Kinotipp der Woche: Filme aus dem Herzen Europas
Ein Programm der Deutschen Kinemathek widmet sich dem aktuellen Kino aus der Ukraine. Quer durch alle Genres dominiert das Thema Krieg.
Der Gedanke ist zwar nicht originell, stimmt aber trotzdem: Wenn sich irgendetwas Positives an Putins Krieg gegen die Ukraine finden lässt, dann ist es der geschärfte Blick aus dem Westen (und zum Teil auch selbstvergewissernd aus der Ukraine selbst) auf ein Land und eine Kultur, deren Bild in Deutschland auch dreißig Jahre nach dem Ende der UdSSR von der sowjetischen Einverleibung dominiert wurde. Diese Sichtweise wurde von russischen Narrativen und Praktiken massiv verstärkt.
Auch im Kino gab es diesen Kulturkampf. So wurden viele Kopien von Werken der ukrainischen Filmgeschichte nach 1948 vom KGB aus den Studios in Kiew und Odessa nach Moskau verbracht und müssen nun mit viel Aufwand einzeln zurückgekauft werden.
Und filmhistorisch würden viele die große Regisseurin Kira Muratowa oder den Stummfilmregisseur Oleksandr Dovshenko erstmal für russische Filmschaffende halten. Dabei zog der 1894 geborene Sohn ukrainischer Bauern erst 1933 auf Befehl Stalins nach Moskau und kämpfte zeit seines Lebens für eine eigenständige ukrainische Kultur.
Teil einer dezidierten Ukraine-Trilogie war auch sein Spielfilm „Arsenal“ von 1929, der in kraftvollen expressionistischen Bildern ein komplexes und widersprüchliches Bild des Aufstands um die gleichnamige Kyiver Fabrik entwirft.
Jetzt eröffnete der Film in einer neuen elektronischen Vertonung im Berliner Delphi Lux ein Programm der Deutschen Kinemathek, das sich unter dem Titel „Perspectives of Ukrainian Cinema“ bis Ende des Monats mit neun Filmen in Kinos in Berlin, Hamburg und Leipzig der Promotion aktuellen ukrainischen Filmschaffens widmet.
Kuratiert haben es Victoria Leshchenko und Yuliia Kovalenko von der neu gegründeten ukrainischen Initiative „sloїk film“. „Heute erlebt das ukrainische Kino eine Renaissance, mit neuen Namen und einer bunten Landkarte von Genres“, sagen die beiden in ihrer Einführung, „und dieses Programm eröffnet einen Blick auf diese Landkarte.“ Dabei ist bei aller Buntheit nicht zu übersehen, wie sehr die 2014 begonnenen Kriegshandlungen die oft mehrfach ausgezeichneten Filme dominieren.
So etwa die in naher Zukunft spielende post-apokalyptische Kriegs-Dystopie „Atlantis“ von Valentyn Vasyanovych (2019) oder der auf dem diesjährigen Berlinale-Panorama mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Spielfilm „Klondike“ der Regisseurin Maryna Er Gorbach, der in unmittelbarer Nähe der Absturzstelle der in der Ostukraine abgeschossenen Passagiermaschine des Flugs MH 17 einen politischen Familienkonflikt durchspielt.
Im Donbass spielt auch Iryna Tsilyks starker, das Kino und das Leben feiernder Dokumentarfilm „The Earth is Blue as an Orange“ über eine alleinerziehende Mutter und ihre Töchter, die selber mit Leidenschaft Filme drehen (2020).
Geradezu emblematisch scheint heute aber der nur zehnminütige, doch sehr eindringliche Kurzfilm „Territory of Empty Windows“, in dem die junge Regisseurin Zoya Laktionova eine zartfarbige und elegische Hommage an ihre von Industrie und Meer geprägte Heimatstadt Mariupol komponiert. Darin hat neben der Familie selbstverständlich auch das vor Kurzem so heftig umkämpfte Asow-Stahlwerk (das früher auch einmal Krupp gehörte, wie wir in Archivbildern sehen) einen Platz.
„Wohin sollen wir denn gehen?“, sagt eine Stimme aus dem Off am Ende, „unsere Eltern sind hier begraben.“ Das wurde 2020 gedreht. Heute ist aus der Elegie längst eine gewaltige Totenklage geworden. Und wir wissen, dass auch die Wohnhäuser, die am Ende des Films in der Ferne durch ein im Wind schwankendes Fenster zu sehen sind, wahrscheinlich nicht mehr stehen.
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