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Die WahrheitWeltmeister der Langeweile

Sie lieben es, Abwasserrohre zu beobachten. Oder Kreisverkehre. Engländer sind gern Mitglieder im Club der schnarchsäckigen Dumpfbacken.

E r ist der langweiligste Mann Englands. Kevin Beresford wurde 2018 vom „Club der langweiligen Männer“ zum „Anorak des Jahres“ gewählt. Es ist ein internationaler Club, der „das Banale feiert“. Die Mitglieder sind „drain spotters“, die nicht Eisenbahnen, sondern Abwasserrohre beobachten. Seine drei Ex-Frauen fanden ihn langweilig, sagt Beresford, und seinen vier Söhnen sei er peinlich.

Vor einigen Jahren wollte er einen Kalender mit Fotos seiner Heimatstadt Redditch in Worcestershire herausgeben. Aber die Stadt ist so langweilig wie er, sie hat drei Gefängnisse, kein Kino, aber sehr viele Kreisverkehre. So ließ er schließlich einen Kalender mit den spannendsten Kreisverkehren drucken. Weil das so absurd ist, boomte der Verkauf. Schließlich zeigte ein Verlag Interesse, und Beresford wurde zum Präsidenten der Gesellschaft für die Wertschätzung von Kreisverkehren gewählt. Doch, die gibt es. Seit inoffizieller Titel ist „Herr der Ringe“.

Im Vergleich zu Bill Keaggy ist Beresford aber geradezu aufregend. Keaggy sammelt seit 25 Jahren Einkaufslisten, die andere Leute weggeworfen haben. Wenn man Dinge einzeln betrachte, scheinen sie unwichtig, behauptet er, aber wenn man sie als Sammlung sieht, sind sie plötzlich erhellend. Was ist erhellend an einem Zettel, auf dem lediglich das Wort „Milch“ steht?

Hinter jeder Liste stecke eine Geschichte, sagt er, aber will man die wirklich wissen? Auf einem Zettel waren Prozac und Rizinusöl notiert. Die Person leidet offenbar nicht nur an Depression, sondern auch an Verstopfung. Die Zettel geben einen Einblick in das Leben anderer, findet er und merkt nicht, dass es lediglich ein Einblick in sein eigenes Leben als Dumpfbacke ist. Selbstverständlich hat auch er ein Buch veröffentlicht: „Wodka, Feuerzeug, Milch, Eiscreme“. Ein Raucher, der Milkshakes trinkt?

Wilf Davies, ein Bauer aus Wales, braucht keinen Einkaufszettel. Er isst seit zehn Jahren das gleiche Abendessen, auch zu Weihnachten: Fisch, eine große Zwiebel, ein Ei, gebackene Bohnen und zwei Kekse. Warum experimentieren, wenn man sein Lieblingsessen kenne, meint er. Seine Schafe essen ja auch jeden Tag das Gleiche. Sie sind zufrieden und verlangen nie nach etwas Abwechslung. Sein Onkel, ebenfalls ein alleinstehender Bauer, hat sein Leben lang Brot, Butter und Käse zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot gegessen und dazu Tee getrunken. Davies will jetzt ein Kochbuch schreiben. Offenbar ein sehr schmales.

Vermutlich hatte der Onkel nur eine Teekanne, was ja ausreicht. Sue und Keith Blazye aus Kent haben 8.450 Stück. Man kann sie im „Teapot Island“ besichtigen. Einmal kamen Charles und Camilla, sodass die Blazyes schnell die Kanne mit dem Konterfei der beiden versteckten. Bestimmt bringen sie auch bald ein Buch heraus: „Volle Kanne in den Wahnsinn“.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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