Kommentar von Claudius Prößer zum Sprengplatz-Bashing: Die Warnungen waren ziemlich dünn gesät
Der Grunewald-Brand wirft Fragen auf: Wie sicher ist das Mentoslager der Berliner Polizei am Colasee?“ Wirklich nicht übel, diese Schlagzeile unserer satirischen KollegInnen vom Postillon. (Wer mit dem Duo „Cola und Mentos“ nichts anfangen kann: Es gibt da tolle Youtube-Videos.) Im echten Leben sollte man allerdings das Aufregungsniveau rund um das Sprengplatz-Desaster mal wieder ein bisschen zurückfahren.
Erstens: Jetzt wollen es auf einmal wieder alle gewusst haben. Am Standort des Lagers, in dem die Berliner Polizei immerhin schon seit 1950 Bomben oder Pyrotechnik sammelt und kontrolliert zündet, habe es immer wieder Kritik gegeben, hieß es – auch wir haben das so berichtet. Grundsätzlich stimmt das auch, aber genau genommen ergibt eine Suche im Archiv des Abgeordnetenhauses exakt einen Vorgang zum Thema: einen Antrag der CDU-Fraktion aus dem Jahr 2004, den die damalige rot-rote Koalition abschmetterte.
Die oppositionellen Christdemokraten gaben sich damals erstaunlich grün und wollten den Sprengplatz nicht länger mitten im Landschaftsschutzgebiet dulden, weil er „die geschlossene organische Entwicklung“ des ihn umgebenden Waldes behindere. In der Sitzung des Innenausschusses führte dann ein CDU-Vertreter sogar gefährdete Erdkröten ins Feld, was ein SPD-Kollegen mit zynischem Bedauern für die „geschundenen Kreaturen“ kommentierte. Die damalige rot-rote Koalition verwies auf Gespräche, die mit Brandenburg über einen künftigen gemeinsamen Standort geführt würden – der dann nie kam.
Und sonst? Schweigen im Walde. Auch für die diversen Umwelt- und Naturschutzverbände war der Sprengplatz im Wald kein, äh, Dauerbrenner. Dass einmal passieren könnte, was nun passiert ist, hat niemand prophezeit. Das muss man hier ehrlicherweise einmal festhalten.
Bomben über Kopfsteinpflaster?
Und zweitens: Sich jetzt so laut wie möglich über die Absurdität des Standorts zu mokieren ist auch ein bisschen wohlfeil. Die Gründe, warum ein idealer Ausweichplatz so leicht nicht zu finden ist, sind bekannt. Krach machen mit gefährlichen Riesenböllern, dazu braucht es nicht nur ausreichenden Abstand zu menschlichen Siedlungen – auch der Anfahrtsweg sollte nicht zu lang sein. Wenn eine Bombe auf dem Dorfkopfsteinpflaster hochgeht, will auch wieder keiner schuld daran gewesen sein. Extrem unwahrscheinlich, so etwa? War das Unglück im Grunewald dank der vorhandenen Sicherungssysteme eigentlich auch.
Das düstere Erbe der Weltkriegsmunition ist nun einmal zu bewältigen, gesprengt wird das Zeug nicht zum Spaß, und optimale Bedingungen für einen solchen Job gibt es leider nicht. Auch der Brandenburger Sprengplatz bei Kummersdorf im Süden Berlins liegt, Überraschung, mitten im Wald.
Natürlich sollte jetzt so schnell wie möglich ein länderübergreifendes Konzept her, zumal die Infrastruktur des Berliner Sprengplatzes jetzt komplett zerlegt sein dürfte. Aber noch mal: Wer in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht regelmäßig vor Gefahren dieses Standorts gewarnt und seine Verlegung gefordert hat, sollte jetzt lieber mal einen Gang zurückschalten. Also eigentlich alle.
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