Serie auf Apple TV: Hingebungsvolle Performance
In der neuen Serie „Die letzten Tage des Ptolemy Grey“ brilliert Samuel L. Jackson als dementer Messie. Die Erzählung ist hingegen etwas träge.
Wer sich umsieht im Apartment von Ptolemy Grey, bekommt eine Ahnung davon, wie es in seinem Kopf zugeht: dunkel und zugemüllt mit Gerümpel und allem, was sich ein Leben über ansammelt, ein Zimmer ist fest verschlossen, der Klassiksender im Radio und der Nachrichtenkanal im Fernsehen laufen beide dauerhaft und gleichzeitig. Ptolemy (Samuel L. Jackson) ist 91 Jahre alt, seine Demenz schreitet voran.
Ihn suchen Erinnerungen heim, an die Kindheit auf den Baumwollfeldern der Südstaaten oder die Frau, die Jahrzehnte später seine große Liebe wurde. Doch wenn sein Neffe Reggie (Omar Benson Miller) vor der Tür steht, um nach dem Rechten zu sehen und ein paar neue Dosen Bohnen bringt, weiß der Protagonist in „Die letzten Tage des Ptolemy Grey“ fünf Minuten später nicht, worüber sie eigentlich gesprochen haben.
Als eines Tages Reggie nicht mehr kommt, schlägt die sechsteilige Serie, für die der Schriftsteller Walter Mosley seinen eigenen Roman adaptiert hat, eine neue Richtung ein. Nicht ganz freiwillig nimmt sich die 17-jährige Robyn (Dominique Fishback) des alten Herren an, die Tochter einer Freundin seiner Nichte, verwaist und ohne Zuhause.
Auf der Suche nach Familienanschluss und einer Aufgabe, zieht sie bei ihm ein und räumt auf. Bald sieht nicht nur Ptolemys Wohnung wieder sauber und bewohnbar aus, auch der Nebel in seinem Kopf beginnt, sich zu lichten.
„Die letzten Tage des Ptolemy Grey“, ab 11. März, auf Apple TV
Zunächst nur zaghaft, dank der neuen Stütze in seinem Leben. Dann drastischer, denn er stellt sich und seinen Körper einem Arzt (Typ: windiger Schmierlappen und verkörpert von Walton Goggins) für ein noch nicht zugelassenes Versuchsverfahren zur Verfügung.
Für eine gewisse Zeit erlangt er die Erinnerung zurück an alles, was in seinem langen Leben passiert ist. Um den Preis allerdings, dass sein Zustand mit Nachlassen der Wirkung schlechter sein wird als zuvor. Diesen futuristisch angehauchten Pakt mit Satan, wie Ptolemy den Doktor nicht ohne Grund nennt, rückt die Serie gar nicht allzu sehr in den Fokus, wie überhaupt viele der Nebenplots nur bis zu einem gewissen Punkt verfolgt werden.
Ein wertvoller Schatz, vor langer Zeit versteckt von Ptolemys Onkel und Mentor Coydog (Damon Gupton), der einst vor den Augen des Jungen gelyncht wurde; die aufgebrachte entfernte Verwandtschaft des Rentners, die Robyn unterstellt, sich eine Erbschaft erschleichen zu wollen; und schließlich die von Vergeltungsgedanken befeuerte Frage, wer Reggie erschossen hat und warum.
Diese Handlungsstränge blähen die ohnehin nicht gerade rasant erzählte Serie mehr auf als nötig, auch weil der vor allem für seine Krimis bekannte Mosley („Teufel in Blau“) zu eng am eigenen Roman bleibt statt Verdichtungen zu wagen.
Geniales Schauspiel-Duo
Als emotional eindringliches, manchmal auch ein bisschen zu gefühlsduseliges Drama überzeugt die unter anderem von Ramin Bahrani und Debbie Allen inszenierte Serie durchaus. Die sich zögerlich und über viele Gespräche entwickelnde Freundschaft zwischen Ptolemy und Robyn, die geprägt ist von alten Weisheiten, neuen Erkenntnissen und Lektionen auf beiden Seiten, stellt das Herz der Geschichte dar, anhand derer auch viel darüber erzählt wird, was ein Menschenleben ausmacht. Nicht nur, aber vor allem als Schwarze Person of Color in den USA des 20. Jahrhunderts.
Wirklich sehenswert ist „Die letzten Tage des Ptolemy Grey“ deswegen nicht zuletzt wegen der Schauspiel-Duos im Zentrum. Für Samuel L. Jackson, dessen Mutter an Alzheimer litt, war das Projekt eine Herzensangelegenheit, seit er sich vor rund zehn Jahren die Rechte an dem Roman sicherte (gemeinsam mit seiner Ehefrau LaTanya Richardson Jackson gehört er nun zu den Produzent*innen).
Nach Jahren, in denen er sich größtenteils darauf zu beschränken schien, in Marvel-Gastauftritten und mittelmäßigen Actionfilmen darstellerisch auf Autopilot zu schalten, zeigt er hier eine nuancierte, hingebungsvolle Performance, die glaubhaft mehrere Dekaden abdeckt und zu den besten seiner langen Karriere gehört.
Kaum weniger Lob gebührt Dominique Fishback, die mit 30 Jahren glaubhaft einen Teenager verkörpert, vergangenes Jahr schon in „Judas and the Black Messiah“ beeindruckte und sich ohne Frage für Größeres empfiehlt.
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