Treffen im brandenburgischen Bio-Hotel: Diesmal Anreise per Bus
Im Landgut Stober bei Nauen, wo bereits der Senat tagte, geht nun die Grünen-Fraktion in Klausur. Auch der Ukrainekrieg und die Folgen sind Thema.
Jian Omar ist einer dieser Neuen. „Dass ich mal die Arbeit einer Partei mitprägen würde, das war damals unvorstellbar“, sagt er im Gespräch mit der taz. Omar, 37, sitzt bei diesen Worten entspannt in einem der roten Sessel auf den Fluren des Abgeordnetenhauses. „Damals“, das war 2005, als er, Angehöriger der kurdischen Minderheit, Syrien verließ. Omar studierte in Münster und Berlin, erhielt Geflüchtetenstatus, wurde Deutscher, engagierte sich für andere Flüchtlinge, fand zu den Grünen – und kam im Herbst ins Parlament.
Werdegang und Engagement haben ihn prädestiniert, einen „Masterplan Ankommen & Teilhaben“ für ukrainische Flüchtlinge zu schreiben, den die Fraktion bei der Klausur besprechen will. „Wir profitieren viel von seinen Erfahrungen“, sagt Fraktionschefin Silke Gebel der taz. Omars großes Anliegen für den Umgang mit Flüchtlingen: dafür zu sorgen, „dass sich die Menschen hier wohl fühlen“. Ebendas soll eine „grüne Linie“ werden, hinter die man nicht mehr zurückfallen dürfe.
Die Wahl, die Omar wie 15 andere Grüne neu in die Fraktion brachte, liegt kaum acht Monate zurück. Doch die Coronapandemie, der Streit über den Umgang mit dem Volksentscheid zur Enteignung von großen Wohnungseigentümern und seit Februar der Ukrainekrieg lassen den Wahltermin weit länger zurückliegend wirken.
Dass nichts daraus wurde, nach der Verteilung von Vorstandsaufgaben und Sprecherjobs reibungsfrei in die neue Wahlperiode zu finden, hat aber auch viel mit einem Rücktritt zu tun. Im Februar gab Antje Kapek bekannt, dass sie nach über neun Jahren als Fraktionschefin nicht mehr könne: zu belastend, zu kraftraubend seien Pandemie, Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen gewesen.
Graf rückte für Kapek an die Fraktionsspitze
Nachfolger wurde einer, der erst wie ein Verlierer der Personalentscheidungen nach der Regierungsbildung ausgesehen hatte: Werner Graf, bis Ende 2021 noch Grünen-Landesvorsitzender, wäre gerne Verkehrssenator geworden – doch das Ressort ging an Bettina Jarasch als vormalige Spitzenkandidatin.
Schon nach wenigen Wochen im neuen Amt sorgte Graf für eine Überraschung. Während die Grünen, vor allem in Person von Jarasch, beim umstrittenen Enteignungsthema lange eine Mittelposition einzunehmen schienen, legte er sich im Tagesspiegel fest: Es geht aus Grafs Sicht nur um das Wie und nicht um das Ob von Enteignung.
„Das hat mich überrascht“, reagierte Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) im taz-Interview. Vor allem der Zeitpunkt von Grafs Äußerung konnte irritieren: Denn nach etwas Gezerre hatte sich gerade die von der Koalition verabredete Expertenkommission zu diesem Thema gefunden. Sie soll nun möglichst in Ruhe bis zum nächsten Frühjahr beraten.
Dass Grüne und SPD derzeit nicht durchweg allerbeste Freunde sind, hat aber auch mit Grafs Chefkollegen Raed Saleh von der SPD-Fraktion zu tun: Der preschte jüngst allein mit der Nachricht vor, dass er für die Koalition eine Verfassungsänderung zur Absenkung des Wahlalters mit der FDP vereinbart hatte. Und verbreitete per Interview den Vorschlag, das Parlament könne Volksbefragungen auf den Weg bringen – wohl wissend, dass seine Koalitionspartner, bislang jedenfalls, von solchen aus ihrer Sicht „von oben“ angesetzten Abstimmungen nichts halten. Und so kann man im Parlament durchaus erleben, wie Grünen-Abgeordnete SPD-Senatsmitglieder im Stil von Oppositionsmitgliedern befragen.
Wobei die Klausur dabei nun etwas die Wogen glätten könnte: Saleh ist nämlich, wie auch die Doppelspitze der Linksfraktion, als Gast im Landgut Stober angekündigt. Am Samstagabend soll über die nächsten Jahre rot-grün-roter Zusammenarbeit diskutiert werden. Vielleicht orientieren sich die Koalitionäre dabei auch an einer Erkenntnis, die Ex-Fraktionschefin Kapek jetzt, rund zehn Wochen nach ihrem Rücktritt, in der Berliner Morgenpost von sich gab: „Weniger Arbeit führt dazu, dass man mehr schafft.“
Mit dem erwähnten Reisebus, der die Ex-Chefin, ihren Nachfolger Graf, Flüchtlingspapier-Verfasser Omar und den Rest der Fraktion, aber auch grüne Senatsmitglieder zum Landgut bringt, soll die Anreise klimaneutral sein. Immerhin trägt der Tagungsort den Beinamen „Biohotel am See“. Im Januar bei einer Senatsklausur dort war das noch anders. Da reisten auch grüne Senatsmitglieder im Dienstwagen an. Umweltsenatorin Jarasch, so rückte es ihr Pressesprecher am Donnerstag gegenüber der taz zurecht, kam zumindest vollelektrisch, in einem Tesla Model 3.
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