piwik no script img

Da ist ja noch ein Papadopoulos

ZOCKEN Eine Playstation, ein Fußball-EM-Spiel und ein Kasten Bier: Am Ende des Abends steht der Europameister fest. Das Protokoll eines Albtraums

EM daheim

■ Die Spieler: Frauke Böger und Jan Scheper (beide Redakteure im EM-Team der taz), Maik Söhler (Chef vom Dienst bei taz.de) und Klaus Ungerer (Freier Autor und Computerspielspezialist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung).

■ Das Spiel: Zwei Leute spielen „Uefa Euro 2012“ gegeneinander, zwei protokollieren den Gang der Dinge. Das Spiel ist eine Erweiterung für das Konsolenfußballspiel Fifa 12. Alle Beteiligten begreifen sich als Anfänger, es sind Zuschauer anwesend.

VON UND MIT FRAUKE BÖGER, JAN SCHEPER, MAIK SÖHLER UND KLAUS UNGERER

Tipprunden, Wettquoten, lebende Orakel oder Fußballstatistiken – viele Möglichkeiten, das Unwägbare begreiflicher zu machen: Wer schneidet bei der Europameisterschaft wie ab? Da wollten wir nicht mittun, gegen Esoterik, Tratsch und Zahlenhuberei hilft nur die Empirie. Also: selbst spielen. Sechs Stunden Zeit, vier Journalisten, zwei Controller, eine Playstation, das Fußball-EM-Spiel Uefa Euro 2012 und ein Kasten Bier.

Polen (Ungerer) – Griechenland (Scheper) 0:1

Die Zuschauer sind ungeduldig, weil Griechenland ewig zum Ändern der Grundeinstellungen braucht: „Geschwindigkeit muss auf 100, Flanken auf 65 – auf Hüfthöhe sind die gefährlich“ Polen: „Klingt nach Spielabbruch.“ Griechenland: „Das ham die noch von Otto.“ Das Spiel läuft, erste Großchance nach zwei Minuten. Polen drängt, der griechische Torhüter ist da. Die Anspannung steigt, Grunzgeräusche. „Ich denke, du hast Schnelligkeit auf 100 gestellt.“ – „Deswegen sind die ja schon platt.“ Ständig drückt jemand die falsche Taste, das Bild ist dann kurz weg.

Polen würde zur Halbzeit gerne sein Spielsystem wechseln, bekommt es aber nicht hin. Die Griechen haben in der 55. Minute eine Riesenchance, geredet wird nicht mehr: „Muss mich konzentrieren jetzt.“ Dann plötzlich: Tor in der 74. Minute – Fetfatzidis! Polen: „Die setzen nicht das um, was wir vor dem Spiel besprochen haben.“ Ergebnis: 1:0. Allgemeines Gelächter über den griechischen Sieg.

Deutschland (Söhler) – Niederlande (Böger) 2:0

Auf Provokation wird verzichtet, Niederlande: „Wir spucken gleich.“ Deutschland spielt in den neuen grün-weißen Trikots. Niemand erhebt sich zu den Nationalhymnen. Özil hat wieder diesen für ihn typischen depressiven Blick, Neuer hält grandios gegen Huntelaar, Holländer schinden Zeit, van Bommel verliert den Ball. Özil macht ihn halbhoch links rein: 1:0.

Wechsel in der Pause, Gomez für Klose, Mertesacker – „Warum ist der nicht auf dem Platz?“ – für Badstuber. Die Niederlande entdecken Robben auf der Bank, er kommt für Kuyt. Hektisch werden fünf Tasten gleichzeitig gedrückt, obwohl eine reicht. Das Spiel wird härter, Holland stärker. Gomez trifft nicht, Holland will eine Rauchpause. Gomez raus, Reus rein. „Das ist ja so bitter für jeden Spieler“, sagt der Kommentator zu Gomez’ Auswechslung. Die Niederlande mit 57 Prozent Ballbesitz. Konter in der Nachspielzeit. Reus läuft frech mit dem Ball über die Linie – 2:0!

Irland (Scheper) – Italien (Böger) 1:1

Irland zur Aufstellung: „Ich kenn die doch alle nicht.“ Italien „lässt das so“. Irland stellt Manndeckung ein. Italien holt sich taktische Anweisungen von den Iren: „Passen is fürn Arsch.“ Plötzlich ein Elfmeter für Italien – verschossen. Italien: „Ich hab doch noch gar nicht gedrückt.“

Zweite Halbzeit: Riesenchance für die Iren. Riesenchance für Italien. Aus dem Nichts ein Elfmeter für Irland in der 70. Minute – gehalten! „Jetzt wird’s ein Gehacke.“ Italien singt Howard Carpendales Italo-Hit „Ti amo“.

80. Minute: Der irische Innenverteidiger Darren O’Dea zimmert den Ball unter die Latte. 87. Minute: Balotelli zieht flach ab – 1:1! Am Ende scheiden beide Teams aus.

Ukraine (Ungerer) – Frankreich (Söhler) 6:1

Ukraine: „Gewechselt wird nicht. Da ist nix mehr – alle im Gefängnis.“ Frankreich: „Schön verschieben, alles verschieben.“ Danach Schweigen, ein sanftes Ohoh, ein Tsssss. 14. Minute: Giroud macht ein Tor. Ukraine: „Die machen immer Pässe, ohne dass ich drücke.“ Gelb für Nasri. Frankreich: „Da war nix.“ Ukraine: „Kann man trotzdem geben.“ Zerfahrenes Spiel, Ukraine wechselt, Malinskyi geht allein aufs Tor, schießt den Torwart an, legt nach und der Ball kullert rein.

Zweite Halbzeit: Malinskyi trifft zum 2:1 – Ukraine: „Wenn ich ein Tattoo hätte, ich würde es jetzt küssen.“ Eigentor des französischen Torwarts, 3:1. Kurz später das 4:1. Ukraine: „Frankreich könnt mir mal ein Bier holen.“ Malinskyi macht sein viertes Tor – 5:1. Malinskyi wird in Manndeckung genommen. „Bisschen spät“, kommentieren die Zuschauer. Djelic, 6:1, Endstand.

Ins Viertelfinale kommen: Griechenland, Deutschland, Ukraine, Tschechien, Portugal, Spanien, Kroatien und England.

Griechenland (Söhler) – Portugal (Scheper) 2:1 n. V.

Neuauflage des EM-Finales von 2004. Die Spielmusik wird schlimmer und klingt so, wie man sich griechisch-portugiesischen Pop vorstellt. Ronaldo sitzt auf der Bank. Griechenland „rührt schon mal Beton an“. Hektischer Auftakt, Portugal mit Frustfouls. Papadopoulos macht kurz vor der Pause das 1:0.

Zweite Halbzeit, die Portugiesen schießen drüber, schweigen und machen dann ein Tor. Verlängerung. Griechenland kontert, Papadopulos macht ihn rein, die Daumen schmerzen vom Umgang mit dem Controller. Griechenland wechselt: „Da ist ja noch ein Papadopoulos.“ Abpfiff. Griechenland im Halbfinale. Jetzt lacht niemand mehr.

Deutschland (Ungerer) – Tschechien (Böger) 8:0

Neuauflage des EM-Finales von 1996. Deutschland: „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Badstuber ausgehen.“ Tschechien verweigert den Handschlag. Schmelzer trifft gleich den Pfosten. Klose alleine – 1:0, ohne Firlefanz. Tschechen fummeln rum. Eine Minute später, Klose, 2:0. Rosicky, 20 Meter drüber. Klose schiebt zum 3:0 ein, Khedira zum 4:0 – Pausenstand. Reus kommt für Müller, 5:0 Klose, Kommentator: „Das macht Spaß!“ – Tschechien: „Von wegen.“ Klose 6:0 – alle lachen. Klose 7:0, 8:0 Özil. Tschechien nölt.

England (Scheper) – Spanien (Ungerer) 2:4

„Rache für die Armada!“ – „Sink them bastards!“ Schon vor dem Spiel kochen die Emotionen. England: „Haste dat Pochen gehört, datt war der Pfosten.“ Schweigen, 1:0, Xavi. Elfer Spanien, 2:0 Xabi Alonso. England: „Puyol, wenn ich die Matte schon seh.“ Spanien: „Ich werd Europameister.“ 3:1, Iniesta, 4:1, Iniesta, 2:4 Rooney: „Uuuiii!“

Griechenland (Söhler) – Spanien (Böger) 4:3 n. E.

Spanien dribbelt, Griechenland kontert: „Viel zu offensiv, schon dreimal über der Mittellinie.“ Torchancen für beide. Spanien: „Weg, Griechen, weg!“ 0:0 zur Pause. Spanien: „Immer dieser Papadingsda.“

0:0 nach 90 Minuten, Elfmeterschießen. Falscher Knopf gedrückt, statt Elfer gibt’s zweimal 45 Minuten Verlängerung. Tziolis schießt das 1:0 – aus Versehen. Arbeloa schießt das Tor des Turniers, drei griechische Verteidiger und der Torwart hatten sich gegenseitig ausgeknockt – 1:1. 2. Halbzeit der Verlängerung läuft alleine – rauchen. Elfmeterschießen: 1:0 Saitaridis, 1:1 Iniesta, Casillas zappelt, Ninis trifft: 2:1, Spanier rutscht aus – daneben. 3:1 für Griechenland, Pique in den Abendhimmel, Maniatis in Casillas Arme, Puyol sicher: 3:2. Matchball: Casillas hält Kones Elfer! Cesc Fabregas, wieder drüber! Griechenland tut so, als ob es sich freut. Deutschland gewinnt im zweiten Halbfinale gegen Ukraine.

Griechenland (Scheper) – Deutschland (Söhler/Ungerer) 1:0

Griechenland darf nicht gewinnen, ein Murren geht durch den Raum. Doch Kone trifft schon früh und freut sich auch noch. Sogar Badstuber spielt mit, auweia! 30 Minuten vorbei und die Griechen spielen auf Zeit. 1:0 zur Pause. Deutschland wechselt: Schürrle für Podolski, Ungerer für Söhler. Mesut Özil gegen die Griechen, gegen den Erzfeind. Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Der Tod ist Europameister! Griechenland rächt sich an Europa auf die denkbar grausamste Art. „Man ist schon peinlich berührt“, sagt selbst der, der Griechenland zum Sieg gespielt hat. Wir fahren das System runter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen