Ukrainer*innen trotzen dem Krieg: Der Ofen bleibt warm
Slowjansk im Gebiet Donezk ist hart umkämpft. Doch die Menschen lassen sich davon nicht unterkriegen – wie der Besuch in einer Backstube zeigt.
Die Stadt Slowjansk im Donezker Gebiet befindet sich mitten im Epizentrum des Angriffskrieges, den Russland seit dem 24. Februar gegen die Ukraine führt. Mit jedem Tag wird die Lage bedrohlicher. Jetzt, nachdem russische Truppen die Nachbarregion Luhansk vollständig besetzt haben, bereiten sich die Menschen hier auf noch intensivere Angriffe vor. Auch werden Erinnerungen an 2014 wach, als Slowjansk schon einmal, wenn auch nur kurz, von russischen Truppen besetzt war.
Seit gut vier Monaten probieren die Ukrainer*innen alles, um sich den russischen Besatzern entgegenzustellen. Doch der Kampf wird nicht nur mit Waffen auf dem Schlachtfeld oder an der „Informationsfront“ ausgetragen. Jede/r versucht einen Beitrag zu leisten: Einige engagieren sich als Freiwillige, kümmern sich um Kranke, nähen Kleidung oder backen Brot.
Die Bäckerei im Zentrum von Slowjansk wurde vor einigen Jahren eröffnet. Seitdem ist die Schewtschenko-Straße, in der sie sich befindet, immer vom Duft frischen Backwerks erfüllt. Daran hat auch der Krieg nichts geändert. Ständig sind Explosionen zu hören, das Gebiet um die Stadt herum ist dauernd unter Beschuss. Auch Slowjansk selbst war bereits mehrfach Ziel von Luftangriffen russischer Truppen. Doch ungeachtet aller Risiken und Gefahren, die dieser Krieg mit sich bringt, wird der Ofen in der Bäckerei nicht kalt.
Evakuierung nur bei Besetzung der Stadt
Schon vor Kriegsbeginn sei allen in der Bäckerei klar gewesen, dass man mit einer Evakuierung bis zum letzten Moment warten würde, sagen Verkäuferin Sonja und ihre Kollegin, Bäckerin Susana. Am 24. Februar hätten sie alle unter Schock gestanden, weil niemand habe glauben können, dass der Krieg begonnen habe. Doch dann habe es geheißen: weitermachen. Eine Evakuierung wurde nur für den Fall erwogen, dass die Besatzer in die Stadt kommen sollten. Die Geräte in der Backstube hätten sie natürlich mitgenommen, sagt Susana.
Seit dem 24. Februar wird nur bis 16 Uhr gearbeitet, damit alle rechtzeitig nach Hause gehen können. Auch die Logistik, um die Zutaten für die Bäckerei zu beschaffen, hat sich verändert. Alles ist schwieriger geworden und dauert länger. Trotzdem versuchen die Chefs, die Zutaten in verschiedenen Städten der Ukraine zu beschaffen. Noch gelingt das.
Doch niemand schließt die Möglichkeit aus, dass die Lieferungen ausbleiben. Das könnte dann bedeuten, dass die Bäckerei schließen und evakuiert werden muss. Doch noch glaubt die Belegschaft nicht daran, dass es so weit kommen wird. Dabei will der Luftalarm in Slowjansk seit zwei Monaten nicht verstummen. Er ist nicht nur ein monotones Signal, das einem die Ohren klingeln lässt. Er ist eine unmissverständliche Warnung vor Angriffen aus der Luft. Doch das ficht die Bäckerei nicht an.
Dorthin kommen jetzt vor allem Bewohner von Slowjansk, die geblieben sind, sowie Soldaten, die den Streitkräften der Ukraine (WSU) oder der Territorialverteidigung angehören. Vor allem sie motivieren die Mitarbeiter*innen der Bäckerei weiter ihre Arbeit zu tun. Verkäuferin Sonja sieht darin auch eine echte Unterstützung der Bewohner*innen. Denn es ist nicht lange her, dass in Slowjansk kein Brot zu finden war. Jetzt gibt es im Sortiment der „Schönen“ sogar eine Sorte namens „Sozialbrot“.
Für die Verteidiger wird auf Bestellung gebacken
Die ukrainischen Verteidiger müssen vor der Bäckerei nicht Schlange stehen, sie werden sofort bedient. Für die WSU und die Territorialverteidigung wird auf Bestellung gebacken.
Über Slowjansk hinaus bekannt wurde die Bäckerei, nachdem ihr der Sänger der populären ukrainischen Rockband Okean Elzi, Swatoslaw Wakartschuk, einen Besuch abgestattet hatte. Er war gekommen, um ein Wohltätigkeitskonzert zu geben. In der Bäckerei machte er ein kurzes Video, das vielfach auf Instagram geteilt wurde. Von diesem Tag an kamen auch viele Neugierige, die sich erkundigten, ob dies wirklich der Ort sei, den auch Wakartschuk besucht habe.
Solange der Krieg andauert, rechnet eigentlich niemand in Slowjansk mit vielen auswärtigen Gästen, auch die Bäckerei nicht. Vielmehr geht es ihnen um gegenseitige Hilfe – und die brauchen alle – mehr denn je.
Aus dem Russischen: Barbara Oertel
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