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confettiparadeAlt- und Neuabseits

Bernd Müllender findet die neue Auslegung der Regel gut

Ein großes Jammern und Wehklagen hat das Land erfasst. Ein Schelten und Schimpfen, schlimmer, als wäre Rot-Grün wiedergewählt oder ein menschenrechtswidriges Tempolimit 180 auf Autobahnen eingeführt: Die neue Abseitsregel. Genau genommen: die neue Auslegung der alten Regel.

Die gemeinen Linienrichter wedeln nicht mehr mit ihren Fähnchen, bis der abseitige Regelverletzer aktiv ins Spiel eingreift. Das hat natürlich putzige Folgen: Hechelnde Sprints von emsigen Spielern über 50 Meter, das Traumtor, das entscheidende, vor Augen, auf den Tribünen bibbernde Massen, die schon zum Jubelsprung abheben – und mit der Ballberührung kommt die Fahne hervorgeschnellt: Sorry, Bürschchen, vor geschätzt dreikommafünf Minuten, also vor Äonen, warst du in dieses Abseits gelaufen. Selbst schuld, haha. Wärst du nicht weitergelaufen, tja … Aber so …

Und die Fans kapieren nix. Sind empört. Schimpfen selbstgerecht und vergangenheitsbefangen über die ahnungslose Funktionärs-Guerilla mit dem Blattern-Sepp („Das passive Abseits hat es nie gegeben“), fordern die UN zur Ächtung auf und mindestens ein hübsches Kontingent KFOR-Truppen zur Wiederherstellung des alten Rechtssystems. Bis zu deren Eintreffen weinen die Freunde des Fußballs Tränen der Wut. Willkürherrschaft! Ignoranten! Schlafmützen!

So geht das natürlich nicht weiter. Männer, jenes über jeden Fachkunde-Zweifel in Abseitsfragen erhabene Geschlecht, sehen sich mit Beginn des Confed-Cups quasi zu Frauen degradiert. Die ja nie wussten, wie abseits geht. Das ist jetzt nicht abmaßend gemeint oder diskriminierend, sondern aufbauend: Wer Altabseits nie verstand, braucht sich um Neuabseits nicht zu kümmern. Frau zu sein, ist eine Gnade. Wahrscheinlich hat der weise Fußballbuddha Franz Beckenbauer gerade deshalb pünktlich zur Einführung des Regelwechsels erklärt: Er als bekennender Freund fernöstlicher Weisheiten möchte nicht als Pfosten, als Schwarzenbeck oder als Linienrichter wiedergeboren werden, sondern andersgeschlechtig als Beckenbäuerin: „Wenn ich in stofflicher Form wieder auf die Welt käme, wäre es keine schlechte Idee, als Frau.“

Ein kluger, vorausschauender Mann. Wir Normalsterbliche (und womöglich Niemals-WiedergängerInnen) machen uns derweil an die Modifizierung der neuen Regel. Denn diese ist – Achtung! – in Wahrheit durchaus gut und richtig, weil sie den willkürlichen alten Unfug mit dem passiven Abseits aufhebt. Wir brauchen bloß noch das Prinzip rechtsstaatlicher Gewaltenteilung anzuwenden. Der Linienrichter gibt ab sofort den Ankläger und zeigt als Staatsanwalt des Rasens ein werdendes Abseits an. Mehr erst mal nicht. Alle sehen, was Sache ist respektive werden könnte. Der Spieler zieht sich ertappt zurück – und das Spiel geht weiter. Macht er bockig weiter und missachtet durch Spieleinflussnahme die begonnene Gesetzesüberschreitung, flötet der Unparteiische ab. Er allein ist schließlich Herr über Pfiff und Rechtsprechung – kurz: Er ist die Judikative, weswegen er von alters her Schieds-Richter heißt.

Alle wüssten rechtzeitig Bescheid. Der legislativen Fifa-Junta gönnen wir zwar nicht das Sonnenbad im Glanze ihrer Innovation. Aber, viel wichtiger, auf den Tribünen verstehen wir mit wieder gefundener Abseitskenntnis den Fußball wieder. Und, am allerwichtigsten: Wir dürfen gnadenvoll als starke, wissende Männer weiterleben.

BERND MÜLLENDER

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