Tischtennis-EM in München: Spätentwickler mit Ehrgeiz
Deutsche Tischtennisspieler sind immer vorne mit dabei, wenn es um EM-Medaillen geht. Neu im Kreis der Favoriten ist der deutsche Meister Dang Qiu.
Für seine Horde an Spätberufenen holte der Verband Helmut Hampl nach Düsseldorf, Entdecker und Förderer von Jörg Roßkopf und Timo Boll. Zwar waren Zweifel daran, ob die Strategie aufgehen würde, berechtigt. Doch eine Alternative gab es nicht. Talente, wie sie Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov einst waren, waren nicht in Sichtweite.
Sieben Jahre später wird man beim DTTB selbst ein wenig verwundert darüber sein, wie gut der Plan aufgegangen ist. Ein Spieler aus dem Gründungsjahrgang des Perspektivkaders ist einer der Favoriten auf den Sieg bei der Heim-Europameisterschaft, die im Rahmen des European Games in Rudi-Sedlmayer-Halle in München stattfindet: Dang Qiu startet heute als Nummer vier der Setzliste in den Einzelwettbewerb.
Wenn Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf vor dem Turnier davon sprach, jeder Spieler seiner Mannschaft könne Europameister werden, meinte er nicht mehr bloß die Dauer-Europameister Boll und Ovtcharov, die seit 2007 neun von elf EM-Titeln unter sich aufteilten – sondern auch Qiu.
Rasanter Aufstieg
Hinter dem Rechtshänder liegt ein rasanter Aufstieg. In der Weltrangliste schoss der Spieler, der den Schläger im Penholder-Griff hält, zwischenzeitlich bis in die Top 10, vorbei an Deutschlands Legende Boll, der in München im Alter von 41 Jahren mal wieder als Titelverteidiger antritt. Im vergangenen Jahr wurde Qiu gemeinsam mit Nina Mittelham Europameister im Mixed, in diesem Jahr erstmals Deutscher Meister im Einzel.
In der Bundesliga steht er mittlerweile nicht nur für Borussia Düsseldorf unter Vertrag, sondern ist Leistungsträger beim Rekordmeister. Und es ist nicht einmal auszuschließen, dass Qius Aufstieg seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Düsseldorfs Manager Andreas Preuß nannte seinen Angestellten jüngst einen „Spieler, für den man kein Limit sieht“.
Qius Weg ist eine Blaupause dafür, wie Deutschland seine Position unter den besten Tischtennis-Nationen der Welt behaupten will. Der gebürtige Nürtinger zählte in der Jugend zwar zur erweiterten europäischen Spitze, eine Profilaufbahn aber schien nicht vorgezeichnet. Stattdessen baute der Sohn der ehemaligen chinesischen Nationalspieler Chen Hong und Qiu Jianxin, die beide einst in der Bundesliga aktiv waren, 2015 zunächst sein Abitur. Doch Qiu war technisch hervorragend ausgebildet, körperlich robust und galt als lernfähig. Der ideale Mix, um auch in seinen 20ern noch Entwicklungssprünge zu machen, wie man sie eigentlich nur von Nachwuchsspielern kennt.
Spricht man den Aufsteiger auf seinen Aufstieg an, wirkt es manchmal, als täte Dang Qiu leid, dass er keine ausgefallene Erklärung für seinen Entwicklung liefern kann. „Es ist das Ergebnis von langer, harter Arbeit über Monate und Jahre“, sagt er dann. „Auch wenn das vielleicht langweilig klingt.“
Durch seine jüngsten Erfolge ist Qiu allerdings in eine neue Rolle gerutscht. Im Nationalteam ist er nicht mehr nur Teamkollege von Boll und Ovtcharov – sondern auch Konkurrent um einen der beiden Einzel-Startplätze für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich in Paris 2024 nicht gerne spielen würde“, erklärt Qiu. Es ist eine Kampfansage, die nicht wie eine Kampfansage klingen soll.
Und auch vor heimischem Publikum in München lastet erstmals auch im Nationaltrikot Druck auf dem Emporkömmling. „Als Nummer 13 der Welt kann man schlecht sagen, man fährt zur EM, um ein bisschen Erfahrung zu sammeln“, sagt Qiu. Doch im Mixed-Wettbewerb blieb er zum Auftakt der Wettbewerbe hinter den Erwartungen zurück, die Titelverteidiger Qiu/Mittelham schieden im Achtelfinale aus. Im Einzel startet der Rechtshänder am Mittwoch gegen einen Qualifikanten ins Turnier. Auf dem Weg zur EM-Medaille würde sich Dang Qiu voraussichtlich auch Timo Boll in den Weg stellen. Der Spätberufene wäre im Duell mit dem Rekordeuropameister zwar noch immer nicht der Favorit – aber eben auch längst kein Außenseiter mehr.
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