: „Der erste Blockbuster des Arthouse-Kinos“
Ein Jahrzehnte alter, nicht komplett zu entschlüsselnder Science-Fiction-Film, aber bis heute einflussreich: Wie Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ in den Künsten Widerhall fand, darüber hat der Hamburger Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler seine Doktorarbeit geschrieben
Von Wilfried Hippen
taz: Herr Peiler, wissen Sie noch, wann und wie „2001: Odyssee im Weltraum“ in Ihr Leben getreten ist?
Nils Daniel Peiler: Ich habe „2001“ zum ersten Mal als Elfjähriger im Fernsehen gesehen und erinnere mich, dass ich danach zehn Minuten lang im Fernsehsessel sitzen geblieben bin. Trotzdem ist der Funke sofort übergesprungen. Das war ein Moment der Initiation für mich.
Stanley Kubricks Film zählt neben „Casablanca“ und „Citizen Kane“ wohl zu denen, über die am meisten nachgedacht, geforscht und geschrieben wurde. Darüber, dass er bis heute immer wieder in anderen Kunstwerken zitiert wird, haben Sie selbst nun annähernd 1.200 Seiten verfasst.
Es ist schon so, als würde ein Germanist noch einmal etwas über Goethes „Faust“ schreiben. Aber darum habe ich mir ja auch diese spezielle Nische gesucht.
„Infinity and Beyond“ ist Ihre filmwissenschaftliche Dissertation. Das Schöne daran ist aber, dass man die beiden Bände auch als Fundgrube nutzen kann, um Hunderte oft völlig überraschende Bezüge zwischen „2001“ und anderen Kunstwerken zu entdecken. Wie erklären Sie sich, dass ein Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1968 eine derart fruchtbare Inspirationsquelle wurde?
Ein Grund für die unglaublich breite Rezeption liegt darin, dass „2001“ der erste Blockbuster des Arthouse-Kinos ist. Er wurde ganz klassisch mit aufwendigen Produktionsmitteln von einem Hollywoodstudio gemacht, hat aber tiefe philosophische Inhalte, und Kubrick hat in ihm mit experimentellen Ästhetiken gearbeitet. So lädt der Film dazu ein, auf vielen verschiedenen Ebenen anzudocken.
Trägt zur Faszination nicht auch bei, dass vieles rätselhaft bleibt?
Ja, gerade die Leerstellen machen ihn interessant. Er erschließt sich beim ersten Sehen dem Zuschauer nicht vollständig – jeder kann sich so seine eigenen Antworten suchen.
Sie stellen Arbeiten aus Kino, Literatur und Comics, der Popmusik, den bildenden Künsten, der Werbung vor. Aber auch in der Architektur und sogar dem deutschen Schlager gibt es Einflüsse. Wie haben Sie die alle gefunden?
Ich schrieb ja schon 2013 meine Magisterarbeit über das Thema, hatte aber das Gefühl, dass da noch mehr zu holen sei. Und dann habe ich noch sechs weitere Jahre daran gearbeitet. Ich bin viel herumgereist und habe Sammlungen, Ausstellungen und Archive besucht. Ich war in Kontakt mit vielen Künstlern und Künstlerinnen und habe Kubricks Witwe, Christiane Kubrick, und seinen Schwager Jan Harlan besuchen dürfen.
Das klingt nicht nur nach akademischer Arbeit, sondern beinahe wie eine Schatzsuche. Welches waren Ihre intensivsten Erfahrungen?
Ich war auf dem Landsitz der Familie Kubrick, stand an seinem Grab und hatte in der Londoner University Of The Arts, bei der sein Nachlass eingelagert ist, das Originaldrehbuch von „2001“ in den Händen.
Sie haben auch Entdeckungen gemacht, die man gar nicht suchen kann, sondern nur finden. Im Vorspann eines deutschen Edgar-Wallace-Films etwa: ein Kino im nächtlichen London, in dem gerade „2001“ auf dem Programm steht. So etwas bemerkt doch nur ein besessener Sammler.
Ich habe ja schon sehr früh angefangen, solche Beispiel zusammenzutragen. Und dann ist es so, wie wenn man den Führerschein macht, und plötzlich sieht man überall Fahrschulautos.
Mir ist auch aufgefallen, dass Sie, anders als viele andere Filmwissenschaftler, kein Snob sind. Sie zitieren gleich mehrfach, und zwar ernst gemeint, den Komiker Otto Waalkes. Oder beschreiben mit Sinn für die Pointe einen TV-Sketch, in dem Loriots Möpse den Mond erobern. Die Grenzen zwischen E und U scheint es für Sie nicht zu geben.
Wenn ich meinem Buch ein Zitat von Otto voranstelle, ist das natürlich eine bewusste Geste. Ich habe schon in meinem Studium gelernt, die alten Grabenkämpfe zwischen High and Low zu überwinden. Für mich ist alles gleich wertvoll.
Mit einer Ausnahme vielleicht: Das einzige Kunstwerk, dass Sie bewerten, und zwar negativ, ist der Fortsetzungsfilm „2010 – Das Jahr in dem wir Kontakt aufnehmen“ von Peter Hyams aus dem Jahr 1984. Warum mögen sie den nicht?
Nun, Hyams macht ästhetisch genau das Gegenteil von dem, was „2001“ so interessant macht: Er erzählt alles aus, er findet einfache, manchmal platte Antworten auf die großen mythischen Fragen, die Kubrick gestellt hat. Aus heutiger Sicht ist „2010“ auch viel schlechter gealtert. Und das ist schon ein Kuriosum, weil er später entstand, aber Kubricks Werk von 1968 noch viel frischer wirkt.
Sie beschäftigen sich auch mit den verschiedenen Verschwörungstheorien um Kubrick und „2001“. Und da zitieren Sie, natürlich streng wissenschaftlich, einen im Internet kursierenden Witz: Doch, Kubrick habe die Mondlandung inszeniert, aber das sei extrem teuer geworden – weil der Regisseur darauf bestanden habe, an den Originalschauplätzen zu drehen. Da merkt man, welchen Spaß es Ihnen macht, solche Funde zu präsentieren.
Nils Daniel Peiler
geboren 1988 in Saarbrücken, Filmwissenschaftler, ist Kurator im Metropolis-Kino in Hamburg.
Ich wollte nicht nur für ein akademische Fachpublikum, sondern für eine breitere Leserschaft schreiben. Und bei den Nacherzählungen war es dann wichtig, ein Gefühl für das Material zu vermitteln. Zu meiner Arbeit gehört es auch, filmwissenschaftliche Einführungen zu geben. Dabei kommt es darauf an, das Publikum nicht zu langweilen.
Ich finde es ja auch komisch, dass Sie sogar einen Absatz über den Doppelpunkt im Filmtitel geschrieben haben. Und Sie haben die Werbespots der Warsteiner-Brauerei mit der so sehr mit „2002“ verbundenen Musik, Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“, erschöpfend genau analysiert.
Diese Bierwerbung hat mich durch meine Jugend begleitet. Ich habe extra Kontakt zum Firmenarchiv von Warsteiner Kontakt aufgenommen, weil ich herausfinden wollte, wer auf die Idee gekommen ist und die Musik zuerst eingesetzt hat. Aber das war bei denen nicht dokumentiert.
Nun ist es ja ein prächtiges zweiteiliges Buch geworden: ein Band Text, ein zweiter Abbildungen. Auch das ist ja mehr Aufwand, als sonst bei Doktorarbeiten üblich.
Mir ist es wichtig, dass es eine klassische Printpublikation geworden ist – das gedruckte Buch liegt mir sehr am Herzen.
Haben Sie nun erst einmal genug von „2001“?
Ein Kollege konnte den Film nach seiner Doktorarbeit dazu nicht mehr sehen. Aber der Punkt ist bei mir zum Glück nicht erreicht worden. Ich habe „2001“ über 50-mal von Anfang bis Ende gesehen und in Ausschnitten noch viel öfter. Aber ich finde es zum Beispiel immer noch interessant, dass er bei den Buchpräsentationen, die ich mache, von jedem Publikum anders wahrgenommen wird. Ich kann ihn immer noch mit Genuss anschauen.
Nils Daniel Peiler: „To Infinity and Beyond. Die künstlerische Rezeption von Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum“. Verlag Königshausen & Neumann 2022, zwei Bände, 796/344 S., 98 Euro
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