: Träume auf Beton
Im Zoo in Münster malen 20 Azubis, darunter Geflüchtete, die grauen Wände bunt. Es geht um Anerkennung für das Handwerk – und um Schicksale
Von Tigran Petrosyan (Text) und Jakob Schnetz (Fotos)
Ein Nilpferd fährt in einem Heißluftballon. „Erstaunlich, aber süß“, sagt Ahmed Murad. Das Bild auf der Mauer der Hafenanlage des Allwetterzoos im westfälischen Münster hat er gemalt.
Die graue Betonfläche wird jeden Tag bunter. Über die Wasserfläche des großen Aasees wurden damals die meisten Tiere in den Zoo transportiert. Auch die Besucher:innen nehmen heute häufig diesen Weg. Allein etwa 40.000 kommen im Sommerhalbjahr mit dem Solarboot in den Zoo. Und ab jetzt werden sie alle zuerst das Nilpferd im Heißluftballon sehen. Darauf ist Ahmed Murad stolz. Der 21-Jährige ist vor sechs Jahren mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen. Bunte Farbflecken finden sich überall auf seiner Arbeitskleidung, auf den Händen und im Gesicht. Sein Traum geht in Erfüllung. „Mein Vater war ein Maler und ich wollte auch immer Maler werden.“
Seit acht Monaten macht Murad eine Ausbildung als Maler und Lackierer im Adolph-Kolping-Berufskolleg in Münster. Etwa 20 junge Menschen im Alter von 17 bis 25 Jahren arbeiten an der Baustelle am Hafen. Die Auszubildenden sind Teil des „Zooprojektes 2022“, das von Studiendirektor Ingo Gericke vor einigen Jahren initiiert wurde. Anfang April sollen die neuesten Wandbilder der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Doch im Moment spielt das Wetter nicht mit. Es regnet und schneit. Die Schüler:innen haben große Zelte aufgebaut. Darunter versteckt, zeichnet ein Auszubildender die Streifen eines Tigers, ein anderer arbeitet an einem riesigen Bärenkopf, und ein Stück weiter lässt ein junger Maler Pinguine im Gänsemarsch über die Betonwand watscheln.
Bunja Dampha malt keine Tiere, er malt einen Rettungsring. Es ist auch sein Schicksal, das er hier verarbeitet. Fast drei Jahre ist es her, dass er aus Gambia über das Mittelmeer nach Italien kam und es von dort nach Deutschland geschafft hat. Heute ist er 18 Jahre alt. „Oh ja, es war sehr gefährlich“, sagt er und steckt den Pinsel wieder in den roten Farbtopf. Wenn er heute zurückblickt, kann er es immer noch nicht fassen, wie er es geschafft hat, am Leben zu bleiben. In Münster lebt er in einer Pflegefamilie. Hat er Träume? „Nicht mehr“, sagt er. Sein Fluchtweg habe auch seine Träume zerstört. „Ich will jetzt nur ein guter Maler werden.“
Daran glaubt auch sein Lehrer Ingo Gericke. „Wir leben in Deutschland mit einem Akademisierungswahn“, kritisiert er. Er sagt aber auch: „In Deutschland haben tatsächlich immer noch nicht alle Kinder dieselben Chancen in der Schule.“ In seinen Klassen finden sich oft Schüler:innen aus Familien mit kleinen Einkommen, ohne Abitur und welche, die die Schule abgebrochen haben, erzählt Gericke. Häufig wurden sie als „schwierig“ oder „dumm“ abgestempelt. „Das ist völliger Quatsch“, findet er. „Intelligenz beweist sich nicht in den Schulnoten, sondern in der Flexibilität des Geistes.“ Er hat festgestellt, dass viele seiner Schüler:innen eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) haben. Doch beim Malern kämen sie zur Ruhe und könnten ihre individuellen Stärken ausbauen. „Die Erfolge sind sofort spürbar.“
Seit 22 Jahren bringt der heute 53-Jährige seinen Schüler:innen bei, ihr Handwerk in all seiner Vielseitigkeit zu erleben. Und er kämpft um mehr Anerkennung für sie. Deswegen sei es ihm auch so wichtig, sie im öffentlichen Raum vorkommen zu lassen. Das gelingt ihm mit dem Projekt im Zoo. Bis jetzt haben etwa 180 junge Menschen den Zoo innen und außen bemalt. Sie setzten sich dabei mit den unterschiedlichen Tiergehegen auseinander, sie stellten die persische Architektur den Kletterkünsten der seltenen Persischen Leoparden gegenüber. Und sie weisen gestalterisch auf den Klimawandel hin und bilden die zahlreichen Bedrohungen des Wattenmeers in der Deutschen Bucht ab.
„Wir haben ein Objekt ausgesucht, bei dem die Schüler:innen auch Fehler machen dürfen, wenn sie ihre Kreativität entwickeln“, sagt Gericke. Passieren welche, korrigiert er sie dennoch. Er geht an der Mauer der Hafenanlage von einem zum anderen und gibt Anweisungen, nimmt auch mal den Pinsel selber in die Hand.
Auf der Baustelle arbeiten fast nur Jungs, die Handwerker werden wollen. Ob sie das auch besser können? Kaila Sanders lacht. Sie ist die einzige Frau, die hier einen Pinsel und einen Farbeimer in der Hand hat. „Frauen sind sogar besser, wenn es um die Feinarbeit bei der Malerei geht“, sagt sie. Doch auch in Münster seien Menschen nach wie vor konservativ, wenn es um Beruf und Geschlechtergerechtigkeit gehe. „Jobs im Handwerk sind nichts für eine Frau“, solche Sprüche höre sie ständig. Doch sie fühle sich dadurch weder beleidigt, noch sei sie wütend. „Labern lasse ich jeden“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich mache einfach meinen Job.“
Kaila Sanders ist 23 Jahre alt und knapp zwei Meter groß. „Ein Vorteil für eine Malerin.“ Sie sei immer die Größte unter ihren Schulkamerad:innen gewesen und habe immer blöde Witze wegen ihr Größe gehört. „Irgendwann war mir das egal. Ich habe einfach gelernt, den Blödsinn zu ignorieren.“ Es hat auch lange gedauert, bis sie verstanden hat, was sie in ihrem Leben machen wollte. Zwei Ausbildungen hat sie bereits abgebrochen. Mit siebzehn begann sie ihre erste Ausbildung als Altenpflegerin. Sie musste wieder viel auswendig lernen, worauf sie nach der Schule keine Lust mehr hatte. „Ich musste alle Menschenknochen auf Latein lernen. Und das hat mich sehr gestresst.“ Ebenfalls keine Freude hatte sie bei der Ausbildung als gastronomische Fachkraft bei McDonald’s. Sie geht auch von dort weg.
„Nun bin ich letztendlich da, wohin ich gehöre, bei der Malerei. Und das macht mich auch glücklich“, sagt sie. Hier kann sie im Team ihre guten Fähigkeiten beweisen. Sie kann am besten die Übergänge zwischen zwei verschiedenen Farben schaffen, erzählt sie. Es ist kein Zufall, dass sie den großen Elefanten – das Symbol des Münsteraner Allwetterzoos – malt.
Das ist eine große Verantwortung. Kaila Sanders trägt mit dem Pinsel die Farbe Orange auf, zieht graue Ränder durch, solange die Farben noch feucht und nass sind, und genau so bekommt sie es hin – das Auge des Elefanten. Abends, wenn die Besucher:innen den Zoo langsam verlassen, geht Sanders häufig zu den Elefanten. „Wenn ich in die Augen der Tiere schaue, spüre ich ihren Schmerz. Sie sind eingesperrt“, sagt sie und macht kreisende Bewegungen mit dem Pinsel über einem schwarzen Punkt – sie malt die Pupille.
„Ich finde es gut, wenn man Tierarten vor dem Aussterben bewahren möchte, doch in den Käfigen sind sie gestresst und die freie Natur wird für sie keine Alternative mehr sein.“ Um die Tierwelt kennenzulernen, sei der Zoo ein guter Ort. Doch Sanders hat eine klare Haltung: „So viele Zoos brauchen wir in Deutschland nicht. Und in den Zoos sollten auch weniger Tiere leben“, sagt sie. Wer unbedingt einen echten Elefanten sehen will, könne ja nach Afrika reisen. „Oder es reicht der Elefant, den ich gemalt habe. Groß genug ist er auf jeden Fall“.
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