Hilfe für Flüchtende aus der Ukraine: Die Zivilgesellschaft packt an
In Hannover kommen die ersten Geflüchteten aus der Ukraine an. Freiwillige Helfer*innen versorgen sie und bieten ihnen Notschlafplätze.
Die Notunterbringung für die Ankommenden ermöglicht und organisiert hat die Feuerwehr Hannover gemeinsam mit der Liberalen jüdischen Gemeinde. „Weil die Hälfte unserer Gemeindemitglieder aus der Ukraine und die andere Hälfte aus Russland und der Umgebung kommt, war klar, dass wir helfen wollen“, sagt Yevgen Brukman, stellvertretender Vorsitzender der Liberalen jüdischen Gemeinde, der taz.
Der Besitzer eines Busses, der auch aus dem Umfeld der Gemeinde stammt, war an die Grenze gefahren und hatte die Flüchtenden kostenlos nach Hannover gebracht. Brukman schloss sich mit ukrainischen Aktivist*innen kurz und koordinierte eine mögliche Unterkunft. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche habe bereits eine Schlafplatzbörse geschaffen, erzählt er.
Im Sportraum der Feuerwache warten Kleiderspenden und Essen auf die Neuankömmlinge. Koffer werden aus dem Bus ausgeladen und die neuen Schlafplätze bezogen. Behelfsmäßig sind 32 Feldbetten aufgebaut. Wie kleine Zimmer trennen Bauzäune mit Plastikplanen die Bereiche, in denen die Familien sich niederlassen. Ein Kind sitzt mit geweiteten Augen auf einem Feldbett. Zwei Frauen liegen sich weinend in den Armen. Eine Sozialarbeiterin beginnt, alle frisch angekommen zu registrieren. „Gibt es hier Wifi?“, fragt eine ältere Frau.
Bereits 2015 war der Sportraum Notunterkunft. Brandschutzbezirksleiterin Christine Reime sagt der taz: „Wenn Not am Mann ist, dann richten wir Erstanlaufstellen ein. Die Sporthalle ist einfach eine schnelle Option.“ Weitere Plätze seien bereits am Goetheplatz und in einer Halle der Deutschen Messe in Vorbereitung. Bis zum Wochenende soll die Aufnahmefähigkeit auf etwa 900 Schlafplätze erhöht werden, so Reime. Das schreibt die Stadt auch auf ihrer Website.
Einreise dauert über 30 Stunden
Doch nicht nur Schlafplätze sind vonnöten. Während die Freiwilligen kleine Wunden versorgen, steht Erhan Bayou am Rand des Treibens. Er sei sehr müde und habe Angst, sagt der 33-Jährige. „Ich weiß nicht, wie es weitergeht“, sagt er der taz. „Nur fünf Häuser neben meinem wurde bombardiert und ein mehrstöckiges Gebäude platt gemacht.“ Danach sei er mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn geflohen. „Meine Frau war wie benommen“, erzählt Bayou. Er habe nicht mit einem Angriff auf Kyjiw gerechnet. Von dort sei er über Ungarn in die EU eingereist, das habe über 30 Stunden gedauert. Sehr viele Autos seien unterwegs und viele Brücken gesprengt.
Er habe noch viele Freunde vor Ort und außerdem sein Geld, seine Habseligkeiten und seine Arbeit zurückgelassen. Kurzfristig kommt er bei einem entfernten Bekannten unter, einem kurdischen Mann aus Hannover. Der sagt, ein Freund habe ihn angerufen, dass der Freund der Cousine eines Freundes einen Schlafplatz benötige. Für ihn sei klar gewesen, dass egal wer bei ihm unterkommen könne: „Mensch ist Mensch.“ Zur Notunterkunft seien sie gekommen, weil sie den ganzen Tag versucht hätten herauszufinden, wo sich Bayou und seine Familie als Geflüchtete registrieren könnten. Weder die Polizei noch andere Stellen hätten geholfen.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat hat aktuelle Informationen auf seiner Website zusammengetragen. Von Bundesinnenministerin Nancy Faeser heißt es, man habe mit allen EU-Staaten eine Einigung auf eine schnelle und unbürokratische Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine erreicht. Geflüchtete müssten kein Asylverfahren durchlaufen und bekämen drei Jahre Schutz, so Faeser.
Neben Hannover haben auch weitere Städte in Niedersachsen Aufnahmebereitschaft signalisiert und stellen sich auf Ankünfte ein. Ähnlich wie 2015 packt die Zivilgesellschaft tatkräftig mit an, um schnelle Lösungen zu finden. In der Nacht zum Dienstag waren neben der Leiterin der Feuerwache vor allem Freiwillige vor Ort, um die Neuankömmlinge zu versorgen.
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