Eskalierter Polizeieinsatz in Berlin: Mit gezückter Schusswaffe
Die Polizei wollte in Kreuzberg einem wohl verwirrten Mann einen Krankenwagen rufen, dann eskalierte es. Am Ende zog ein Beamter gar seine Pistole.
Das Bild vermittelt tatsächlich einen martialischen Eindruck und wurde auf Twitter tausendfach geteilt. Der Betroffene der Maßnahme, ein Schwarzer Mann, ist gepixelt und liegt auf dem Bürgersteig der Falckensteinstraße. Auf ihm knien zwei Polizist*innen, einer hat einen Taser in der Hand. Dahinter steht ein Polizist, der seine Dienstpistole gezückt hat und vor der Brust hält, die Mündung Richtung Bürgersteig.
Zeuge des Polizeieinsatzes wurde David Kiefer, der bei „Wrangelkiez United“ aktiv ist und auch das Foto gemacht hat. Er stellt die Situation so dar: Der Schwarze Mann sei von der Polizei kontrolliert worden, verweigerte dabei das Anlegen von Handschellen „aufgrund einer schweren Handverletzung“. Daraufhin sei er mit Gewalt zu Boden gebracht worden – „Hände auf dem Rücken, ein Knie im Nacken, ein Knie auf den Beinen“. Weil der Mann vor Schmerzen geschrien habe, hätten mehrere Passant*innen, darunter auch Kiefer, den Polizeieinsatz deutlich kritisiert.
Daraufhin hätten die Polizisten die Nerven verloren: Einer habe seine Pistole gezogen, ein weiterer den Taser. Deeskaliert hätten die Situation daraufhin nicht die Einsatzkräfte, sondern Passant*innen und Nachbar*innen. Der fixierte Mann habe weiter geschrien und schließlich das Bewusstsein verloren, während die Beamten auf ihm knieten.
Gewalt und Rassismus verknüpft
Nachdem der Mann ohnmächtig war, hätten ihn die Polizisten in stabile Seitenlage gebracht und ein eintreffender Rettungswagen hätte ihn in die Klinik gefahren. Insgesamt habe die Situation 10 bis 15 Minuten gedauert. Kiefer, der Kontakt zum Betroffenen habe, berichtet, dass es dem Mann den „Umständen entsprechend“ gehe. Besonders verwundert war er darüber, dass die Polizei gesagt habe, den Mann ursprünglich einem Arzt vorstellen zu wollen. „Zum Arzt musste er nach dem Einsatz, aber ohnmächtig“, sagt Kiefer bitter.
Insbesondere vor dem Hintergrund der kürzlich bei Polizeieinsätzen getöteten Menschen in Frankfurt, Köln, Recklinghausen und Dortmund kritisierte „Wrangelkiez United“ den Einsatz scharf: „Es darf nicht sein, dass Polizeieinsätze vor allem für People of Colour und Schwarze Menschen immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen führen!“ Überforderte Polizisten dürften solche Banalitäten nicht eskalieren und „zu einer tödlichen Bedrohung für Betroffene, Umstehende und Anwohner*innen werden!“ Der Vorfall zeige, wie polizeiliches Handeln mit Gewalt und Rassismus verknüpft sei sowie die leichtfertige Bereitschaft, potenziell tödliche Waffen einzusetzen – „obwohl zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr bestand“.
Die Polizei erklärt das Zücken der Waffen auf taz-Anfrage damit, dass die sich „ansammelnden Passanten und Schaulustigen zusehends emotional aufgeladen“ gewesen seien, diverse Personen hätten „den gebührenden Sicherheitsabstand“ unterschritten. Die Zahl der aggressiven Personen hätte stetig zugenommen, zudem sei vom Fixierten eine Gefahr für Einsatzkräfte und umstehende Personen ausgegangen, weil man ihm wegen der Verletzung keine Handfessel anlegen konnte. Zudem behauptete die Polizei, dass von Umstehenden „mindestens ein Fahrrad geworfen wurde, ohne dass hierdurch eine Dienstkraft getroffen wurde.“
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Kiefer hat das anders in Erinnerung: „Die Umstehenden haben die Polizisten darauf hingewiesen, dass der schreiende Mann Schmerzen hat und gerufen, dass diese mal locker machen sollten.“ Er sei kein Schaulustiger gewesen, sondern Zeuge. Und mit einem Fahrrad habe definitiv niemand geworfen, vielmehr sei ein Mann auf der Straße angehalten und mit einem Fahrrad umgekippt, daraufhin aber weiter gefahren. „Ich frage mich, wofür es notwendig ist, so massiv auf den Mann einzuwirken – mit Knien auf Rücken und Beinen, bis er ohnmächtig wird?“, fragt Kiefer.
Warum der Einsatz eskalierte, kann die Polizei nicht plausibel erklären: Es habe sich „zunächst um eine gefahrenabwehrende Maßnahme“ gehandelt. Worin die Gefahr bestand, bleibt allerdings unklar: Einsatzkräfte hätten um 17:50 Uhr „einen hilflosen Mann auf der Falckensteinstraße“ bemerkt, der nackt auf der Fahrbahn gelaufen sei. Der Mann habe ziellos und verwirrt gewirkt, sich kurz aber kurz darauf wieder angezogen.
Bei der Ansprache sei klar geworden, dass er unter Drogen gestanden und eine Verletzung am Handgelenk aufgewiesen habe, woraufhin die Polizisten einen Rettungswagen angefordert hätten, um den Mann „einem Arzt vorzustellen“. Schließlich sei der Mann zu Boden gebracht worden, nachdem er versucht hätte „mit Kopfstößen zu agieren“ und eine „Eigenverletzung oder eine Verletzung der Dienstkräfte drohte“, so die Polizei.
Nachdem der Mann in der liegenden Position bewusstseinsgetrübt und reaktionslos gewirkt habe, seien alle Zwangsmaßnahmen eingestellt worden und seine Vitalfunktionen bis zum Eintreffen des Rettungswagens überwacht worden. Am Ende heißt es: „Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet.“
Das Gebiet um den Görlitzer Park gilt als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort (KBO), wo die Polizei Personen auch anlasslos kontrollieren darf. Das leistet Racial Profiling Vorschub, wie nicht nur Aktivist*innen kritisieren. n der vergangenen Legislatur hat der ehemalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) mit der Polizeireform zudem eine Brennpunkteinheit (BPE) der Berliner Polizei auf die Beine gestellt, die an den kriminalitätsbelasteten Orten eingesetzt wird.
In dieser BPE sind rund 125 Beamt*innen, Teile der Anwohnerschaft kritisieren die permanent präsente Polizei, andere sind über deren Präsenz dankbar. Laut Anfrage der taz waren die Beamten beim kritisierten Einsatz auch Teil der BPE. Allerdings habe es in diesem Fall keine anlasslose Kontrolle gegeben.
Neben Vorwürfen über Racial Profiling gab es konkret gegen zwei Beamte der BPE am Görlitzer Park auch auch Ermittlungen wegen weiterer Rechtsverstöße. Ihnen wurde zeitweise Volksverhetzung, rassistische Beleidigungen sowie sexuelle Belästigung gegen Polizeiangehörige vorgeworfen. Zumindest einer der Polizist*innen sei daraufhin „umgesetzt“ worden, hieß es Ende vergangenen Jahres auf Nachfrage.
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