Schauspielerin über freiberufliches Arbeiten: „Fehler machen dürfen!“
Streiten und Meinungen aushalten, davon lebt auch das Theater. Aber das wird zunehmend schwieriger, wie die Schauspielerin Julischka Eichel erzählt.
Die Schauspielerin Julischka Eichel macht es sich und anderen nicht bequem. Im Lockdown hat sie einen offenen Brief an die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur desolaten rechtlichen und finanziellen Situation freiberuflicher Schauspieler*innen geschrieben. Vor Kurzem ist ihr Versuch, ihren feinstofflichen Beruf zu (be)greifen und gegen Einschränkungen zu verteidigen, auf nachtkritik.de erschienen.
taz: Julischka Eichel, während Journalisten in Schauspieler*innen-Porträts gerne mit Begriffen wie „Liebe zum Risiko“ oder „Grenzüberschreitung“ um sich werfen, haben Sie Ihren Kolleg*innen eine neue Ängstlichkeit diagnostiziert. Woran machen Sie sie fest?
Julischka Eichel: Da muss ich über die Proben und das Spiel sprechen, die beide dafür da sind, etwas entstehen zu lassen, was mich selbst überrascht. Das aber bedeutet, ich muss etwas tun, was mich aus meiner Komfortzone bringt, mir vielleicht auch Angst macht. Dafür brauche ich Vertrauen. Und irgendwie ist das erschüttert.
Woher rührt dieser Vertrauensverlust?
geboren 1981 in Tübingen, studierte an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Von 2007 bis 2012 spielte sie im Ensemble des Berliner Maxim Gorki Theaters, von 2015 bis 2018 am Schauspiel Stuttgart. Daneben arbeitet sie freischaffend, auch für Film und Fernsehen.
Ich frage mich das selbst, und jeden Tag habe ich eine andere Antwort. Man geht nicht mehr gemeinsam davon aus, dass man an eine Grenze ranmuss. An seine eigene und an die des anderen. Und das ist fatal, denn alle Stoffe im Theater leben von Grenzüberschreitungen. Unsere Kunst ist eine Beziehungskunst und Beziehungen haben mit Konflikten zu tun, mit Energien, die aufeinandertreffen. Dahin kommen wir aber oft gerade nicht, weil wir immer so viele andere Dinge klären müssen.
Was für Dinge?
Dinge, die wir für allgemeingültig halten und deshalb nicht mehr hinterfragen. Zum Beispiel Begriffe wie „Stärke“, „Mann sein“, „Frau sein“, „Liebe“, „Tod“, über die scheinbar alle Bescheid wissen – und beim Proben wird dann klar, dass nichts klar ist, weil doch alle unterschiedliche Erfahrungen und ein anderes Verständnis von dem Begriff haben. Wenn wir dann aus Angst vor Konflikten nicht sprechen, dann geht auch das Vertrauen zueinander weg. Und natürlich müssen wir fragen in unserem Beruf. Ich muss Fehler machen dürfen.
Schwappt das von der Gesellschaft ins Theater? Es wird ja generell kaum noch produktiv gestritten, und statt Argumenten prallen Fronten aufeinander. Mit Corona hat sich das verschärft. Im Krieg wird es nicht besser.
In meiner Familie hat man gestritten und trotzdem war immer klar, dass man sich gern hat. Diese Gewissheit ist weg. Auch unter Leuten, die das mal miteinander konnten, muss man sich permanent rückversichern. Dabei gibt es gerade in dieser in der Coronazeit noch krasser gewordenen Vereinzelung auch die Sehnsucht, sich zu bekennen. Und das geht ja nur, wenn man streitbar ist. Wenn ich mich zeige, mit all meinen Fehlern, riskiere ich, dass 40 oder sogar 70 Prozent der Leute mich scheiße finden. Das ist irgendwie schlimm geworden.
Man hat erfahren, wie schnell ein Theater geschlossen werden kann und ein Herzensberuf marginal wird. Und jetzt bleibt auch noch das Publikum weg. Hat die neue Angst auch mit der Unsicherheit zu tun, die sich aller am Theater Arbeitenden bemächtigt hat?
Ja, vielleicht hat das auch mit der Angst zu tun, nicht relevant zu sein, und dass man schneller weg ist, als man denkt. Die Existenzangst ist groß. Und man muss sich sicher fühlen, um freiwillig in die Unsicherheit zu gehen.
Ich habe in dieser Spielzeit auch extrem viele Arbeiten mit eindeutiger Message gesehen, am liebsten noch mal für die ganz Dummen hinterhergeschoben …
Ich bin derzeit nicht fest in einem Ensemble, deshalb höre ich es nur von anderen. Aber es muss einen immensen Druck geben, auch vonseiten des Publikums, dass die Theater Gänsefüßchen setzen oder Triggerwarnungen lancieren müssen. Dass sie denken, sie kommen in Gefahr, wenn sie missverstanden werden. Und das ist ja wirklich etwas Neues.
Vollkommen unsympathische, politisch zweifelhafte Figuren sieht man nicht mehr oft auf den Bühnen; und wenn, dann als comichafte Überzeichnung oder mit distanzierendem Augenzwinkern. Kann man so etwas überhaupt noch spielen?
Ich sehe sie gerade auch kaum, finde aber, man sollte. In Bremen probe ich gerade zum ersten Mal in meinem Leben einige eindeutig moralisch verwerfliche Figuren: Nazis! Da haben wir auch wilde Diskussionen, ob man das darf und wie man Macht spielen oder zeigen kann. Das ist ja auch etwas, worüber wir gerade nicht sprechen: Der Mensch will sich ja bemächtigen und braucht das Gefühl – positiv formuliert – der Selbstwirksamkeit. Wer sich ohnmächtig fühlt, dem geht es schlecht.
Sie spielen vier Männer in „Leben und Schicksal“ nach einem Roman von Wassili Grossman. Armin Petras führt Regie.
Ja, eigentlich SS-Generäle und Gulag-Offiziere, aber ich spiele sie nicht explizit als Männer. Ich bin ja eine Frau. Indem ich es nicht klar entscheide, habe ich sogar noch viel mehr Möglichkeiten, Macht zu untersuchen.
Welche Möglichkeiten sind das?
Na, die männlichen Machtgesten und -spiele kenne ich aus der Beobachterperspektive, aber wir Frauen haben auch ein großes Spektrum zur Verfügung. Mischt man das, behaupte ich, hat man einiges zu spielen. Ich kann mit der Peitsche, mit dem Revolver, aber auch mit Verführung arbeiten: mich zu nah an einen Mann setzen, ihn berühren. Wenn er keine Möglichkeit hat, dem zu entfliehen, ist das für einen Mann genauso demütigend wie für eine Frau, die das von einem Mann erfährt. Wenn ich als Chefin einem Zwei-Meter-Hünen bei einem wichtigen Gespräch in die Wange kneife, erzählt das sofort etwas über Macht. Aber es funktioniert nur gemeinsam. Im Theater sagt man: den König spielen die anderen. Das heißt: Ich kann Königin spielen, wie ich will. Wenn alle mich ignorieren, wird man keine Königin sehen. Wenn sich aber alle verneigen, wenn ich nur den Finger hebe, dann fühle ich mich am Ende der Probe ziemlich mächtig. Und so geht es vermutlich auch Intendant*innen und anderen Machthabern …
Das ist Putin mit seinem langen Tisch, an den sich alle an die ihnen zugewiesenen Plätze setzen …
Absolut, und wir spielen alle mit. Natürlich fühlen die sich dann wie die Könige der Welt.
Macht kickt, macht Spaß und ist gefährlich.
Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen dem, was auf den Bühnen zu sehen ist, denen der Deutsche Bühnenverein (DBV) gerade wieder zugerufen hat, sie seien „Räume für den Diskurs darüber, wie unsere Gesellschaft frei, offen und in Vielfalt zusammen leben kann“ – und den Missbrauchsskandalen hinter den Kulissen. Seit 2018 arbeitet der DBV deshalb an einem „Wertebasierten Verhaltenskodex“. Hat der Ihrer Ansicht nach schon etwas bewegt?
Wir haben alle noch viel zu lernen. Die Welt war lange genug heteronormativ und insgesamt zu homogen und das ist stinkelangweilig. Es ist Zeit, dass sich das ändert. Der Katalog ist ein Anfang, für mich muss sich das aber im Praktischen vollziehen. Ich glaube, dass wir spüren, wann Bullshit passiert und wann nicht. Schauspieler sind ja Energiezauberer. Mit Energien gehen wir um. Die Balance ist nur dann gestört, wenn wir das Gefühl haben, wir dürfen dem, was wir als störend erkennen, nicht nachgehen. Helfen können da nur angstfreie Räume, in denen alle sich trauen, ihren Mund aufzumachen.
Sind Teams und flache Hierarchien die Lösung?
Ich habe gerade mit der Regisseurin Jorinde Dröse die DröseEichel Company & Friends gegründet. Und das ist die Hoffnung: dass man miteinander arbeitet, ohne Hierarchien. Obwohl mich in dem Moment, in dem ich auf der Bühne bin, jemand sehen muss – wo ich stehe, ob ich gerade schummle. Das ist o. k. und nur blöd, wenn eine Wurst da unten im Dunklen sitzt.
Unsere Idee ist, mindestens einmal im Jahr das Theater zu machen, das uns auf der Seele brennt, egal ob jemand sagt: „Das ist aber gerade nicht das Thema“. „Reduce to the max“, hat Armin Petras immer gesagt: Mit Leuten, mit denen man gerne probt, denkt, streitet, gemeinsam das zu machen, was man liebt. Damit das Netzwerk der tollen, witzigen, intelligenten Menschen wächst und irgendwann die größere Macht wird (lacht). Vielleicht ist das auch utopisch. Aber darüber nachzudenken und zu diskutieren macht gerade sehr viel Spaß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene