutzt Wörter wie „Breakeven“ und „Opportunity Costs“, wenn er vom Geschäft spricht. Bevor er den Laden übernahm, rechnete er durch: Wie hoch waren die Strom- und Gaskosten für seinen Vorgänger? Wie teuer war der Einkauf? Bajwa hat alles beachtet, was er beachten konnte. Doch den Krieg und die darauffolgende Krise ­– die konnte er nicht in seine Kalkulation mit aufnehmen.

„Ich habe mir das natürlich anders vorgestellt“, sagt er. An diesem Dienstagvormittag steht er allein hinter der Theke. Für Angestellte reicht das Budget im Moment nicht. Die ganze Familie Bajwa packt mit an. Der Vater ackert in der Backstube, die Mutter schmiert und belegt Brötchen, der jüngere Bruder löst den älteren manchmal im Verkauf ab. „Gerade am Anfang war es wirklich anstrengend. Da war ich von vier Uhr morgens bis sieben Uhr abends in der Bäckerei“, erzählt Bajwa.

Um sieben Uhr öffnet der Laden, bereits zwei Minuten vorher stehen die ersten Kun­d:in­nen vor der Tür. In der Auslage liegen mittlerweile Pfannkuchen, die anderswo Berliner heißen, neben Croissants, dazu Kuchen. Dahinter stehen die Körbe gefüllt mit Brötchen, die hier alle nur Schrippen nennen.

Generationenübergreifend: Vater Bajwa, Sohn Bajwa und Ex-Besitzer Wilhelm, der immer noch arbeitet Foto: Anna Tiessen

Die frischen Brotlaibe liegen auf metallenen Regalen an der Wand. Schräg darüber sind Spiegel angebracht, so wie es in alten Supermärkten noch zu finden ist. Durch die Spiegelung soll das Angebot üppiger erscheinen, hier in der Bäckerei Bajwa wirken sie wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

An diesem Morgen hat Fahad Bajwas Bruder Umar dabei geholfen, die frischen Kuchen und süßen Stückchen auf den Metallblechen in die Auslage zu schieben. Danach macht sich der 23-Jährige auf zu seinem regulären Bürojob. „Ohne die Familie könnte ich das Geschäft gerade nicht stemmen“, sagt Bajwa.

Die Bäckerei in Pankow war schon immer ein Familienbetrieb. 1968 gründeten Renate und Werner Wilhelm den Betrieb im Norden von Ostberlin, später übernahmen ihre beiden Söhne. Der eine vorne im Verkauf, der andere hinten in der Backstube. Jörg Wilhelm, der Bäckermeister, unterstützt die Bajwas heute weiter als Angestellter. „Ich habe insgesamt 47 Jahre gearbeitet, irgendwann reicht es“, sagt Wilhelm. Er steht neben großen Rührmaschinen und 25-Kilo-Säcken Mehl. „Rein körperlich geht es einfach nicht mehr.“ Zwar konnte Wilhelm von dem Geschäft mit der Bäckerei leben, leistete dafür aber jahrelang schwere Arbeit. Gemeinsam mit Zakaullah Bajwa backt er das, was die Stammkundschaft kennt, ist aber auch offen für Neues. „Ich kann mich unterordnen, damit habe ich kein Problem“, sagt der Bäcker. Außerdem: „Man lernt nie aus.“

Familienbetriebe sind die Regel

Die enge Verbindung von Familie und Geschäft ist üblich im Bäckerhandwerk. „Wenn ein Betrieb schließen muss, den es seit vier oder fünf Generationen gibt, dann hängt da ein Lebenswerk dran“, sagt Susan Hasse vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Seit etwa 50 Jahren gebe es einen Strukturwandel in der Branche. Die Anzahl der Meisterbetriebe nimmt ab. 2014 zählte der Zentralverband noch 12.611, im letzten Jahr nur noch 9.956. Pro Jahr schließen mehr Betriebe, als es Neueröffnungen gebe.

Dieses Jahr könnte die Schere noch weiter auseinandergehen. „Gerade ist nun wirklich keine Zeit, die einen jungen Bäckermeister dazu ermutigt, etwas Eigenes zu eröffnen“, sagt Hasse.

Aus der Bäckerei Wilhelm wurde also Anfang dieses Jahres die Bäckerei Bajwa. „Die Leute waren skeptisch am Anfang“, erinnert sich Inhaber Fahad Bajwa. Jetzt stehe da eben ein dunkelhaariger Mann mit Bart hinter der Theke anstatt des altbekannten Personals. Kun­d:in­nen seien gekommen und behaupteten auf einmal, es schmecke nicht mehr so wie früher. „Ich habe wirklich ein paar Mal Herrn Wilhelm aus der Backstube geholt, um zu beweisen: Es ist immer noch derselbe, der backt“, sagt er.

Auch heute kommt ein Kunde herein, stellt sich an die Theke und fragt: „Hier war doch früher die Bäckerei Wilhelm?“ Bajwa antwortet freundlich, nie scheint er genervt zu sein. Er erklärt, dass es einen Wechsel gab. Guter Service ist ihm wichtig, die Kun­d:in­nen sollen sich wohlfühlen. Eine Frau bestellt „drei Schrippen“, er wiederholt die Bestellung, verpackt sie in einer Papiertüte, kassiert ab und verabschiedet mit „Ciaociao!“.

So geht es eine ganze Weile. Immer und immer wieder betreten neue Kun­d:in­nen den Laden. Die meisten verstauen ihren Einkauf und gehen. Einige wenige setzen sich an einen der viereckigen Tische, die im Nebenraum stehen, um in Ruhe einen Kaffee zu trinken und ein Stückchen Kuchen zu essen.

Die Preise müssen hoch

„Wir hatten Glück, dass der Laden eine treue Stammkundschaft hat. Wären wir jetzt noch in der Kundenaufbauphase, dann wäre die Situation noch viel schwieriger“, sagt Bajwa. Mit der Übernahme erhoffte der 26-Jährige, einen lukrativen Betrieb weiterführen zu können. Gute Lage, lange Tradition, was kann schon schiefgehen? Für die Wilhelms rentierte sich der Betrieb, trotz sehr günstiger Preise. Ein Stück Kuchen kostete früher nur 1,35 Euro. „Ich habe die Arbeit gesehen und dann die Preise. Und ich habe mich damit nicht wohlgefühlt“, sagt Bajwa. Für Selbstgebackenes dürfe man ruhig mehr verlangen. Er kenne eine Handwerksbäckerei in Berlin-Kreuzberg, die nehme für ein normales Mischbrot fast doppelt so viel.

Pankow ist nicht Kreuzberg, das weiß auch Fahad Bajwa. Dennoch sollte sich mit leichten Preisanpassungen und einer schrittweisen Erweiterung des Angebots das Geschäft lohnen. „Natürlich ist das Geld auch eine Motivation“, sagt der junge Unternehmer. „Ich will gute Backwaren verkaufen, die lecker schmecken, aber ich will natürlich auch Geld verdienen.“

Fahad Bajwa brachte Ideen mit. Er schaffte eine Siebträgermaschine an, bezog bessere Kaffeebohnen direkt aus einer Rösterei und stellte einen Kühlschrank mit Kaltgetränken in den Verkaufsraum. „Jetzt kommen auch Leute nur für den Kaffee vorbei“, sagt er. Vor dem Laden stehen Tische und Sonnenschirme. Für die regnerischen Tage kaufte Bajwa eine Zeltüberdachung, so dass die Kun­d:in­nen trotzdem noch an der frischen Luft sitzen können. In der Auslage liegen jetzt neben den Klassikern wie Käse- und Streuselkuchen auch Bananenbrot und Carrot Cake. Seine Mutter hatte die Idee, herzhafte Blätterteigtaschen mit Gemüsefüllung und typisch pakistanischen Gewürzen anzubieten.

Brötchen, die hier alle nur Schrippen nennen Foto: Anna Tiessen

Eigentlich wäre da noch viel mehr, was Fahad Bajwa an der über 50 Jahre alten Bäckerei aufpeppen wollen würde. „Die aktuelle Entwicklung bremst uns, mehr Geld zu investieren, auch wenn wir gerne wollen“, sagt er. Die leichten Preisanpassungen im März führten nämlich nicht zu mehr Geld in der Kasse, sondern waren notwendig, um weiterhin die Rechnungen bezahlen zu können. „Wir standen hier und mussten vor den Kunden unsere Preissteigerung argumentieren“, sagt er.

Die Zahl der Kunden sinkt

Die Kaufrückhaltung der Kun­d:in­nen und die gestiegenen Rohstoffpreise sind täglich in der Bäckerei zu spüren. Fahad Bajwa holt einen Zettel hinter sich hervor. Darauf stehen die gelieferten Mengen für Mehl, Saat und Körner. „Fehlmenge“ steht neben einigen Produkten. Bestellt: zwei. Geliefert: null.

„Wir hoffen natürlich, dass es irgendeinen Zuschuss vom Bund geben wird.“ Nachdem die umstrittene Gasumlage gekippt wurde, soll jetzt die Gaspreisbremse kommen. Damit würde ein „Basisverbrauch“ an Gas staatlich subventioniert. Für Betriebe wie die Bäckerei Bajwa, die Zehntausende von Kilowattstunden im Jahr verbrauchen, könnte das eine Erleichterung sein. „Ein guter Schritt“, findet Bajwa. Ihm geht es vor allem darum, besser planen zu können.

„Klar hat man solche Gedanken wie: Ich lasse es jetzt und suche mir einen Job in einer anderen Branche“, sagt Fahad Bajwa. Er fragt sich, ob er das überhaupt mit sich vereinbaren kann, dass sein Vater so wenige Jahre vor der Rente noch eine 60-Stunden-Woche schieben muss. Aufgeben will er aber noch nicht. „Wir sind jetzt hier und geben unser Bestes“, sagt Fahad Bajwa.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Wenn er seinen Betrieb auf vegan umstellt, könnte er einen echten Beitrag leisten. Alles andere lohnt sich in der Tat nicht.

    • @PolitDiscussion:

      Was würde sich da lohnen, wenn >90% der Kunden keinen veganen Kuchen mögen? Brot ist ja schon immer vegan.