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Rücktritt von Sabine SchormannDocumenta in der Schuld

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Der Rücktritt von documenta-Chefin Schormann ist zu begrüßen. Dabei darf es jedoch nicht bleiben. Nötig ist eine Aufarbeitung der misslichen Affäre.

Zog schließlich die Konsequenzen aus dem Skandal: documenta-Chefin Sabine Schormann Foto: Martin Meissner/ap

D ie Mitteilung vom Rücktritt der documenta-Chefin Sabine Schormann ist das bisher einzig Begrüßenswerte, was zuletzt von den Veranstaltern zu hören gewesen ist. Der Schritt war überfällig, denn Schormann hat sich im Skandal um antisemitische Bildmotive als vollständig beratungsresistent erwiesen. Dafür zeigte sie sich als umso geschickter dabei, andere für den Skandal verantwortlich zu machen, den sie selbst mit angerichtet hat.

Diese anderen, das waren zuerst diejenigen, die vor antisemitischen Tendenzen warnten, und dann, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war, die, die sich darum bemühten, aus der Zurschaustellung judenfeindlicher Kunstwerke Konsequenzen zu ziehen. Dazu ist es bisher nicht gekommen.

Es fragt sich allerdings, ob es bei diesem Rücktritt bleibt oder ob die documenta tatsächlich dazu bereit ist, ihren Umgang mit Antisemitismus aufzuarbeiten. Zweifel sind angebracht, die sich aus den Ausflüchten der Vergangenheit speisen, die aber auch durch die Erklärung des Aufsichtsrats neue Nahrung erhalten. Von einer Entschuldigung ist da nicht die Rede, nur von „tiefer Betroffenheit“, antisemitische Bildmotive zur Schau gestellt zu haben.

Dann folgt schon der Hinweis, dass „der documenta damit ein erheblicher Schaden zugefügt“ worden sei. Vom Schaden, den die Ausstellung den in diesem Land lebenden Jüdinnen und Juden beigefügt hat, spricht der Aufsichtsrat lieber nicht. Hat er überhaupt begriffen, was er da angerichtet hat? Oder geht es dem Gremium nur darum, die Schau möglichst schnell aus den negativen Schlagzeilen zu holen?

Es sei „viel Vertrauen verloren gegangen“, heißt es in der Erklärung an anderer Stelle. Da ist etwas dran. Es ist geradezu bewundernswert, mit welcher Engelsgeduld ausgewiesene Antisemitismusexperten wie Me­ron Mendel ihre Bereitschaft dazu erklären, den Prozess der Aufarbeitung mit anzugehen. Aber Geduld ist endlich. Den documenta-Verantwortlichen ist anzuraten, es jetzt schnell nicht länger bei Erklärungen zu belassen, sondern rasch eine Haltung einzunehmen, was Kunst darf – und was nicht.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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4 Kommentare

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  • Was auf der Dokumenta als Kunst angepriesen wird sind antisemitische Schmierereien, die von den Verantwortlichen auch noch mit einer grenzdebilen Propaganda verharmlost wurden. Beschämend für unser Land 75 Jahre nach der Schoah. Da nützen dann auch die bunten Kleidchen nichts um sich auf der politisch korrekten Seite zu wähnen.

  • Die ganze Geschichte ist unfassbar und der öffentliche Aufschrei viel zu verhalten. Das ist Deutschland 2022.

  • Ich weiß nicht was ich von dieser angestrengten, immer empörten, dauernd warnenden und aufgeregten Diskussion zum Antisemitismus während der documenta halten soll, während überall in Deutschland Faschisten marodierend durch Städte ziehen, mit deren Reichbürgerfreunden „Deutsche Reiche, Deutsche Zonen, oder Ausländerfreie Zonen“ ausrufen, offen lebende Jüdinnen und Juden täglich massiver Gewalt ausgesetzt sind, Synagogen weiterhin 7/24/365 mit Polizei und Staatsschutz bewacht werden müssen und Nazis in unseren Parlamenten sitzen!?

    Die documenta war/ist nur ein weiterer Lackmustest für den Gesamtzustand Deutschlands...

  • Hr. Mendel hat sich mW doch für einen Dialog mit den Künstlern ausgesprochen. Um tradierten Antisemitismus gemeinsam aufzuarbeiten.

    Klingt doch eigentlich nach einer guten Idee.

    Eigentlich.



    Wäre aber natürlich für die Presse viel langweiliger als weitere Rücktrittsdiskussionen oder gar Forderungen nach dem Aus für die Documenta.