Kritik an der Baupolitik des Senats: Hauptsache Wohnungen?
Ein Bündnis von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden fordert den Senat auf, Wohnungen nicht weiter auf Kosten von Grünflächen zu bauen.
„Man hat uns regelrecht ausgetrickst“, sagt Nick Meißner von der „Bürgerinitiative auf dem lichten Berg“. Er vertritt AnwohnerInnen, die von einem Neubauprojekt der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge an der Lichtenberger Atzpodienstraße regelrecht überrumpelt wurden: „Mitte Februar bekamen wir per Informationsbrief mitgeteilt, dass ein Neubau mit 50 Wohnungen geplant sei. Sechs Tage später wurden 16 Bäume gefällt, die teils 40 Jahre alt waren.“
Auf eilig gestellte Anfragen habe die Howoge nicht geantwortet, so Meißner, außerdem habe das Bezirksamt die Genehmigung zur Fällung der Bäume erteilt, obwohl die Baugenehmigung noch gar nicht vorgelegen habe. Die AnwohnerInnen hätten ohne jegliche Möglichkeit zur Beteiligung „eine kleine Oase der Ruhe und auch der Natur“ verloren.
Im Fall von Axel Matthies, Mitglied der Bürgerinitiative „Grüne Höfe Hellersdorf Süd“, ist es theoretisch noch nicht zu spät – viel Hoffnung haben er und seine MitstreiterInnen aber nicht: Zwei große baumbestandene Innenflächen der Plattenbau-Blöcke an der Bodo-Uhse-Straße und der Lily-Braun-Straße will die ebenfalls landeseigene Gesellschaft Stadt und Land mit je 150 Wohnungen bebauen. „Die Bäume sollen im Herbst oder Winter geschreddert werden“, sagt Matthies. Die Menschen seien „irritiert und verzweifelt“, ihre „grünen Erholungsinseln und sozialen Lebensräume werden zerstört“ und eine „erdrückende Enge erzeugt“.
Diese und weitere Fallbeispiele hat am Mittwoch das „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“ (BBNS) vorgestellt, in dem sich rund 30 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben. Unterstützt werden sie in ihrem Kampf gegen die Rodung und Bebauung grüner Höfe durch die Umweltverbände BUND und Nabu sowie die Gruppe Architects for Future. An die Öffentlichkeit gehen die Bündnismitglieder jetzt, weil am 1. Oktober das saisonale geltende Baumfällverbot endet. Sie befürchten, dass dann für die allgegenwärtigen Wohungsbauvorhaben die Kettensägen heißlaufen werden.
Die eigene Stimme vermisst
Gerade haben sie einen offenen Brief an Bausenator Andreas Geisel (SPD) geschrieben, den sie dringend zu einem Bau-Moratorium der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften aufrufen. Anstatt vorhandene und dringend benötigte Grünflächen in Wohnanlagen zu überbauen, müssten “alle anderen Möglichkeiten der Schaffung von günstigem Wohnraum“ ausgeschöpft und Neubaupläne auf deren Klimatauglichkeit geprüft werden. Eine weitere Forderung an Geisel ist die nach „echter Partizipation“ der BürgerInnen. „Wir sind auch Teil des kommunalen Eigentümers“, heißt es im Brief, „wo bleibt unsere Stimme?“
Ein Kernproblem aus Sicht des BBNS: Große Teile des Berliner Ostens gelten seit der Wiedervereinigung als „unbeplanter Innenbereich“, auf den der §34 Baugesetzbuch, der sogenannte „Lückenschlussparagraf“ angewandt werden kann. Dabei bedarf es keines „qualifizierten Bebauungsplans“, vielmehr können die Gesellschaften relativ freihändig entscheiden, ob und wie sie vorhandene Freiflächen, oft innerhalb von Großsiedlungen, verdichten. Eine Ungerechtigkeit, die das Bündnis möglichst rasch beendet sehen will. Es brauche Bebauungspläne, die unter Beteiligung der AnwohnerInnen entwickelt würden und bereits versiegelte Flächen in Anspruch nähmen oder aber vorhandene Gebäude aufstockten.
Die Antwort des Sprechers der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Martin Pallgen, auf eine taz-Anfrage zur Problematik liest sich inhaltlich gar nicht so anders: Auch er spricht von der Notwendigkeit, „höher und dichter“, dabei aber „ökologisch verantwortungsbewusst“ zu bauen. Gleichzeitig, so Pallgen, sei „eine Unternutzung von Baugrundstücken schon aus ökologischen Gründen ausgeschlossen“, denn sie führe „an anderen Stellen zu mehr Flächenverbrauch“. Das kann man auch als Zielkonflikt mit dem Bedürfnis der BewohnerInnen nach Freiflächen verstehen.
„Es braucht neue Regeln“
Den Aspekt des urbanen Klimaschutzes brachte am Mittwoch BUND-Baumexperte Christian Hönig ein: Berlin ruhe sich auf seinem Ruf aus, die grüne Metropole Europas zu sein, so Hönig. Dieses Pfund sei aber „schnell verspielt“. Wer schnell viele neue Wohnungen bauen wolle – das wohl wichtigste Mantra des Giffey-Senats -, der müsse gleichzeitig für ausreichend Freiflächen, Entsiegelung und den Schutz vernetzter Lebensräume von Tieren und Pflanzen sorgen. „Berlin liegt da weit zurück, es braucht ein neues Konzept und neue Regeln“, sagte Hönig: eine reformierte Baumschutzverordnung etwa, die Fällungen nicht quasi automatisch legitimiert, sobald es um ein Bauvorhaben geht.
Aber wäre es im Sinne des Klimas nicht eigentlich angesagt, über die Grenzen des (Bevölkerungs-)Wachstums zu reden, anstatt zu versuchen, das „Bauen, Bauen, Bauen“ nachhaltiger zu gestalten? Hönig ist da skeptisch: „Es wollen eben viele Menschen nach Berlin ziehen, und es werden Baumaßnahmen notwendig sein.“ Das Land Berlin könne den Zuzug auch nicht wirklich regulieren, weshalb es darauf ankomme, eine „doppelte Innenentwicklung“ voranzutreiben: „Verdichten, wo es sinnvoll ist, und gleichzeitig das Stadtgrün aufwerten.“
Freya Beheschti von der Kreuzberger Mietergemeinschaft „Tabor9 – Rettet die Gärten“ sieht das etwas anders: „Man sollte den Senat durchaus dazu verpflichten, die Diskussion über den weiteren Zuwachs zu führen“ meint sie. „Die Zielzahlen beim Wohnungsbau werden ja noch nicht einmal diskutiert.“
Beheschtis Initiative ist eine der wenigen im Bündnis, die es geschafft hat, ein Verdichtungs-Projekt zu stoppen – wohlgemerkt im Westen der Stadt und bei einem privaten Eigentümer. Nachdem durch öffentlichen Druck sogar die BVV Friedrichshain-Kreuzberg eine Resolution zum Erhalt des langjährigen Mietergartens in der Taborstraße verabschiedete, verzichtete die der katholischen Kirche gehörende Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft (SWG) auf den Lückenschluss im Hinterhof – nicht ohne in einer Pressemitteilung das „durch Individualinteressen bestimmte Klima“ zu beklagen.
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