Posthumer Preis für Rolf Verleger: Der polarisierende Mittler
Der im November gestorbene Rolf Verleger hat den Erich Mühsam-Preis erhalten. Legitim, wenn man seine Lust an der Kontroverse bedenkt.
Denn der am 8. November mit 69 Jahren gestorbene Mitgründer der Jüdischen Gemeinde Lübeck war, Sohn zweier Überlebender der Shoah, nicht nur Professor für Neuropsychologie, sondern er hat sich selbst als jüdisch verstanden, auch wenn „religiös im engeren Sinne heute keiner mehr“ sei, wie er der taz mal gesagt hat. „Ich auch nicht.“
Aus dieser agnostischen Religiosität – also: seiner Auffassung von Judentum als Religion der Nächstenliebe – hatte sich Verlegers Engagement im bundesdeutschen Nahostkonflikt gespeist. Seine Glaubenssätze hier: Einerseits könne Israel auf Dauer nur existieren, „umgeben von einem Meer von Feinden“, indem es „seine Feinde zu Partnern“ mache.
Und dazu gehörte für ihn eine Art einseitiges Schuldanerkenntnis. Nicht weil dies faktisch so und nicht anders wäre, sondern aus der Überlegung heraus, dass nur damit „die Spirale des Leidens“ zum Aufhören gebracht werden könne: „Wir müssen das selbst machen“, so Verleger.
Stichwortgeber für Dämonisierer
Das lässt sich auch als fast verzweifelte Suche nach einer Mittlerposition im ewigen Krieg lesen. Mit der er aneckte: Sein Beharren darauf, dass das „Grundübel“ des Konflikts die territoriale Erweiterung Israels infolge des von arabischer Seite begonnenen Sechs-Tage-Kriegs sei, hat Verleger zum wichtigen Stichwortgeber für Dämonisierer*innen Israels und Hamas-Fans gemacht. Und gleichzeitig zum Buhmann für Zentralrat, die eigene Gemeinde und Antideutsche.
Ein rotes Tuch war er zum Beispiel für Samuel Salzborn: Als der heutige Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin erfuhr, dass er auf dem Podium, zu dem die taz in Bremen ihn hatte 2016 einladen wollen, dem Lübecker begegnen würde, hatte er erbost mitgeteilt, sich mit Antisemiten nicht an einen Tisch zu setzen. Ein Gesprächsabbruch ist oft nicht sonderlich intelligent, und hier vielleicht sogar besonders.
Denn Verleger war jemand, mit dem sich intelligent streiten ließ. Die Lust an der scharf geführten bis penetranten Auseinandersetzung und einem Hang zur Ironie waren dabei die größten Gemeinsamkeiten mit Preis-Namenspatron Mühsam. Deshalb lohnen das Wiederlesen nicht die aus trüber Quelle geschöpften Darstellungen der Geschichte Israels in Verlegers bekanntestem Buch „Israels Irrweg“, wohl aber die darin dokumentierten Brief- und E-Mail-Wechsel.
In denen lässt er sich sogar auf dümmlichste Vorwürfe ein. Umgekehrt lässt sich feststellen, wie er sinnvolle Gegenargumente mitbedenkt. Ein Beleg für intellektuelle Redlichkeit und die seltene Gabe, aus dem Freund-Feind-Schema des Konflikts auszubrechen. Sie ist zu selten.
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