Oper Jenůfa in Bremen: Jenseits der Relevanz
Leoš Janáčeks „Jenůfa“ spielt am Theater Bremen in der Zeit um 1989. An Dringlichkeit gewinnt das Sozialdrama aus dem ländlichen Mähren dadurch nicht.
Heißt: Wir sehen uns im Betrieb einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft statt aufm Gutshof. Und per Videoeinspielung sind Szenen vom Prager Wenzelsplatz zu sehen, in Schwarz-Weiß, Václav Havel mittenmang. Sorgt das für mehr Dringlichkeit?
Sozialdramen haben den Vorteil und das Problem, diese direkt aus ihrer raum-zeitlichen Umgebung zu beziehen. Sprich: Ohne Leoš Janáčeks Veroperung, Uraufführung 1904, wäre Gabriela Preissovás Theaterstück „Její pastorkyňa“, 1890 nah dran an der naturalistischen Avantgarde, wohl genauso in Vergessenheit geraten wie die Bühnenwerke Émile Zolas. Aber vertont und unter dem etwas eingängigeren Titel „Jenůfa“, den Max Brod dem Drama zwecks internationaler Vermarktung schließlich gegeben hat, ist es kanonisch geworden.
Gegenwärtig steht diese Dorfgeschichte von ungewollter Teenie-Schwangerschaft, verweigerter Vaterschaftsanerkennung und einem fürsorglichen Kindsmord durch die Stiefmutter zwecks Wiederherstellung der Heiratsfähigkeit ihrer Ziehtochter – Gaststar Ulrike Schneider vermag es, die ganze Tragik dieser Küsterin Buryja und ihres grausamen Mitleids zwischen Kalkül und Wahn auszuloten – weltweit auf zahllosen Spielplänen.
Der Klang des Nationalismus
Neuproduktionen gab’s seit 2021 in London, Berlin, Cardiff, Wien und Genf, Ende des Monats kommt noch Rouen dran. Die Frage, was denn diesem Werk hier und fürs Jetzt Bedeutung verleiht, konnte indessen auch die Bremer Produktion nicht klären.
Stört es denn niemanden, dass der – von Luis Olivares Sandoval erschreckend leisetreterisch gesungene – Verehrer Laca, der die Titelfigur aus Eifersucht verstümmelt, zum Happy End als großer Liebender auftreten darf? Spielte am Ende die seltsame Sehnsucht nach einem Nationalismus mit Herz eine Rolle?
Kaum. Dass sie es ist, die da aus der Musik klingt, den Anleihen an und Neufassungen von Volkslied und -tanz, ist lexikalisches Wissen. Statt sich ein versifiziertes Libretto zu beschaffen, hatte Janáček seinerzeit ganz auf die melodischen Eigenschaften von Preissovás Prosa gesetzt, die Rhythmen und Klänge des Tschechischen, um dessen überragende Musikalität zu demonstrieren.
Nervt. Aber das hört man ihr nicht an: Die Musik, mit Finesse und unbändiger Verve zugleich von den Bremer Philharmonikern unter Leitung von Yoel Gamzou gespielt, als wären sie ein Weltklasse-Orchester, wischt locker die unangenehmen Intentionen ihres Schöpfers beiseite.
Sie analysiert, unablässig vorantreibend, wühlend geradezu, den Konflikt. Sie legt einen Schmerz in ihm frei, den man gern altertümlich allgemein und menschlich nennen würde. Und sie bindet ihn idiomatisch zurück an eine extrem betriebsame aber in Tradition erstarrte Gesellschaft. Eine, die für Atemnot sorgt.
Leoš Janáček: „Jenůfa“, Theater Bremen, Großes Haus, wieder am 16., 20. und 22. 4., jeweils 19.30 Uhr, 13. und 15.5. sowie 8. 6., 19.30 Uhr und 22. 5., 15.30 Uhr.
In diese Beengung, deren Entsprechung man in der von Julian Marbach vollgerümpelten Bühne sehen mag, tritt Nadine Lehners raumgreifende, dunkel strahlende Stimme. Die kann in Akt eins noch immer so jungmädchenhaft klingen und spielen, wie es die Librettologik von der Titelpartie fordert.
Und sie tönt am Ende ihres Leidenswegs unfassbar weise, dass sie schon verstehe, die Tat der Pflegemutter, alles nur aus Liebe, und quasi biblisch: „Nezatracujte ji!“, verurteilt sie nicht. Na, und da kannst du ja nur noch heulen, egal ob auf Tschechisch oder Deutsch, 1890, 1904 oder 1989. Und mit so einer Jenůfa verliert die Frage nach der aktuellen Relevanz halt alle Relevanz.
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