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Nachhaltige Perspektiven gestoppt

In der Zeit der Pandemie unterstützten Sondermittel die freien darstellenden Künste. Deren Rückbau im Haushaltsentwurf des Bundes für 2023 erzeugt Ängste

Im Kulturausschuss des Bundestags sieht man den vorgesehenen Rückbau kritisch

Von Tom Mustroph

Die Angst geht um in der Kulturszene. Denn die großzügigen Förderungen, die vor allem die freien darstellenden Künst­le­r*in­nen in der Zeit der Pandemie von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien erhalten haben, werden offensichtlich ersatzlos gestrichen. Im Entwurf für den Haushaltsplan für 2023 ist der Fonds Darstellende Künste, der die Mittel in seinen Programmen verteilte, nur noch mit seiner Basisförderung von 2 Millionen Euro vorgesehen. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 kamen insgesamt zusätzliche 76 Millionen Euro, für 2022 sind es noch 68 Millionen Euro. Bis Mitte 2023 sind es noch 17 Millionen Euro. Für die Zeit danach sind aber laut Informationen der taz keine weiteren Mittel eingestellt.

Das ist bitter. Denn nicht nur Künst­le­r*in­nen konnten dank der Residenz- und Recherche-Programme, der Prozess- und Wiederaufnahmeförderung neue Produktionen vorbereiten oder bestehende verbessern. Das sorgte für eine ungewöhnliche Nachhaltigkeit in den freien darstellenden Künsten. Der Berufsalltag dort ist sonst von der Hatz von Projektantrag zu Premiere und neuem Projektantrag geprägt. Jetzt aber konnten Arbeiten vertieft werden. „Es handelt sich um ein sehr gut abgestimmtes Förderprogramm, das vom Fonds aufgelegt wurde. Es ermöglichte nicht nur den Künst­le­r*in­nen in der Pandemiezeit das berufliche Überleben. Auch Themen, über die man länger schon diskutiert hatte, wie die Rechercheförderung, wurden nun endlich umgesetzt. Im Rahmen der Residenzprogramme hatten wir etwa 100 Künst­le­r*in­nen auf Kampnagel, die zwei bis vier Monate lang konzentriert zu bestimmten Themen arbeiten konnten. Das hat auf das gesamte Haus ausgestrahlt“, sagte Amelie Deuflhard, Intendantin von Kampnagel in Hamburg, der taz.

Auch bislang ungeförderte Subbranchen, wie der Zeitgenössische Zirkus, bekamen in diesem Zusammenhang Fördergelder. Darüber hinaus sorgten die zahlreichen Netzwerkmodule der Neustart-Kultur-Förderungen für neue Zusammenarbeitsmodelle.

Erfreulicher Nebeneffekt war die bessere Abstimmung von Förderprogrammen von Bund, Ländern und Kommunen aufeinander. Das Geld aus Berlin führte in einigen Regionen dazu, dass Kommunen, Landkreise und Länder eher geneigt waren, komplementäre Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die lokalen Künst­le­r*in­nen und die Be­trei­be­r*in­nen von Veranstaltungsorten die Bundesmittel überhaupt akquirieren konnten.

All das lobte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth noch Ende Mai anlässlich der Verleihung des Tabori-Preises in höchsten Tönen. Der Tabori-Preis wird vom Fonds Darstellende Künste vergeben, er ist so etwas wie der Oscar der Freien Szene. Das Geld kommt, wie üblich, vom Bund. Roth meinte aus diesem Anlass noch: „Der Tabori-Preis ist ein deutliches Signal der Wertschätzung an die freien darstellenden Künste, er unterstreicht ihre Bedeutung für die Gesellschaft als kritischer Reflexionsraum und als Treiber von Innovationen.“ Sie lobte ausdrücklich den Fonds Darstellende Künste als „leistungsstarken und kreativen Partner“, der nach der Verteilung der Pandemiemittel auch stark in die Unterstützung geflüchteter Künst­le­r*in­nen aus der Ukraine involviert ist. Und sie kündigte noch im Mai an: „Es gilt nun, nachhaltige Perspektiven für die freien darstellenden Künste aus den Erfahrungen der letzten Jahre abzuleiten und weiterzuentwickeln.“ Vier Wochen später zeigt sich: Das Nachhaltigkeitsverständnis im Hause Roth erschöpft sich in Maximalkürzungen.

Das löst selbstverständlich Sorge aus. Zunächst beim Fonds Darstellende Künste selbst. Geschäftsführer Holger Bergmann verwies gegenüber der taz auf die hohe Attraktivität der – auch von Roth gelobten – Programme. In den Jahren 2020 bis 2022 wurden Förderungen für jeweils insgesamt 340 Millionen Euro beantragt. Bei insgesamt 144 Millionen Euro, die in diesem Zeitraum zur Verfügung standen, konnte fast jedes zweite Vorhaben bewilligt werden – eine für den freien Bereich ungewöhnlich hohe Quote.

Für 2023 rechnet der Fonds mit einem Antragsvolumen von etwa 100 Millionen Euro. Eine Aufstockung der Neustart-Kultur-Gelder bis zum Juni 2023 sieht noch einmal 17 Millionen Euro vor. Danach ist aber Schluss. Und das Budget des Fonds Darstellende Künste wird auf jährlich nur noch 2 Millionen Euro zurückgefahren. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das Programm nicht weitergeführt wird, denn es handelt sich um eine bundesweite Förderung in die Fläche, die die Eliteförderung der Kulturstiftung des Bundes sehr sinnvoll ergänzt und eine Vielzahl von künstlerischen Stimmen zum Ausdruck verhilft“, betonte Deufl­hard gegenüber der taz. Die Pressestelle der BKM äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht. Die Haushaltsberatungen sind für den 1. Juli angesetzt.

Im Kulturausschuss des Bundestags sieht man den vorgesehenen Rückbau kritisch. „Man muss die Bundeskulturfonds, zu denen der Fonds Darstellende Künste gehört, finanziell besser ausstatten, damit sie die Fähigkeiten, die sie in der Coronazeit bewiesen haben, auch weiter zeigen können“, sagte Helge Lindh (SPD), Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Kulturausschuss, der taz. Er verweist aber auch auf die Sondersituation der verlängerten Corona-Mittel bis Juni 2023 und bezeichnet dies als „Soft Landing“. „Das entscheidende Ziel für eine strukturelle Stärkung der Kulturfonds ist der Haushalt 2024. Dort droht der harte Absturz“, sagte er – und nimmt sich vor: „Deshalb wird zu gucken sein, wie man noch für 2023 eine Verbesserung erreicht. Das Wichtige ist aber der Haushalt 2024 und folgende Jahre.“

Der Fonds Darstellende Künste selbst sieht nach Auskunft der Geschäftsstelle 16,5 Millionen Euro jährlich als sinnvoll an, um die ausdifferenzierten Förder­linien auch angemessen weiter­zuführen.

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