Protest gegen den Ukraine-Krieg: Neue Töne durchs Polizei-Megafon

Auf den Kundgebungen gegen den Ukraine-Krieg sind die üblichen Redeordnungen außer Kraft gesetzt. Wer etwas zu sagen hat, ergreift das Megafon.

Eine Frau mit Megafon steht vor Demonstrant*innen, die Schilder mit der Aufschrift "No war" hochhalten

Demo gegen den Ukraine-Recht auf dem Hamburger Rathausmarkt: Rederecht für alle Foto: Markus Scholz/dpa

HAMBURG taz | Möchte noch jemand sprechen?“, fragt die junge Frau mit dem Pferdeschwanz bei der Ukraine-Demo auf dem Hamburger Rathausmarkt und streckt anbietend die Hand mit dem Megafon aus. Das Megafon hat die Polizei ausgeliehen, weil hier alles improvisiert ist. Eine junge Frau mit Brille und langem Zopf tritt nach vorn. „Ich habe noch nie vor so vielen Menschen gesprochen“, sagt sie, „noch nie mit so lauter Stimme.“

Es ist eine Feststellung, keine Entschuldigung. Sie ist Ukrainerin und sie sagt, dass es Gespräche geben muss, um den Krieg zu beenden. Vor ihr hat ein junger Deutscher mit Mütze gesprochen und Waffen für die Ukraine gefordert. Nach ihr spricht eine ältere deutsche Frau: „Ich bin ratlos“, sagt sie.

Es ist ein neuer, ungewohnter Ton, den man auf diesen Kundgebungen hört. Es gibt wenig Gewissheiten. Keine Redeordnung, keinen Proporz, damit alle Veranstalter gleichermaßen zu Wort kommen. Keine Institutionen, auf deren Schultern man steht. Die Leute sagen ihren Namen und woher sie kommen, dann erzählen sie, was sie am Morgen von ihrer Großmutter in der Ukraine gehört haben.

Oder ein 57-Jähriger aus Seevetal erzählt von seiner 92-jährigen Mutter, die nicht geglaubt hatte, noch einmal einen Krieg in Europa zu erleben. Es klingt, als fühle sich der Sohn ein Stück weit schuldig, dass es doch so gekommen ist.

Frauen reden, Männer trommeln

Es sind vor allem junge Frauen, die etwas sagen. Oft sind sie es, die beginnen, „Slawa Ukrajini“ zu skandieren, „Hoch lebe die Ukraine“. Es ist der Gruß der ukrainischen Streitkräfte – aber er hat nichts Martialisches. Das könnten eher die Trommeln bei der Versammlung vor dem russischen Generalkonsulat haben, die meist von Männern geschlagen werden.

Aber auch da setzt sich ein anderer Ton durch: Sorge um die Menschen in der Ukraine. Der Wunsch, Putin zu stoppen. Die Überzeugung, dass der Präsident nicht für das gesamte russische Volk spricht. Dank dafür, dass so viele Menschen gekommen sind, um ihre Solidarität zu zeigen.

Wenn dann einmal jemand als Vertreter einer Institution spricht, wirkt es sonderbar fremd. Zum Beispiel der Parteienvertreter, der den „Damen und Herren“ seine Solidarität versichert. Oder der Mann, der als Ehemann einer Ukrainerin und als Gewerkschaftler spricht. Natürlich, denkt man, sie wollen zeigen, dass die Institution, die sie vertreten, dem Ganzen nicht gleichgültig gegenübersteht. Und setzt man selbst nicht gerade seine Hoffnung auf Institutionen – auf den Bundestag, auf die EU, auf andere?

Und doch gibt es ein Moment in diesen kleinen, spontan zusammengerufenen Zusammenkünften, das einen erreicht, weil es so unvertraut ist: Schweigen, weil es eine kurze Zeit lang nichts zu sagen gibt. Eine gemeinsam ertragene Hilflosigkeit. Ein Zorn, der von Anfang an weiß, dass er sich nicht zum Flächenbrand steigern darf. Wäre der Grund für diese Demos nicht so trostlos – man könnte in all dem eine Verheißung sehen.

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