Europa-Universität und die Ukraine: Viadrina läutet neues Kapitel ein
Frankfurts Europa-Uni will eine Brücke in die Ukraine schlagen. 80 Studierende aus dem Land beginnen an der Oder ihr Studium.
Oksana Pashko hatte Glück. Eigentlich war der Forschungsaufenthalt der Literaturwissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) für den August geplant. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar ging es dann aber ganz schnell. „Die Kolleginnen und Kollegen haben geholfen, dass ich schon am 1. März anfangen kann“, freut sich Pashko.
Oksana Pashko forscht zu den Themen Komparatistik, Literatursoziologe und Literaturkritik an der Kiew-Mohyla-Akademie. Nun ist sie Fellow im Verbundprojekt European Times der Viadrina und eine von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aus der Ukraine nach Frankfurt gekommen sind.
„Wir sind alle wütend über die unglaublichen Verbrechen, die der russische Angriffskrieg darstellt“, sagte Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal am Mittwoch auf der Pressekonferenz zum Start des Sommersemesters. „Doch es macht unser Leben etwas leichter, weil wir etwas tun können.“
Von Blumenthal spricht von „untypischen Aktivitäten“ für eine Universität. „Wir mieten Wohnungen an und fragen die Mitarbeitenden nach Möbeln“, sagt sie und verweist auf einen Unterstützungs- und Notfallfonds, den die Viadrina aufgelegt hat. „54.000 Euro an Spenden sind bereits eingegangen.“
Erst Polen, dann Ukraine
Dreißig Jahre nach ihrer Gründung als Brücke von Deutschland nach Polen schlägt die Europa-Universität nun eine neue Brücke. Beim Beginn des ersten akademischen Jahres 1992 war ein Drittel der Studienplätze für Studierende aus Polen reserviert. „Warum soll das heute nicht wieder möglich sein“, fragt Dagmara Jajeśniak-Quast, die als einer der ersten Studentinnen aus Krakau nach Frankfurt gekommen war. Heute leitet sie als Professorin das Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien. Mit ihrem Mann hat sie eine Mutter mit ihrem Sohn aus Kiew aufgenommen. Schon seit Jahren sitzen in ihren Seminaren Studierende aus der Ukraine.
Veranstaltungen der Viadrina zur Ukraine unter: www.europa-uni.de
Julia von Blumenthal nennt es so: „Die Viadrina wird zur neuen wissenschaftlichen Heimat für geflüchtete Studierende und Forschende.“ Tatsächlich sind an der Viadrina bereits 200 Anfragen von Bewerbern eingegangen, die ihr Studium in Frankfurt beginnen oder fortsetzen wollen. Darunter befinden sich nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern auch Studierende aus Drittstaaten, die in der Ukraine studierten, betont von Blumenthal.
Finanziell ist die Viadrina auf diesen neuerlichen Brückenschlag aber nur bedingt vorbereitet. 40 Studierenden aus Kiew, Charkiw und Lwiw konnte die Uni im Rahmen eines Eurasmus-Austausches einen Studienplatz anbieten. „Da wurde das Verfahren vereinfacht, aber mehr Geld gibt es nicht“, sagt von Blumenthal.
Zusätzlich gebe es für rund 40 junge Ukrainerinnen und Ukrainer die Möglichkeit, sich im Viadrina College einzuschreiben. Dort werden Schulabgängerinnen und Schulabgänger, deren Abitur in Deutschland nicht anerkannt wird, auf ein Studium vorbereitet.
Insgesamt studieren und arbeiten an der Viadriana rund 150 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Ukrainische Studierende bilden nach polnischen und türkischen Studierenden die drittgrößte Gruppe internationaler Studierender an der Europa-Universität. Bei den Austauschstudenten liegen sie auf Platz eins.
Ukraine-Zentrum geplant
Doch der neue Brückenschlag soll nicht nur aus der Ukraine an die Oder erfolgen, sondern auch in umgekehrter Richtung.
„Wir haben Pläne und Hoffnungen, um an der Viadrina ein Ukraine-Zentrum zu etablieren“, sagt Andrii Portnov. Der 42-Jährige, der in Dnipro geboren ist, hat die einzige Professur für ukrainische Geschichte in Deutschland. Vor Kurzem hatte er sich in einem taz-Interview darüber beklagt, „dass die Ukrainistik an den Hochschulen so gut wie gar nicht institutionalisiert ist“.
Auch beim Spracherwerb führt Ukrainisch ein Schattendasein. Nur an zwölf der 300 Hochschulen an Deutschland kann man die Sprache lernen. Die Konzentration der Slawistik auf die „russische Perspektive“ führt laut Portnov dazu, dass es in Deutschland „eine historische und kulturelle Stereotypisierung der Ukraine gibt“.
An der Viadrina soll der Hebel nun umgelegt werden. Man sei mit Stiftungen im Gespräch, um über die Finanzierung zu reden, sagt Präsidentin Julia von Blumenthal, die die Forderung nach einem Ukraine-Zentrum unterstützt. Auch Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) signalisierte Hilfe.
So könne Frankfurt bald das Zentrum deutscher Ukraineforschung werden. 40 Anträge von Forschenden sind bereits in der Viadrina eingegangen. Neben Oksana Pashko und ihren sechs Kolleginnen, die vom Bundesforschungsministerium gefördert werden, bekommen fünf weitere Forschende ein Einjahresstipendium. Dafür hat die Volkswagenstiftung 7,5 Millionen Euro bereit gestellt.
„An der Viadrina gibt es einen außerordentlichen Kreis an Leuten, die aus verschiedenen Perspektiven über die Ukraine forschen“, sagt Oksana Pashko. „Das sind in diesen apokalyptischen Zeiten nicht nur große Herausforderungen, sondern auch Perspektiven.“
Für russische Forschende und Studierende gibt es diese Perspektiven allerdings nicht mehr. „Von den 15 Universitäten in Russland, mit denen wir kooperiert haben, haben zwölf den Aufruf der Rektorenkonferenz unterschrieben, der all die Lügen enthält, mit denen der Krieg begründet wird“, sagt Julia von Blumenthal. Man habe deshalb die Zusammenarbeit eingefroren und den Studierendenaustausch eingestellt.
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