piwik no script img

„Ich habe eine Liste mit zehn neuen Orten“

Michael Rosen organisiert mit seiner Agentur Digital in Berlin unter anderem die Kiezsalons. Ein Gespräch über das Finden von Veranstaltungsorten

Interview Andreas Hartmann

taz: Herr Rosen, neulich war es sogar Thema in den „Tagesthemen“: Nach dem vorläufigen Auslaufen der Corona-Maßnahmen würden Großkonzerte internationaler Stars gut funktionieren, die kleinen Acts dagegen oftmals in die Röhre schauen. Woran liegt das?

Michael Rosen: Warum es viele gerade so schwer haben, hat vor allem drei Gründe. Zum einen haben während der Pandemie kaum Veranstaltungen stattgefunden. Trotzdem wurden weitere Fördergelder ausgeschüttet. Das heißt, dass alle Projekte, die in den letzten zweieinhalb Jahren hätten umgesetzt werden sollen, jetzt zeitgleich nachgeholt werden. Es gibt also gerade ein exorbitant hohes Angebot an hochwertigem Programm, aber weiterhin nur ein begrenztes Publikum, das sich dafür interessiert. Zum anderen haben sich viele an diesen Lifestyle gewöhnt, abends nicht mehr auszugehen. Ich selbst habe mich während der Pandemie auch wohlgefühlt damit, abends Sport zu machen und dann zu Hause zu bleiben. Ich bin vor Corona fast jeden Abend auf ein Konzert gegangen und habe eine Weile gebraucht, um in einen Ausgehrhythmus zurückzufinden. Ich glaube, viele Leute sind noch nicht wieder so weit. Es gibt aber einen weiteren Grund, warum es manche, die wie ich Konzerte mit experimenteller Musik veranstalten, nicht so leicht haben.

Und der wäre?

Ich glaube, dass sich in der Berliner Kulturbranche, zumindest im Bereich der Avantgarde und der Neuen Musik, immer noch zu wenige Gedanken gemacht wird über das Publikum. Teilweise fehlen da ganz banale Dinge. Da ist irgendwo eine Eröffnung und es gibt keine Bar. Eine Bar ist aber wichtig, denn die Leute wollen ja nicht nur ein Konzert sehen und danach nach Hause gehen, sondern sie wollen sich über das Gesehene austauschen. Dass der Kiezsalon meist ausverkauft ist, liegt aber bestimmt auch am sehr moderaten Eintrittspreis von immer noch 10 Euro, was wirklich unterdurchschnittlich ist in Berlin und nur möglich ist, weil ich Fördergelder erhalte.

Ihre nächste Veranstaltung findet in der Galerie Weisser Elefant in Mitte statt, bislang nicht bekannt als Konzertort. Es fällt auf, dass Sie nicht nur ein Trüffelschwein für unbekannte Musiker und Musikerinnen sind, sondern auch für neue Orte. Wie kam es dazu?

Das kam so zustande, dass ich zu Beginn der Pandemie gedacht habe: Entweder ich mach jetzt erst mal gar nichts. Oder ich suche mir auch mal andere, größere Orte, wo ich dann bei geltenden Abstandsregeln genauso viele Tickets verkaufen kann wie vorher. So kam es, dass ich was in den Gärten der Welt und auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt gemacht habe oder im MaHalla, einer fast 4.000 Quadratmeter großen Halle in Oberschöneweide. Oder in so einem abgefahrenen Ort wie dem Bärenzwinger im Köllnischen Park, wo bis vor ein paar Jahren noch sprichwörtlich der Bär gewohnt hat. Mein Plan ist, in drei Jahren in jedem der 16 Stadtteile Berlins einen Kiezsalon veranstaltet zu haben.

Von anderen Konzertveranstaltern hört man oft, im enger gewordenen Berlin könne man gar keine neuen Orte mehr entdecken.

Man stößt in Berlin immer auf dieselben Locations. Ich frage mich: warum?

Ich glaube, das stimmt nur teilweise. Wenn ich mir anschaue, wo andere veranstalten, dann stößt man immer auf dieselben Locations. Warum? Ich habe aktuell eine Liste mit zehn neuen Orten, die ich nächstes Jahr bespielen möchte. Darunter sind nicht nur solche, die noch keiner kennt. Sondern auch einige, die jeder kennt, aber wo man vielleicht nicht so oft hingeht. Wie zum Beispiel der Pierre Boulez Saal. Oder die Akademie der Künste. Ich finde die toll. Das Kulturforum zwischen Philharmonie und Nationalgalerie ist auch wunderbar.

Mit Ihrer Agentur Digital in Berlin starten Sie jetzt auch ein eigenes Musiklabel. Was haben Sie vor?

Ein Label zu betreuen ist für mich etwas Neues. Ich wusste gar nicht, wie man das macht. Die Idee dahinter ist nicht, dass ich dachte, es braucht unbedingt ein weiteres Label. Aber ich habe mir in 15 Jahren eine gewisse Reputation und Sichtbarkeit erarbeitet, nicht nur in Berlin. Das will ich nutzen für so manche Neuentdeckung, die ich auch im Kiezsalon zeige.

Der nächste Kiezsalon findet am 27. August statt. Mit Microcorps (Alexander Tucker), Maja Ratkje, Dylan Peirce und LOUFR im MaHalla in der Wilhelminenhofstraße 76 in Oberschöneweide. Am 20. August gibt es die erste von zwei Veranstaltungen in der Galerie Weisser Elefant in der Auguststraße 21 in Mitte mit Luciano Chessa and Lucio Capece

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen