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Falsche Angaben zum Waldbrand im HarzHickhack um tote Bäume

Die Feuer haben weniger Schaden verursacht, als bisher kommuniziert. Hintergrund der verschiedenen Angaben ist ein Streit über das forstliche Konzept.

Totholz am Brocken Mitte September 2022: Brandbeschleuniger oder Brandschutz? Foto: Matthias Bein/dpa

Göttingen taz | Von den beiden großen Waldbränden im Harz im Sommer waren offenbar nur sehr viele kleinere Gebiete betroffen als offiziell dargestellt. Die Nationalparkverwaltung revidierte nun die Angaben, die der Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt zuvor gemacht hatte.

Anfang September brannte es am Brocken entlang der Trasse der Schmalspureisenbahn eine Woche lang. Der Landkreis Harz und die ihm unterstellte Einsatzleitung der Feuerwehr hatten berichtet, dass eine rund 160 Hektar große Fläche betroffen sei. Am vorvergangenen Freitag meldete sich die Nationalparkverwaltung: Eine Erkundung des Gebietes mit einer Drohne habe ein geschädigtes Areal von „maximal zwölf Hektar“ ergeben.

Bereits nach dem am 11. August nahe Schierke ausgebrochenen ersten Großbrand hatte die Nationalparkverwaltung die offiziellen Angaben aus Sachsen-Anhalt deutlich nach unten korrigiert. War amtlicherseits zunächst von bis zu 37 Hektar betroffener Fläche die Rede, kam die Parkverwaltung nach Messungen aus der Luft später auf 3,6 Hektar, also gerade einmal auf ein Zehntel der Fläche.

Während eines Einsatzes sei durch die Rettungskräfte verständlicherweise nur eine Schätzung möglich, sagte Nationalparkleiter Roland Pietsch laut der Mitteilung vom Freitag. Umso wichtiger sei es, „transparent, offen und faktenbasiert über die abschließend betroffene Fläche zu informieren“. Der Satz impliziert den Vorwurf an den Landkreis Harz und Landrat Thomas Balcerowski (CDU), dass genau das nicht geschehen sei.

Totholz beschattet, hält den Wind ab und so die Feuchtigkeit im Boden

Roland Pietsch, Nationalpark Harz

Eine zwanzig Minuten vorher versandte, weitaus schärfer formulierte Pressemitteilung hatte der Nationalpark zurückgerufen – auf Druck der Politik, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung mutmaßte. Darin hatte Pietsch mit Blick auf die zu hohen offiziellen Zahlen sogar von einer Irreführung der Öffentlichkeit gesprochen. Eine wiederholte, über den Faktor zehn hinausgehende Fehleinschätzung, lasse offene Fragen zurück.

Hintergrund der weit auseinanderklaffenden Angaben ist wohl ein Streit über die forstlichen Konzepte im Harz. Der Nationalpark ist einer der größten Waldnationalparks in Deutschland. Er wurde 2006 durch den per Staatsvertrag besiegelten Zusammenschluss von zwei bestehender Nationalparks in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gegründet.

Getreu dem weltweiten Nationalpark-Motto „Natur Natur sein lassen“ darf die Natur sich in großen Teilen frei entfalten. Das bedeutet: In den Kernzonen des Schutzgebietes lassen die Ranger umgefallene Bäume und abgebrochene Äste liegen, nur Wege und Straßen werden freigeräumt. Aus dem sogenannten Totholz soll sich langfristig eine Art Urwald entwickeln. Gegenwärtig bietet es zahlreichen Tieren Nahrung und Unterschlupf.

Je nach Holzart und Stand des Verfallsprozesses seien etwa 600 Pilzarten und 1.350 Käferarten an der vollständigen Mineralisierung eines Stammes beteiligt, sagt die Nationalparkverwaltung. Wer genau hinschaue, könne selbst im scheinbar toten Holz überall Leben entdecken. Eine wirtschaftliche Nutzung in den Kernzonen des Parks ist ausgeschlossen.

Dem Landkreis Harz und der Landesregierung in Magdeburg ist dieses – vom niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD) gestützte – Konzept ein Dorn im Auge. Sie sehen das Totholz als „Brandbeschleuniger“. Sachsen-Anhalts Forstminister Sven Schulze (CDU) bezeichnete das liegengelassene Holz gar als eine „Riesengefahr“ und äußerte Zweifel am bestehenden Modell eines gemeinsamen Nationalparks mit Niedersachsen. Wenn man keine gemeinsamen Lösungen finde, müsse man den Nationalpark Harz grundsätzlich in Frage stellen.

Nationalparkverwaltung und Umweltverbände widersprechen dieser Bewertung scharf. „Totholz beschattet, hält den Wind ab und so die Feuchtigkeit im Boden, es schützt gegen Spätfröste und Wildverbiss“, sagt Roland Pietsch. „Am Ende beschleunigt und sichert es den Wandel hin zu einem klimastabilen Mischwald.“ Und Holger Buschmann, Landeschef des Naturschutzbundes Nabu in Niedersachsen, ergänzt: „Totholz ist kein Brandbeschleuniger, sondern ein wichtiger Bestandteil im Ökosystem Wald. Es bewahrt den Waldboden und die Krautschicht vor schnellem Austrocknen und wirkt so als natürlicher Schutz vor Waldbränden.“

Olaf Lies hält derweil nichts von der von Schulze angestoßenen Debatte um den Staatsvertrag über den Nationalpark Harz. „Das ist nichts, was man per Federstrich eines Ministers einfach streichen kann.“

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4 Kommentare

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  • Die Kurzsichtigkeit einiger Politiker ist erschreckend.



    Bei der letzten CDU FDP geführten Regierung in NRW wurde in den Forsten des Landes auch "fleißig" eingeschlagen. Bei Einschlägen binnen eines Jahres, in der Höhe eines 10 jährigen Einschlags, wurden auch naturnahe Gütesiegel bis an den Rand ausgereizt.



    Ziel Profitmaximierung, Nachhaltigkeit Fehlanzeige.



    Nach einem Wechsel der Regierung zu rot grün hat sich die Lage glücklicherweise wieder gebessert.



    Allerdings sind 20 Jahre für einen Wald ja nichts.



    Wer von klimaresistenten Wäldern spricht, redet über Dinge, deren Entwicklung beobachtet werden kann, ein Ergebnis ist durch die anpflanzende Generation jedoch kaum erlebbar.



    Leider setzt sich dieser baumfeindliche Trend in unserem Landkreis ebenfalls durch.



    Interessanterweise gibt es hier ebenfalls seit 20 Jahren eine schwarz grüne Koalition.



    Ob in den Privatwäldern, wo das ganze Jahr über lustig die Kettensäge arbeitet, bis zur Agrarlandschaft:



    alles fällt, ohne Rücksicht auf Verluste.



    Nach den Überflutungssituationen fällt es nochmal deutlich ins Auge, dass an den Bachläufen Büsche und Bäume verschwinden, ganz so, als mache man die Natur für die Katastrophe verantwortlich.



    In der Folge konnte man deutlich beobachten, dass die entlaubten Bachabschnitte trocken fielen, die naturnahen der Hitze trotzten.



    Leider ist der Negativtrend ungebrochen.



    Grün ist insbesondere auf kommunaler Ebene für mich kein Garant für Umweltschutz.



    "Greenwashing CDU " erscheint als Zielsetzng in den lokalen Medien.



    Bezüglich der neuen schwarz grünen Landesregierung habe ich daher größte Befürchtungen für die Natur in NRW.



    Wer mit einer Partei koaliert, die nach der Flutkatastrophe an der Ahr verlauten läßt, " wegen einem Tag kann man die Politik nicht ändern", der sieht das Parteiziel offenbar nicht mehr in der Umsetzung naturnaher "grüner"Themen, sondern in der Verteilung der Pöstchen.



    Wer meint, rot grün sei von gestern und schwarz grün das kommende Ding, sollte die Konsequenzen sehen.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Wenn es immer wieder an der Bahnstrecke mit ihren niedlichen, nostalgischen Dampflokomotiven brennt sollte man vielleicht besser mal über andere Antriebskonzepte nachdenken - anstelle der Totholz-Debatte.

  • Irgendwie kommt es mir so vor, als hätte ich diesen Artikel schon vor mindestens einer Woche irgendwo in der taz gelesen.

  • Hauptsache das Framing "Totholz" hats in die sozialen Medien geschafft. Jetzt wird gesäubert und gefällt, und 50 Jahre später "Fehler eingestanden". Die Einnahmen freilich sind dann schon ausgegeben.