: Aus Fußball werde Musik
Bei der Fußballeuropameisterschaft der autochthonen nationalen Minderheiten kommt das ungarische Team der Roma ins Viertelfinale. Es wird vom Staat ein wenig unterstützt
Aus Kärnten Ralf Lorenzen
István Mezei dreht das Autoradio lauter und singt die Csárdás-Arie mit. „Gypsy-Musik“ sagt er, und das bleibt fast das Einzige, das der Beifahrer auf der halbstündigen Fahrt von Budapests Innenstadt in den östlich gelegenen Bezirk Kispest aus den auf Ungarisch vorgetragenen Erklärungen versteht. Als rechts die rote Hülle der Bozskis-Arena auftaucht, fällt dann noch ein Wort, das keine Übersetzung braucht: „Puskás“. Hier ist die Heimstätte von Honved Budapest, für das Ungarns Fußballlegende Ferenc Puskás 349 mal auflief.
Wenig später in seinem kleinen Haus holt der 75-Jährige einen alten braunen Lederball aus den Trophäenschrank und wiederholt das magische Wort. Jetzt ist seine Enkelin Armanda als Übersetzerin dabei. „Als junger Mann habe ich Puskás manchmal zu Festen gefahren“, erzählt er. „Er hat gern gefeiert“. Dass eine Zufahrtstraße zur nördlich gelegenen Puskás-Arena, wo die Nationalmannschaft ihre Spiele austrägt, seinen Namen trägt, hat Mezei sich durch eine andere Tat verdient: Er hat 1992 mit Unterstützung von Puskás die Nationalmannschaft der ungarischen Roma ins Leben gerufen.
Die beiden Schränke im Gästezimmer quellen fast über von Pokalen und anderen Auszeichnungen für diese Mannschaft, darunter Turniersiege in Brasilien und Belgien oder Geschenke vom häufigsten Gegner, der Schweizer Garde im Vatikan. Eine Woche später steht ein ungarischer Reisebus vorm rustikalen Hotel „Eckwirt“ in Kärnten – etwas abseits vom Klopeiner See, um den herum die meisten anderen der 19 Männer- und vier Frauen-Teams aus sprachlichen Minderheiten in elf Ländern für die Europeada 2022 wohnen.
„Gerade hat der ungarische Fußballverband sich gemeldet“, sagt Mezei beim Treffen im Frühstücksraum, zu dem er auch seinen Kapitän Tamás Sárközi mitgebracht hat. „Wenn wir das Turnier gewinnen, wollen sie die Kosten für die Reise zur nächsten Europeada übernehmen.“ In diesem Jahr können sie sich den Reisebus und die Unterkunft für den 25-köpfigen Tross nur leisten, weil die ungarische Regierung den Großteil übernimmt.
Klar freut sich Mezei über die Nachricht, aber er weiß auch, dass für einen Turniersieg seiner Mannschaft ein kleines Fußballwunder geschehen müsste. Schon ins Viertelfinale am Nachmittag gegen die Heimmannschaft der Kärtner Slowenen in Klagenfurt gehen sie als klarer Außenseiter. Diesmal ist mehr Zeit zum Ausholen – das Gespräch wird von Éva Pénzes, der Generalsekretärin des Veranstalters, der Föderativen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), übersetzt. Die Geschichte beginnt 1947 in einer Roma-Familie aus Schmieden und Landarbeitern in einem kleinen Ort. „Dort galten wir als sündige und böse Menschen“, sagt Mezei. Als wissbegieriger Junge lernte er früh lesen und schreiben, machte sich einen Namen im ungarischen Fußball und gehörte dem Betreuerteam der Nationalmannschaft vor den Olympischen Spielen 1980 in Moskau an. In den folgenden Jahren vertrat er immer mutiger die Interessen seiner Minderheit, legte sich mit den Kommunisten an, landete fast im Gefängnis und wurde dann doch von ihnen mit der Familie nach Budapest geholt, um in der dortigen Roma-Selbstverwaltung mitzuarbeiten. „Dort konnte ich helfen, die Bildungssituation der Roma etwas zu verbessern“, sagt er.
Parallel gründete er mit dem Nationalspieler und Rom, János Farkas, eine Organisation, um junge Roma-Fußballer zu fördern. Deren Name „János-Farkas-Akademie“ könnte falsche Annahmen wecken. Physisch besteht die „Akademie“ aus dem Auto und dem Handy von Mezei, der das ganze Jahr unterwegs ist, um gute Roma-Fußballer aufzuspüren, sie zu motivieren und ehrenamtliche Trainer für sie zu finden.
Tamás Sárközi, Kapitän der Roma
„Es fehlt an Strukturen und Konzepten“, sagt Tamás Sárközi, der selbst als Jugendtrainer arbeitet. Die Förderung durch den Fußballverband würde gerade mal reichen, Bälle und Trikots zu besorgen. Dabei sieht er viel Potenzial für eine Akademie mit einem guten Konzept und solider Finanzierung. Die solle nicht nur Angehörigen der Roma-Minderheit, sondern allen benachteiligten Kindern und Jugendlichen offenstehen. Er selbst habe das Glück gehabt, von seiner Familie und Mezei unterstützt zu werden. „Mein Vater hat gesagt: Stehe zu deiner Herkunft, aber sei dir bewusst, dass du 120 Prozent leisten musst.“
120 Prozent hätten dann am Nachmittag auch nicht genügt, um das 0:3 der Roma gegen die Slowenen aus Kärnten zu verhindern, die am nächsten Tag das Finale gegen die Deutschen aus Südtirol verlieren. „Wir waren müde und der Gegner zu stark“, sagt Sárközi, als er mit seinem Team im Gegensatz zu vielen anderen der Ausgeschiedenen am Halbfinaltag zur Medaillenübergabe in einem Bergdorf erscheint. „Es war eine sehr gute Erfahrung, hier zu sein.“
Währenddessen sitzt Istvan Mezei nachdenklich im Festzelt vor einem Teller Ćevapčići und hofft, dass junge Leute wie Támas weiter an der Erfüllung seines Traumes arbeiten: dass der Fußball der Roma einmal so bekannt ist wie ihre Musik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen