: „Es braucht immer noch eigene Orte“
Tobias Frindt hat in seinem Film „Freie Räume“ das Phänomen der Jugendzentren untersucht
Tobias Frindt
Jahrgang 1983, war von 2001 bis 2019 im Mannheimer Jugendzentrum „Friedrich Dürr“ aktiv. Sein Film „Freie Räume“ erschien 2019.
Interview Esther Geißlinger
taz am wochenende: Herr Frindt, Sie haben in Ihrem Film „Freie Räume“ den Kampf der Jugendlichen um autonom organisierte Treffpunkte dokumentiert. Die Bewegung scheint vor 50 Jahren bundesweit überall gleichzeitig aufgepoppt zu sein. Gab es einen Auslöser?
Tobias Frindt: Diese Frage hat mich auch beschäftigt, aber es gibt keine eindeutige Antwort. Vielleicht lässt sich sagen, dass die Zeit nach den Revolten und Studienprotesten der 1960er Jahre einfach reif war.
Es gab ja kein Internet, keine Smartphones – wie erfuhren die Gruppen voneinander?
Es gab Multiplikatoren, etwa Werner Schretzmeier in Schorndorf, der den dortigen Treff mitbegründete und eine Jugendsendung im Fernsehen betreute. Dort wurden Adressen von Initiativen eingeblendet. Und es gab einen Text, eine Art Grundsatzprogramm, von holländischen Aktivsten, der von einer Gruppe in Wuppertal übersetzt und weitergetragen wurde. In Schwäbisch Hall gründeten Studenten bereits 1969 einen Club, der sich zu einem Jugendzentrum weiterentwickelte. Da gab es also verschiedene Stränge.
Wer waren die Aktivist*innen, und wie offen waren sie für andere Gruppen, etwa türkische oder Schwarze Jugendliche?
Zur ersten Generation gehörten Studierende, Lehrlinge, Schüler*innen, es war anfangs eine sehr breite Jugendbewegung, die sich aus fast allen gesellschaftlichen Milieus speiste. Die größte Gruppe der Aktivisten waren männliche Gymnasiasten, aber wer das Jugendzentrum geprägt hat, war von Ort zu Ort unterschiedlich. Ausschlusskriterien waren weniger Hautfarbe oder Herkunft, sondern Habitus und welche Musik man hörte. Nicht zu vergessen: Anfang der 1970er war Deutschland noch nicht so stark von Einwanderung geprägt.
In vielen Orten begann die Bewegung mit großem Elan, bis zur Gründung. Doch im Alltag nahm der Zulauf ab, viele Zentren scheiterten. Warum hielten andere bis heute durch?
Generelle Aussagen sind schwierig. Einige Häuser wurden von Stadt oder Politik zugemacht. In anderen Orten wie in Mannheim sorgten Bestrebungen aus der Politik, das Zentrum zu schließen, für Gegenwind und eine neue Belebung. Andere brannten langsam aus, weil Aktive weggingen und keine neue Generation nachrückte. Einige entwickelten sich zu Kulturzentren, die heute aber nicht mehr selbstverwaltet geführt werden.
Gibt es regionale Unterschiede?
CDU-geführte Länder wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein waren Epizentren. Meine These ist, dass es dort kaum Angebote für Jugendliche und damit ein Riesenpotenzial für Protest gab. Allerdings war auch das „rote“ Hessen eine der Hochburgen der Bewegung.
Wie sah es im Osten aus, wo bis zur Wende die FDJ Jugendclubs und Discos betrieb?
Die Jugendlichen in der DDR hatten ja mitbekommen, was im Westen lief, vor allem über die Musik. Der Drang nach eigenen Räumen ohne staatliche und elterliche Kontrolle führte in Ostdeutschland nach der Wende zur Gründung vieler selbstverwalteter Orte. Durch den Umbruch war es auch recht einfach, geeignete Örtlichkeiten zu finden. Aber im Gegensatz zu den 70er Jahren verstand man sich nicht als gemeinsame Bewegung, entsprechend unterschiedlich waren die Zentren in ihrer Ausrichtung.
Die westdeutschen Zentren hatten einen politischen Anspruch – wurde der eingelöst, oder kommen die meisten Leute nur zum Feiern?
Ja, das haben wir Aktive uns auch immer gefragt, wenn wir uns für eine Party viele Stunden den Arsch aufgerissen haben und andere Leute nur rumgemault haben. Aber ich denke, diese Diskrepanz gibt es in der ganzen Gesellschaft so: Einige wenige engagieren sich, weit mehr konsumieren. Dass muss man so hinnehmen, und ich war immer froh, wenn viele Leute zu einer Veranstaltung kamen.
Viele Zentren erhalten heute Fördermittel und beschäftigen Hauptamtliche. Ist das die Autonomie, die die Gründer*innen gemeint haben?
Die Strukturen sind sehr unterschiedlich. Einige Zentren brauchen und wollen gar keine staatliche Unterstützung. Andere wiederum sind fest in die offene Jugendarbeit der Kommune eingebunden. Letzten Endes kommt es aber auf die basisdemokratische Struktur an. Können die Jugendlichen selbst entscheiden, was im Zentrum passiert, ist es eigentlich egal, ob es einen Trägerverein und hauptamtliche Sozialpädagog*innen gibt.
Sind die früheren autonomen Zentren heute braver als früher?
Die Aussage, dass die heutige Generation braver sei, gibt’s bei mir im Film. Ich habe es in meiner Zeit nicht so gesehen. Aber einige Leute, die heute im Stadtrat sitzen, waren früher selbst im Jugendzentrum aktiv. Das nimmt natürlich Konfliktpotenzial, wenn es aus der älteren Generation mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Jugendlichen gibt. Auf der anderen Seite sehe ich, dass Jugendliche in vielen Kommunen ganz forsch Orte für sich fordern. Auch wenn heute vieles virtuell passiert, hat Corona gezeigt, dass es reale Begegnungen, Livekonzerte und damit auch eigene Orte braucht.
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