Das kommt am 1. Mai in Berlin: Solide Basisarbeit im Kiez
In der Walpurgisnacht zieht die Kiezdemo „Hände weg vom Wedding!“ los. Man will die Reichen enteignen, erlaubt sich aber ansonsten keine Träumereien.
Die organisierende Initiative „Hände weg vom Wedding“ zielt ins Herz der kapitalistischen Ungleichheit – wobei ihre Forderungen, etwa nach Enteignung, recht pragmatisch sind. Und auch sonst fehlt die für den 1. Mai typische Revolutionsträumerei: Lediglich eine Reichensteuer, ein vergesellschaftetes Gesundheitssystem und Strafen für Bosse, die Union Busting betreiben, sollen her. Enteignet werden sollen Lebensmittel-, Strom-, Wasser-, Immobilien- und Rüstungskonzerne, also Wirtschaftsbereiche, für die die kapitalistische Verwertung ohnehin nicht angemessen erscheint.
Samstag, 30. April
Von der Krise zur Enteignung
Kiezdemo „Hände weg vom Wedding“. U-Bahnhof Leopoldplatz, 15 Uhr
Take back the Night
FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary, Trans, Agender-Personen) – exklusive Demo. Mauerpark, Eingang Bernauer Straße, 20 Uhr
Sonntag, 1. Mai
DGB-Gewerkschaftsdemo
Nach zwei Jahren Pandemiepause findet erstmals wieder die traditionelle Gewerkschaftsdemo statt. Es wird auch einen radikalen klassenkämpferischen Block geben. Alexanderplatz 10.45 Uhr, Kundgebung Platz des 18. März 12 Uhr
Umverteilung oder Barbarei
Das „Quartiersmanagement Grunewald“ ruft zum Protest im Villenviertel auf. Drei Fahrradkorsos und eine Kundgebung. Treffpunkte der Fahrradkorsos zwischen 10 und 11 Uhr: Gesundbrunnen, Laskerstraße nahe Ostkreuz, Hohenstaufenplatz Neukölln. Kundgebung am Johannaplatz in Grunewald, 12 bis 16 Uhr. Die Fahhradkorsos enden gegen 17.30 Uhr in Neukölln
Revolutionäre 1.-Mai-Demo
Dieses Jahr unter dem Motto „Yallah Klassenkampf – No war but class war“. Kundgebung Hertzbergplatz ab 16.30 Uhr. Start der Demo 18 Uhr. Endpunkt Oranienplatz. (taz)
In diesem Jahr ist natürlich auch der Ukrainekrieg Thema, wobei die Initiative auf der orthodoxen Linie der Ostermärsche verharrt: Keine Aufrüstung und schwere Waffenlieferungen, nur der Weg der Diplomatie könne eine Lösung sein. Auf taz-Nachfrage sagt Sprecher Marc Brunner, er könne schon nachvollziehen, dass einige Ukrainer:innen zur Verteidigung Waffen wollen. „Das würde aber eine Eskalationsspirale bedeuten, die schnell zu einem Atomkrieg führen könnte.“
Seit 2012 findet die Demonstration im Wedding statt. Seither hat sich der Protest quasi vollständig verfriedlicht – und ist zudem wieder politischer geworden. Vorbei sind also die Zeiten, in denen es „erst ein Punkkonzert und dann Krawalle“ gab, wie sich Brunner erinnert. Inzwischen fremdeln die Organisator:innen sogar mit dem Begriff der Walpurgisnacht. „Wir haben uns organisatorisch und inhaltlich vom früheren eventorientierten Demotyp entfernt“, sagt Brunner.
Schon 2010 und 2011 habe die Gruppe die traditionellen Walpurgisnachtproteste um den Boxhagener Platz in Friedrichshain herum durch eine Demonstration in Prenzlauer Berg ergänzt, welche den Kampf gegen die Gentrifizierung in den Mittelpunkt stellte. Als sich dann die Sternburg-Brigaden, die die Friedrichshainer Demos bisher organisierten, 2012 auflösten, bot sich die Verlagerung in den Wedding an. „Im Prenzlauer Berg war der Kampf ja auch verloren“, sagt Brunner.
In Wedding habe das erst einmal „große Wellen geschlagen“, erinnert er sich. „Ladenbesitzer:innen haben aus Angst vor Krawallen ihre Fenster zugenagelt.“ Mit den Jahren aber habe sich Vertrauen aufgebaut. Es zahle sich aus, dass die Gruppe im Bezirk aktiv sei, Nachbar:innen bei Problemen unterstütze, alle Kämpfe solidarisch begleite. Für den erfolgreichen Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnkonzerne im vergangenen Jahr war die Initiative aktiv; auch den Streik der Berliner Krankenhausbewegung hat sie eng begleitet und etwa Kundgebungen vor Weddinger Krankenhäusern organisiert.
Die Initiative unterstützt die linke Kiezzeitung Plumpe und co-betreibt das Kiezhaus „Agnes Reinhold“ in der Afrikanischen Straß sowie ein internationalistisches Büro in der Genter Straße. Darüber hinaus organisiert sie offene Treffen, den Solidaritätstreff Soziale Arbeit zum Beispiel. „Dort tauschen sich Sozialarbeiter:innen über ihre schlechten Arbeitsbedingungen aus und unterstützen sich gegenseitig bei der Gründung von Betriebsräten oder Betriebsgruppen“, erzählt Brunner.
Er ist sich sicher: „Das, was Veränderung bringt, ist die Selbstorganisation der Menschen, die vom Kapitalismus betroffen sind.“
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