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hörbuchAls Anwalt in den dunkleren Ecken des Kapitalismus

Es war eine gute Idee, den Titel dieses Krimis, der mindestens ebenso ein historisches Gesellschaftsporträt ist, im Original zu belassen. „Black Water Rising“ klingt so diffus bedrohlich, wie es mehrdeutig ist, und bezieht sich zum einen auf die ziemlich unheimliche Anfangsszene, die auf den nächtlich dunklen Gewässern am Rande der texanischen Metropole Houston spielt; zum anderen verweist das Bild metaphorisch auf die latent revolutionäre Stimmung unter den Schwarzen Hafenarbeitern, die mit einem Streik gerechtere Arbeitsbedingungen durchsetzen wollen. Eine dritte und entscheidende Bedeutung des Titels wird sich erst im Laufe der Lektüre erschließen. Schließlich handelt es sich um einen Spannungsroman.

Wir schreiben die achtziger Jahre. Die großen Bürgerrechtskämpfe liegen nunmehr weit zurück, und auch in der texanischen Gesellschaft ist längst ein neuer Status quo und damit sozialer Frieden eingekehrt, der aber keineswegs das Ende der Geschichte bedeutet. Dass die grundlegenden Machtverhältnisse sich durch das Ende der Rassentrennung nicht geändert haben, weiß auch der Anwalt Jay, der in seiner Jugend an vorderster Front der Bürgerrechtsbewegung gekämpft hat, aber nun als Anwalt eher kümmerlich sein Leben fristet, denn die meisten seiner MandantInnen können ihn nicht bezahlen. So ist Jay wenig begeistert, als er von seinem Schwiegervater gebeten wird, für die Gewerkschaft der Schwarzen Hafenarbeiter tätig zu werden, die sich zum Streik rüstet. In der angespannten Stimmung wurde ein junger Gewerkschafter von ein paar Weißen übel zusammengeschlagen und rechtlicher Beistand ist vonnöten.

Wie der Zufall es will, hat Jay aber ohnehin schon genug Ärger. Bei einer nächtlichen Bootstour über den Bayou von Houston haben er und seine Frau einer jungen Weißen das Leben gerettet, die auf der Flucht vor irgendjemandem ins Wasser gesprungen war, aber nichts erzählen will. Als Jay Tage später in der Zeitung liest, dass ein Toter ganz in der Nähe der Stelle gefunden wurde, wird ihm klar, dass die junge Frau vermutlich für diesen Tod verantwortlich war. Da er selbst als Bürgerrechtler einst nur knapp dem Gefängnis entronnen war und daher aktenkundig ist, kann er sich nicht durchringen, zur Polizei zu gehen. Doch als er merkt, dass er verfolgt wird, eine seiner Waffen aus seiner Wohnung verschwindet und ein geheimnisvoller Fremder ihm auch noch eine große Geldsumme aufdrängt, um sein Schweigen zu erkaufen, wird Jays Lage noch prekärer, als sie ohnehin schon war …

Attica Locke: „Black Water Rising“. Aus dem Eng­lischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Polar Verlag, Stuttgart 2021. 458 Seiten, 24 Euro

Es werden, ganz wie es sein muss, am Ende alle Stränge zusammenlaufen. Und wie es sich für einen sozialkritisch angelegten Genreroman zudem noch gehört, werden es kapitalistische Interessen sein, die hinter den meisten der hier geschilderten kriminellen Vorkommnisse stecken. Auch das, aber auch noch vieles andere erinnert in der Anlage dieses Romans an die Thriller von Sara Paretsky.

Von deren weiblicher, weißer Heldin V. I. War­shaw­ski unterscheidet Jay sich zwar nicht nur in Geschlecht und Hautfarbe, sondern auch in Vorgeschichte und sozialer Position. Außerdem ist er kein Privatdetektiv. In seiner gradlinigen, neugierigen, etwas draufgängerischen Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, verfolgt er jedoch ziemlich genau dieselbe Problemlösungsstrategie wie Paretskys legendäre Ermittlerin. Und hat aus denselben Gründen Erfolg damit. Denn wenn man lange genug auch in den dunkleren Ecken von Houston herumfährt und auffällig im Dreck wühlt, wird schon irgendwann irgendjemand aus der Deckung kommen und versuchen, einen daran zu hindern.

Mit seinen vielen originellen Charakteren und zahlreichen Actionszenen kann man sich „Black Water Rising“ gut als Film vorstellen. Vielleicht wird ja mal eine Serie daraus.

Wenn man lange genug im Dreck wühlt, wird schon irgendwann irgendjemand aus der Deckung kommen

Katharina Granzin

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