BMX-Europameisterschaften: Der fliegende Mechatroniker

Freestyle BMX ist schon lange kein reiner Spaß mehr. Der Actionsport ist seit 2021 olympisch. Das ist es, was Timo Schulze antreibt.

Schulze fliegt mit dem BMX vor dem Hintergrund der Frauentürme und hält sich nur am Lenker fest

Gute Bilder: Timo Schulze über den Frauentürmen Foto: imago

MÜNCHEN taz | Am Samstagabend ist alles vorbei. Dann kann der hölzerne Freestyle-Park, der für die European Championships in München auf eine Wiese am Olympiaberg gesetzt worden ist, wieder abgebaut werden. Die Finals um die Europameisterschaftstitel der Artistinnen und Artisten mit den kleinen BMX-Rädern sind dann gelaufen. Die Bahn wird an einem anderen Ort irgendwo auf der Welt wieder aufgebaut, bei einem Action­sport-Event oder einem Wettbewerb unter der Ägide der Radsportverbände. Die Radartistik, die sich als Jugendkultur in den Skateparks der Städte entwickelt hat, ist in den Olymp des Sports aufgenommen worden. In Tokio 2021 ist das erste Mal im Freestyle um olympisches Gold über die Rampen gesprungen worden.

Von Olympia träumt auch Timo Schulze. Er hat sich als Achter der Qualifikation für die Finalläufe am Samstag qualifiziert. „Mein Ziel ist es, 2024 in Paris für Deutschland an den Start zu gehen“, sagt er nach seinen zwei Läufen. Vor allem mit dem ersten war er ganz zufrieden. Beim zweiten habe nicht alles geklappt. Auf jeden Fall hat auch er dazu beigetragen, dass wunderbare Bilder von durch die Lüfte fliegenden Radlern um die Welt gehen können. Es sind Bilder, denen man sich kaum entziehen kann: Artisten, die kopfüber vor den Frauentürmen oder dem Olympiaturm hoch oben durch den weiß-blauen Himmel radeln. Der traditionelle Sport hält sich selbst mittlerweile wohl für derart verstaubt, dass er auf solche Bilder setzt.

Den Leuten, die hochgegangen sind zu dem Ort, der sich Olympiaalm nennt, gefällt das Spektakel. Das Staunen ist deutlich zu vernehmen, wenn ein Sportler besonders hoch in der Luft steht, wenn er sich besonders oft um eine seiner Achsen dreht. Umso größer ist das Entsetzen, wenn einer abstürzt. Declan Brooks, der Olympiadritte aus Großbritannien, lag ein paar Minuten lang regungslos auf der Anlage, bevor er von Sanitätern abtransportiert worden ist.

Der Actionsport hat auch dafür seine Rituale. Die Partymusik, mit der ein DJ künstlernamens Chainsaw den Olympiaberg beschallt hat, wird ganz leise. Erst als die letzten Blutspritzer am Fuß einer Rampe weggewischt sind, wird wieder aufgedreht. „Macht mal Lärm!“, schallt es aus den Boxen. Der französische Titelverteidiger Anthony Jeanjean geht von der Rampe. Alles wieder gut. Zumindest für die Fans vor Ort. Sie wissen ja nicht, dass Brooks erst mal zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht wird. Am nächsten Tag wurde er entlassen. Gehirnerschütterung, nichts Ernstes, teilt das britische Team am nächsten Tag mit.

Kein Vollprofi

Timo Schulze war da längst fertig mit seinen zwei Qualifikationsläufen. Noch gehört er nicht zu den Besten der Szene, die die Veranstalter in die letzte Qualifikationsgruppe gepackt hatten. Das 24-jährige Muskelpaket aus Gelsenkirchen ist auch keiner der Vollprofis, die von Event zu Event reisen. Er hat Mechatroniker gelernt, repariert Straßenbahnen. Stehen Wettbewerbe an, kann er sich freistellen lassen. Den Verdienstausfall gleicht die Sporthilfe aus. Ein paar Sponsoren hat er auch. Der Bund Deutscher Radfahrer hatte ihm angeboten, ihm einen Platz in einer Sportfördereinheit der Bundeswehr zu organisieren. „Das passt nicht zu meiner Art von Lebensauffassung“, sagt er und verweist auf seine Arbeit.

Vom Olympiastatus seiner Sportart profitiert Schulze jedenfalls. Alle Reisen zu offiziellen Wettkämpfen werden vom Verband finanziert. Auch Trainingsaufenthalte am Bundesstützpunkt in Berlin werden ihm ermöglicht. Normalerweise trainert er in einem Skatepark bei Gelsenkirchen. Zu seiner Heimat hält er auch von München aus Kontakt. Und die Kollegen beim kommunalen Verkehrsunternehmen Bogestra, so erzählt er es, verfolgen seinen Wettkampf via Stream.

Die Bodenständigkeit von Timo Schulze scheint nicht so recht zu passen zur aufgedrehten Stimmung in der Szene, zu den Showevents, die auch in München Station machen. Erst Ende Juni haben einige der besten BMXer ihre Tricks im Olympiapark gezeigt. Nicht oben auf der Alm, unten auf dem See wurden die Rampen aufgebaut. Gewonnen hat dieses Showevent der Brite Keiran Reilly. Zur Belohnung ist er ins Nationalteam aufgenommen worden. Nun darf er ernsthaft Spaßsport betreiben. Als Dritter der Qualifikation geht er am Samstag als Medaillenkandidat ins Finale.

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