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Onlinespiel „Axie Infinity“Digitaler Feudalismus

„Axie Infinity“ ist ein Play-to-Earn Game. Vor allem Spieler aus dem Globalen Norden profitieren finanziell, indem sie philippinische Nutzer für sich spielen lassen.

Schräge Wesen, einst gute Profite: Axie Infinity Foto: Sky Mavis

Es sieht aus wie eine Kopie von „Pokémon“, bei der sich die Gestalter wenig Mühe mit dem Design der Spielwelt und der Figuren gegeben haben. Doch trotz der lieblosen Gestaltung war das Onlinespiel „Axie Infinity“ eine Zeit lang eine Gelddruckmaschine für seine Schöpfer und einige seiner Nutzer. Denn das Spiel ist eigentlich nur eine visuelle Oberfläche für die Generierung einer Kryptowährung. Das Game erlaubte es vor allem Nutzern aus Europa und den USA, direkt von der Armut im Globalen Süden zu profitieren.

Auf den ersten Blick ist „Axie Infinity“ ein Onlinespiel wie viele andere auch. Es kann auf dem Smartphone oder dem Computer gespielt werden. Ansonsten braucht man nur einen Internetzugang, um mitzumachen. Das Spiel wurde 2018 von dem vietnamesischen Unternehmen Sky Mavis veröffentlicht und erinnert an Games wie „Pokémon“ oder „Neopets“ oder die Ende der 90er Jahre beliebten Tamagotchis. Das Spielprinzip: Die Teilnehmer erwerben virtuelle Kreaturen, eben Axies, die aufgezogen und gehandelt werden oder in Turnieren gegen die Figuren anderer Spieler in einer Art virtuellem Schachspiel antreten.

Jede dieser Figuren hat einen eigenen, computergenerierten „genetischen Code“, der die Eigenschaften der Axies bestimmt, ihre Farbe genauso wie bestimmte Fähigkeiten, die in den Onlineturnieren von Bedeutung sind. Und dieser Code ist als ein non-­fungible token, kurz NFT, gespeichert. Diese „einmaligen Wertschriften“ sind digitale Echtheitszertifikate: eine lange Schlange von Buchstaben und Zahlen, die in der globalen Onlinedatenbank Blockchain verzeichnet sind.

Anfangs kosteten die Axies wenige Euro, nach einem Jahr waren einige von ihnen bis zu 2.000 Euro wert

In der Blockchain wurden ursprünglich die „Münzen“ von Kryptowährungen wie Bitcoin wie in einem Register verzeichnet, um deren Originalität zu garantieren. Aber inzwischen werden NFTs, die in der Blockchain registriert sind, dazu verwendet, die Authentizität von anderen virtuellen oder sogar physischen Objekten sicherzustellen. Der amerikanische Künstler Mike Winkelmann alias Beeple gehört zu jenen, die dank NFTs zum Millionär wurden. Er verkaufte über das Auktionshaus Christie’s ein NFT für sein digitales Kunstwerk „Everyday“ für knapp 70 Millionen Dollar. Der Sammler erhielt ein Stück Code in der Blockchain, die ihn als Inhaber des NFTs von „­Everyday“ ausweist.

Erkleckliche Wertsteigerung

Um derart astronomische Summen geht es bei „Axie Infinity“ zwar nicht, aber wer früh in das Spiel einstieg und Axie-Figuren für die anfangs niedrigen Preise erwarb, konnte in den Genuss erklecklicher Wertsteigerung kommen. Anfangs kosteten die Axies wenige Euro, nach einem Jahr waren einige von ihnen bis zu 2.000 Euro wert. Ihren Wert kann man noch steigern, indem man sie im Spiel einsetzt oder sie neue Axies zeugen lässt, die man dann an andere Spieler verkauft. Diese Deals werden in der Kryptowährung Smooth Love Potion (SLP) durchgeführt, die für das Spiel entwickelt wurde. Und diese Währung kann man – anders als andere Game-Währungen, die es bei Spielen wie „World of Warcraft“ schon seit Jahren gibt – an Kryptobörsen in reales Geld umtauschen.

Rund drei Jahre nach dem Erscheinen im Sommer 2021 zählt „Axie Infinity“ zu den erfolgreichsten Blockchain-Games überhaupt. Es entwickelte sich zur damals wertvollsten NFT-Sammlung der Welt, auf Twitter verkündet Co-Founder ­Aleksander ­Leonard ­Larsen ein Handelsvolumen von vier Milliarden US-Dollar. Ende 2021 verzeichnet das Spiel fast drei Millionen monatlich aktive Nutzer, mehr als jedes andere Blockchain-Game. „Axie Infinity“ ist also ein play-to-earn game. Man spielt es nicht in erster Linie aus Spaß an der Freude, sondern als Verdienstquelle.

Methode, um Einkommen zu ergänzen

In Ländern des Globalen Südens wie Venezuela oder auf den Philippinen ist „Axie Infinity“ tatsächlich zu einer Methode geworden, sein Einkommen zu ergänzen oder sogar ganz vom Zocken zu leben. Während der Co­ro­na­kri­se und der diversen Lockdowns verbreitete das Spiel sich selbst wie eine Pandemie. Plötzlich wurde „Axie Infinity“ von ganzen Familien, von den Kindern bis zu den Großeltern, gespielt, als man in dem südostasiatischen Land wegen eines monatelangen strikten Lockdowns zu Hause saß und kein Geld verdienen konnten.

Es spielten Motorradtaxi-Fahrer, die auf Kunden warteten, oder Kioskbesitzerinnen, wenn sie keine Kundschaft zu bedienen hatten. Teilweise spielten Familien auch in Schichten, um sich damit ihren Lebensunterhalt zu sichern. Und zwischenzeitlich war es 2021 tatsächlich möglich, mit „Axie Infinity“ pro Monat als Vollzeitspieler mehrere Hundert Euro zu verdienen – nicht schlecht in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen etwa 800 Euro beträgt, aber viele Menschen in informellen Jobs auch wesentlich weniger verdienen.

„Stipendium“ als verschleiernder Begriff

Als die Kaufpreise für die Axies wegen des Erfolgs plötzlich in die Tausende ging, waren die Einsteigerpreise für die vielen Spieler im Globalen Süden kaum noch zu bezahlen. So entstand ein neues Geschäftsmodell, die sogenannten scholarships. Der „Stipendiengeber“ – in der Regel Spieler aus Europa oder den USA – erwirbt ein oder mehrere Axies, die er an regelmäßige Spieler ausleiht. Dann konnte er sein Geld buchstäblich für sich arbeiten sehen: Die Spieler auf den Philippinen begannen mit den Figuren am Spiel teilzunehmen und Krypto­tokens zu erwirtschaften. Die Gewinne, die der Spieler erwirtschaftet, werden zwischen Axie-Besitzer und Spieler geteilt, wobei die Spieler zum Teil weniger als die Hälfte ihrer Gewinne behalten dürfen.

Wer verschleiernde Begriffe wie „Stipendium“ ignoriert, entdeckt hier die digitale Version eines Wirtschaftssystems, das auf den Philippinen seit der Kolonialisierung durch Spanien im 16. Jahrhundert bekannt ist: einen Feudalismus, worin die Bauern kein Land besitzen und gezwungen sind, für einen Grundherrn zu arbeiten. Die Gutsherren auf ihren Haciendas bilden eine Rentiersklasse, die von den Mühen ihrer schlecht bezahlten Arbeiter lebt und die Profite in immer neue Unternehmen und andere Investitionen stecken kann.

Unterdrückerische religiöse Praktiken in Verbindung mit mangelnder Bildung führen zu einer Kultur, in der die Arbeiter den bedingungslosen Gehorsam und utang na loob (Dankbarkeit) gegenüber ihren Hacienderos verinnerlichen. So erklärt sich, dass die „Axie Infinity“-Spieler sich bei ihren „Gönnern“ teilweise mit blumigen Dankesschreiben oder Geburtstagsgrüßen dafür erkenntlich zeigen, dass sie zu ausbeuterischen Bedingungen für sie an einem Computerspiel teilnehmen dürfen.

Internetfirmen als „Cyberlords“

Der philippinische Aktivist und Autor Roberto Verzola hatte solche feudalistischen Strukturen bereits Ende der 1990er Jahre in der sich entwickelnden Internetökonomie erkannt. Lange vor den wirtschaftlichen Triumphen von Unternehmen wie Google oder Facebook beschrieb er Internetfirmen als „Cyberlords“ und als eine neue Rentiersklasse. Heute sind wir alle unfreiwillige Mitschöpfer der atemberaubenden Profite, die die Unternehmen der Onlinewirtschaft aus unserer Teilnahme an ihren Angeboten beziehen. Die armen philippinischen Tagelöhner, die am Smartphone „Axie Infinity“ zocken, sind im Grunde nur eine besonders krasse und tragische Variante dieser Form der Ausbeutung.

Im März 2022 wurde „Axie Infinity“ zum Opfer eines Hacks, der inzwischen als der profitabelste Krypto­raubzug ­aller Zeiten gilt. Eine nordkoreanische Hackergruppe stahl dem Unternehmen umgerechnet 620 Mil­lio­nen Dollar in den Kryptowährungen Ether and USDC. Was überall sonst wohl das Aus bedeutet hätte, führte bei „Axie Infinity“ lediglich dazu, dass man das Geschäftsmodell und das Spiel aktualisierte: Kurzzeitig werden alle Transaktionen eingefroren, User können dadurch weder ihre NFTs eintauschen noch neue kaufen.

Dramatische Verluste

Um alle Spieler aber auszahlen zu können, sammelt das Unternehmen von den Investoren 150 Millionen Dollar ein. Damit sollen auch Sicherheitsmaßnahmen verbessert werden. Doch die Nutzerzahlen sinken trotzdem, auch der Kurs der „Axie Infinity“-Kryptowährung SLP stürzt von einst 30 Dollarcent auf gerade einmal 1 Cent ab. Für die Spieler bedeutet das, dass sie nun 30-mal so lange spielen müssen wie im Sommer 2021, um dieselben Einnahmen zu erzielen. Wer damals die Kryptowährung oder seine Axies nicht rechtzeitig losgeschlagen hat, musste dramatische Verluste hinnehmen.

Auf den Diskussionsboards im Internet, wo sich die „Axie Infinity“-Spieler austauschen, ist ein echter Sturm der Entrüstung allerdings ausgeblieben. Viele Spieler haben leise enttäuscht aufgegeben; andere hoffen auf einen zweiten Boom des Spiels und seiner Kryptowährung. Auch für den Fatalismus, den man sich angewöhnt, wenn man der Übermacht der Herrschaft hilflos gegenüber­steht, gibt es in der Sprache der ­Philippinen einen Ausdruck: ­bahala na. Auf Deutsch: Es kommt, wie’s kommt.

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1 Kommentar

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  • Hallo Herr Baumgärtel,

    ich bin sehr froh zu hören, dass bei der TAZ sämtliche Einnahmen direkt an die Mitarbeiter ausgegeben werden, da alles andere scheinbar direkt ein feudalistisches System wäre.

    Zum Artikel: Obwohl Sie viele Fakten aufführen haben Sie es scheinbar nicht für notwendig gehalten, mit jemandem zu reden, der entweder Scholarships anbietet oder selbst spielt. Stattdessen erzählen Sie die gleiche Geschichte von Ausbeutung wie schon die Kollegen von mein-mmo, die es ebenfalls nicht für notwendig hielten, solche Gespräche zu führen.

    Vorweg: Natürlich gibt es bei dem Spiel und in dem System schwarze Schafe (so wie überall vermutlich), aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.

    Bei den meisten angebotenen Scholarships, erhalten die Spieler mehr als 50% der Einnahmen (www.coingecko.com/...scholarship_guide) und Gewinne in den Seasons oder bei Turnieren, dürfen die Spieler oft zu 100% behalten. Nach dem Typhoon im Dezember haben viele "Manager" auf ihren Anteil komplett verzichtet. Es wird auch keiner der Spieler unterdrückt oder zum Spielen gezwungen. Das Risiko trägt komplett derjenige, der die Axies bereitstellt. Verstößt ein Spieler gegen die Regeln (z.B. Multi-Accounting), werden die verwendeten Axies für mehrere Monate gesperrt. Verlieren die Axies an Wert, trägt diesen Verlust allein der Investor.

    Zu behaupten, dass dieses System nur auf Grund schlechter Bildung funktioniert, zeugt entweder von Arroganz oder von Unwissenheit. Viele der Scholars sind Studenten, die sich dadurch nebenbei Geld verdienen, vermutlich unter besseren Bedingungen und zu besseren Konditionen als Studenten bei uns.

    Es ist übrigens falsch, dass Spieler nun 30 mal so lange spielen müssen. Dies ist nicht möglich da man täglich nur eine bestimmte Anzahl an Kämpfen austragen kann. Es sind also einfach die Einnahmen geringer geworden.

    Trotzdem bleiben viele Spieler dabei, weil das Spiel eben tatsächlich Spaß macht.