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Kampf ums 9-Euro-Ticket„Schub in die Debatte“

Ein breites Bündnis in Hamburg fordert mit einer Petition an die Verlängerung des 9-Euro Tickets. Sabine Hartmann und Jens Deye erklären warum.

Billig und begehrt: öffentlicher Nahverkehr in Zeiten des Neun-Euro-Tickets Foto: Christian Charisius/dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Frau Hartmann, Herr Deye, wie groß ist die Chance, dass das 9-Euro-Ticket bleibt?

Sabine Hartmann: Der Kanzler hat sich ja erstaunlich weit aus dem Fenster gelehnt, indem er gesagt hat, dass das eine der besten Ideen ist, die es je gab. Ich glaube, es macht einfach kein gutes Bild, wenn die Politik zurückrudert und sagt: Es ist nicht ­finanzierbar. Das stimmt ja nicht.

Bislang ist laut Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das höchste der Gefühle ein deutlich teureres Monats- oder Jahresticket.

Und das wäre von Nachteil. Ich habe viele Leute getroffen, die gesagt haben: Mensch, zum ersten Mal kann ich mir noch mal eine Fahrt in den Garten leisten. Beim 9-Euro-Ticket geht das super, bei 69 Euro wären sie wieder draußen.

Ein Dämpfer in der Diskussion war, dass viele der Fahrten mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zusätzlich stattfinden, nicht alternativ zum Autoverkehr.

Sie erreichen uns gerade auf dem Land. Hier kann ich nur mit dem Fahrrad zum nächsten Bahnhof fahren, um dann wieder in den ÖPNV zu steigen. Meine Nachbarn sagen: Es wäre so toll, wenn wir nicht mit dem Auto in die Stadt fahren müssten. Wenn jetzt hier regelmäßig ein Bus fahren würde, der dann auch die Mobilität auf dem Land sicherstellt, würde das Ganze noch mal einen ganz anderen Drive kriegen.

Dieser Ausbau im ländlichen Raum ist gerade eines des Gegenargumente zur Verlängerung des 9-Euro-Tickets: Dafür bliebe dann kein Geld mehr.

Das halte ich für Fake News. Das Bundesumweltamt hat wunderbare Statistiken, wie viel Subventionen es für fossil betriebene Mobilität gibt. Da kommen wir auf eine Summe von 60 Milliarden. Der Verkehrssektor muss sich umstrukturieren, der erreicht seine CO2-Einsparziele nicht. Der ÖPNV ist ein wesentlicher Schlüssel dazu.

Das sind sehr alte Forderungen, siehe etwa die Dienstwagensubventionen. Was macht Sie optimistisch, dass die jetzt umgesetzt werden?

Das hängt natürlich von der Gesellschaft ab, wie sehr sich die Bür­ge­r:in­nen selber informieren. Ich finde es nicht zielführend, die Diskussion alleine auf das Dienstwagenprivileg zu verengen. Man muss den ganzen Sektor betrachten. Man könnte meinetwegen auch übers Ehegattensplitting reden, das sind, glaube ich, 20 Milliarden.

Privat
Im Interview: Sabine Hartmann

Sabine Hartmann

57, ist Sprecherin der Hamburger Initiative „HVV Umsonst“.

Würden Sie sich da von Anjes Tjarks, dem grünen Hamburger Senator für die Mobilitätswende, noch lautere Worte wünschen?

Ja, ich würde mir von Anjes Tjarks wünschen, dass er sich im Bundesrat, bei der Bundespolitik stark macht. Bisher haben er und auch der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) immer gesagt: Wir können billiger werden, wenn wir alles ausgebaut haben. Gerade bei den steigenden Preisen, die wir im Moment erleben, ist es doch toll, wenn man einen Haushaltsposten hat, nämlich meine persönliche Mobilität, der bei neun Euro liegt.

Sie beißen sich seit Jahren die Zähne aus an der Forderung nach einem kostenlosen HVV. Ist das für Sie die Stunde, wo sich endlich etwas bewegt?

Das hat noch mal richtig Schub in die Debatte gebracht.

Jens Deye: Laut HVV ist die Pkw-Nutzung um zwölf Prozent zurückgegangen.

Hartmann: In der Vergangenheit war es ja auch schon so, dass die HVV-Preise über den Inflationsraten lagen. Irgendwann war der Bogen so überspannt, dass der HVV mit seinen Fahrgastzahlen nicht mehr gewachsen ist. Das ist natürlich nicht das, was wir wollen – wir wollen, dass die Pendler umsteigen.

Privat
Im Interview: Jens Deye

Jens Deye

42, ist Vorstand im Verkehrsclub Deutschland (VCD) Nord.

Ich fand es auffällig, wie breit das Bündnis für die Demo morgen in Hamburg ist – von der ­alevitischen Gemeinde bis zum Fanladen St. Pauli. Ist das eine neue Enwicklung?

Deye: Es zeigt, wie breit der gesellschaftliche Wille ist, dass das Ticket weitergeführt wird, und wie wichtig auch der soziale Aspekt bei dem Thema ist. Ganz viele soziale Gruppen sagen jetzt: Das ist ein wichtiger Teil der Teilnahme an der Mobilität, die ganz vielen verwehrt wurde. Etwa der Familie, die jetzt einfach mal am Wochenende an die Ostsee fahren kann.

In Berlin gibt es eine Initiative, die einen Fonds für Schwarzfahrer aufgelegt hat, um das 9-Euro-Ticket bereits jetzt fortzuführen. Ist das für Hamburg zu radikal?

Für so einen Fonds muss man organisatorisch gut aufgestellt sein. Falls man in der Politik doch wieder zu seinem Weiter-so übergeht, müssen wir da in Zukunft vielleicht über eine breite Bündnisebene herangehen. Es braucht eine ganze Menge Spender:innen, um das zu bestücken. Wünschenswert ist das mit Sicherheit.

Wie geht es nach der Demo weiter?

Hartmann: Wir hoffen ja, dass die Politik noch den Drive findet. Und zwar nicht erst, wenn im November von Herrn Wissing irgendwelche Zahlen evaluiert worden sind. Wir haben auf unserer Petitionsseite auch noch eine Eingabemöglichkeit, wo man die Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft auffordern kann, sich für das 9-Euro-Ticket einzusetzen.

Demonstration „9-Euro-Ticket forever“, 16 Uhr Hamburg, Jungfernstieg

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3 Kommentare

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  • Ohne Ausbau der Infrastruktur ist eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets o.ä. nicht machbar!

    Totale Überfüllung der viel zu engen Bahnsteige im Hamburger Hauptbahnhof zeigen die Missstände auf. Kein anderer Bahnhof ist dermaßen überfüllt, wie dieser Bahnhof!







    Zugverspätungen, marode Bahnschwellen, überfüllte Regionalzüge und jetzt auch noch die angekündigten Vorfahrten der Gas- und Kohlezüge!



    9-Euro-Ticket? Nein danke!

  • Wer sich kein klimaschädliches tonnenschweres Automobil leisten oder die überteuerten Bahn- und Bustickets zahlen kann, der muss halt zu Hause bleiben oder er/sie muss das Fahrrad nehmen, um mal einen Tagesausflug zu machen. "Lindner möchte die »Gratismentalität« im ÖPNV nicht finanzieren." [Quelle: SPIEGEL]

    Wie es aussieht, ist weder Klimaschutz noch soziale Gerechtigkeit in diesem Land möglich. Die FDP hatte ja schon in den Sondierungsgesprächen erreicht, dass SPD und Grüne auf ein Tempolimit auf Autobahnen verzichten. Und dass das klimafreundlichste Verkehrsmittel die Bahn ist (vom Fahrrad mal abgesehen), das wissen viele Politiker anscheinend nicht, oder sie möchten es nicht wissen.

    Man kann ja jetzt schon sagen, dass das 9-Euro-Ticket ein Erfolg ist/war. Und die teils überfüllten Züge zeigen lediglich, dass der Bedarf und das Interesse an günstigen Öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens so groß ist wie die Probleme bei der Bahn, die von Managern geleitet werden, die zwar ein Jahresgehalt von 2 Millionen Euro beziehen, aber es nicht schaffen, die Bahnen pünktlich ankommen und abfahren zu lassen. Vielleicht sollte man mal 'Bahn-Experten' aus Japan holen, denn die Züge in Japan fahren pünktlich ab, und das obwohl in Japan mehr Menschen in den Zügen sitzen als bei uns. Nun ja, demnächst werden die Züge wieder fast leer sein, weil eine Fahrt für den Normalbürger unerschwinglich ist. Mal eine Frage: Weshalb haben Züge eigentlich so viele Sitzplätze? Ach ja, damit die Züge voll sind. Zum "Glück" fahren die Züge demnächst ja wieder halbleer von einer Stadt zur nächsten. Merkt in diesem Land eigentlich niemand wie idiotisch das alles ist? Dass die Verkehrswende nicht von heute auf morgen geht, das ist klar, aber man muss doch schließlich mal einen Anfang machen - und der wurde mit dem 9-Euro-Ticket doch gemacht. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wäre mit dem 9-Euro-Ticket ein erster Schritt in die richtige Richtung.

  • Tja- Den Ölkonzernen 50% MWSt zuschanzen, damit diese 38 Mio am TAG Übergewinn machen können (www.zdf.de/comedy/...uli-2022-100.html) aber bei 14 Mrd für den 9 Euro ÖPNV kneifen.... (Hilfe: es würde genau 1 Jahr dauern, um das Jahr ÖPNV mit Übergewinnen gegenzufinanzieren) Natürlich stiegen die Kosten auch im ÖPNV. Tja Herr Lindner- dann muss man halt 1 Mrd draufpacken..... Und die Diskussion zu framen daß kaputte Schienen mit dem Ticketpreis "Betzahlt" werden müssten ist Beschiss. Die Schienenwege AG ist vollkommen unabhängig vom Zugbetrieb und wird staatl. finanziert ohne Gegenfinanzierung. Wir erinnern uns an die Aufsplittung .... #Lindnermussweg