Drama „#diewelle 2022“ in Lüneburg: „Es geht jeden an“
Ganz auf Nähe setzt die Dramatisierung von Morton Rhues „Die Welle“. Im Lüneburger e-novum wird sie von Jugendlichen gespielt.
taz: Frau Hasselbrink, Sie haben das Stück in „#diewelle 2022“ umbenannt. Mussten Sie so viel aktualisieren?
Edina Hasselbrink: Jein. Das Stück von Jochen Strauch, mit dem wir hier arbeiten, heißt eigentlich „#diewelle 2020“, weil es da Uraufführung im Berliner Grips-Theater hatte. Es basiert auf dem berühmten Roman von Morton Rhue und aktualisiert ihn. Uns war wichtig, es so nah an uns heranzuholen, wie möglich. Dafür haben wir den Titel geändert, die aktuellen politischen Ereignisse, die im Text vorkommen, durch Themen ersetzt, die gegenwärtig eine Rolle spielen. Und wir haben es an Lüneburg angepasst.
An Lüneburg?!
Ja, klar: Bei Strauch spielt das Stück in Berlin. Da könnte man sich hier nachher zurücklehnen und sagen, ach, Berlin, das ist weit weg, das geht mich nichts an. Aber das ist falsch: Es geht jeden an. Kaum einer ist davor gefeit.
Der Stoff basiert auf dem Versuch eines US-Highschool-Lehrers, seinen Schüler*innen klarzumachen, wie sich der NS-Terror durchgesetzt hat. Sollte man diese zweifelhafte Experimentalpädagogik abfeiern?
Edina Hasselbrink
Jahrgang 1974, staatlich anerkannte Theaterpädagogin (BuT), arbeitet am e-novum Theater Lüneburg, wo sie Regie bei „#diewelle 2022“ führt. In Lauenburg leitet sie die „Theaterkids“. Foto: Jan-Rasmus Lippels
Auf keinen Fall. Das tun wir auch nicht. Die Lehrerin – bei Strauch ist es eine Lehrerin, die den Versuch durchführt – verliert erkennbar die Kontrolle. Sie wird davon selbst mitgerissen, unter anderem weil die Kids eben nicht aufhören. Und sie richtet sich in der Rolle der Führerin ein. Erst in dem Moment, in dem ihre Frau und ihr Rektor sie darauf hinweisen, wie sehr die Lage ihr bereits entglitten ist, kann sie da wieder ausbrechen.
Es geht also weniger um die historische Genese von Faschismus, als um eine Dimension von Gesellschaft?
Ja, absolut. Es geht darum, was eine Gruppe ist, wie sie entsteht und wie sie, durch Abgrenzung und starre Regeln, zu Gewalt verführen kann. Dabei fängt alles so harmlos mit gruppenbildenden Spielen an. Ähnlich wie bei uns im Theater…
Weil man um gemeinsam Theater zu machen erst zum Team werden muss?
Genau: Wenn wir anfangen zu Proben, gehört die Bildung eines starken Gemeinschaftsgefühls dazu. Und dann sieht man im Stück plötzlich, wohin das führen kann. Das wirft Fragen auf, die uns alle beschäftigen: Gerade jetzt in der Endprobenphase nehmen die Diskussionen darüber immer mehr zu. Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass meine Spieler*innen hier viel zu aufgeklärt und zu informiert sind, um so verführbar und manipulierbar zu sein. Die Jugendlichen wissen sehr genau: Das ist alles falsch, was da geschieht, hier müsste das Experiment abgebrochen werden.
Und das ist eine Frage der Informiertheit?
„#diewelle 2022“ von Joachim Strauch nach Morton Rhue. Premiere: Sa, 2. 4., 20 Uhr, Theater im e.novum, Lüneburg. Weitere Aufführungen 22., 23. + 30. 4.
Ja, das sehen Sie ja gegenwärtig sehr deutlich an Russland, wo Putin sein ganzes Volk von Informationen abschneidet, damit sich kein Widerstand bildet. Aber das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen: Ich bin in der DDR aufgewachsen, einerseits mit einem sehr stark gelenkten Zugang zu Informationen, der selbst die Sachaufgaben im Mathematikbuch erfasst hat. Über diese Lenkung denkt man, wenn man ihr ausgesetzt ist, überhaupt nicht nach. Andererseits hat man ein Bewusstsein, dass man bestimmte Dinge nicht nach außen trägt: Man hat die Gefahr verinnerlicht, dass man damit ernste Folgen auf sich ziehen könnte. Die Angst das dann etwas passiert, dass man bestraft wird – das ist die Macht der totalitären Gruppe.
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