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Neues Album von Französin FishbachIm Wald schlafen

Fishbach modelte und schauspielerte. Nun endlich kommt ihr neues Album „Avec les yeux“. Es ist so eigenwillig wie herausfordernd geraten.

Flora Fischbach verzichtet als Künstlerin auf ihren Vornamen und ein c im Nachnamen Foto: Jules Faure

Eisig kalt und bedrückend schwül klingt Fishbachs neuer Pop­sound, altmodisch und modern zugleich, exaltiert und überladen, facettenreicher als noch vor fünf Jahren, als ihr Debütalbum in Frankreich erschien und ihre Songs die junge Künstlerin über Nacht zum Star machten. Retrofuturistisch inszeniert sich Fishbach heute auf ihrem neuen Album „Avec les yeux“ als leicht mürrisch dreinblickende Hohepriesterin, Stierkämpferin und Fantasy-Kriegerin, gekleidet in aufwändige Haute Couture.

Die Spaziergänge mit ihrem Hund durch die nebelverhangenen Wälder ihrer Heimat, den Ardennen, die sie auf Insta­gram immer wieder in kurzen Filmen dokumentiert, scheinen Spuren hinterlassen zu haben. Im Auftaktsong „Dans un feu rire“ singt eine zivilisationsmüde Fishbach: „Ich werde im Wald schlafen gehen / Ich werde nur meine Stimme haben / Ohne Worte / Ich bin ein Tier“.

Im Video zur ersten regulären Single, „Masque d’or“, dann plötzlich eine ganz andere Fishbach: tanzend, als Zwanziger-Jahre-Vamp in Body, Netzstrumpfhose, auf Highheels, flankiert von zwei Tän­ze­r:in­nen und einem Disco-Beat. Höchstwahrscheinlich ist es ein Liebeslied: „Oh mein kleines Strohfeuer / Du leckst schnell / Metall und Granit / Du machst mich zu Zungen“.

Kratzige Stimme, irrer Blick

„Junge Musikerin aus den Ardennen, solo, Musik vom Band, Gitarrensoli! Postpunk und New Wave. Unglaubliche, reif klingende, kratzig-tiefe Stimme, irrer Blick!“ – so lauteten meine Notizen, als ich Flora Fischbach, die als Künstlerin auf ihren Vornamen und ein c im Nachnamen verzichtet, im Dezember 2015 zum ersten Mal auf einer improvisierten Bühne im Hinterzimmer einer Kneipe im französischen Rennes sah.

Fishbach

Fishbach: „Avec les yeux“ (Entreprise/Sony)

In meiner damaligen Funktion als Co-Kurator des Berliner Festivals „Pop-Kultur“ hatte ich mich auf den Weg in die Bretagne gemacht, zum Festival Transmusicales. Die interessantesten Konzerte sollten bei dessen Ableger Bars en Trans stattfinden, Auftritte von kurzer Dauer in im Gassengewirr der Altstadt von Rennes versteckt liegenden Kaschemmen.

Von Fishbach gab es bis zu diesem Zeitpunkt gerade mal eine vier Stücke umfassende, selbstbetitelte EP, veröffentlicht auf einem der interessantesten Pariser Labels, Entreprise. Von ihrem ersten Projekt, dem Elektro-Duo Most Agadn’t, das sie mit 16 gründete, erfuhr ich erst später. Fishbachs Musik war keine Neuerfindung, aber wahnsinnig gut gemacht – von einer Sängerin vorgetragen, deren Stimmgewalt und Bühnenpräsenz außergewöhnlich waren. Zu­schaue­r:in­nen verglichen sie mit Catherine Ringer von Les Rita Mitsouko, ich musste an Desireless’ Hit „Voyage, Voyage“ denken, die erste französische Popmusik, die ich als Teenager wahrgenommen hatte.

Bald tanzen alle

Wir luden Fishbach zur zweiten Ausgabe von „Pop-Kultur“ im August 2016 in das Berliner SchwuZ ein und gaben ihr die kleinste aller Bühnen, schließlich hatte in Deutschland noch niemand von ihr auch nur einen Ton gehört. Der Raum füllte sich zögerlich, aber je länger sie spielte, desto voller wurde es. Das Publikum tanzte und jubelte, alle blieben, es wurde immer enger und stickiger.

Ihre fulminante Soloshow beendete sie, nachdem sie sich mit todernster Miene für ihr schlechtes Englisch und das nicht vorhandene Deutsch entschuldigt hatte, mit den Worten: „Thank you for come, thank you for stay. Ciao!“ Später unterhielt ich mich mit ihr. Ja, sie sei sehr zufrieden mit ihrem Livedebüt in Berlin, aber die Verköstigung hinter der Bühne, die hätte doch sehr zu wünschen übrig gelassen: „I’m a French girl. I want good cheese. And red wine. Next time!“

Im Dezember 2016 reiste ich zum zweiten Mal nach ­Rennes. Das Festival Transmusicales hatte bei Fishbach ein Auftragswerk bestellt, das sie an fünf Abenden hintereinander im Théâtre L’Aire Libre vor den Toren der Stadt aufführen sollte. Jeden Abend wollte ich mit dem Bus in das Theater fahren, jeden Abend auf dem selben Platz sitzen. Dass ich alle fünf Auftritte anschauen wollte, empfand Fish­bach als verrückt.

Triumphaler Abend

Sie sei gespannt, ob ich eine Entwicklung in die eine oder andere Richtung ausmachen würde, sie selbst wisse überhaupt nicht, was sie von diesem Marathon erwarten solle. Nie zuvor hatte ich mehr als einen Auftritt einer Band hintereinander gesehen. Gleich der erste Abend war triumphal, obwohl niemand Fishbachs neue Stücke kannte, die sie mit der dreiköpfigen Band für ihr kommendes Debütalbum aufgenommen hatte.

Die Entscheidung, auf einen Schlagzeuger zu verzichten, um synthetischen Drumsounds Raum zu geben, war goldrichtig gewesen, die Mu­si­ke­r:in­nen eigenwillige Charaktere, die jeweils geniale Solomomente hatten. Ich war fasziniert von den Nuancen, die jedes Konzert charakterisierten, von den Veränderungen im Zusammenspiel der Band und dem jeden Abend divergierenden Agieren von Fishbach.

Einen Einbruch gab es an Tag drei. Gesundheit und Gitarre spielten nicht mit, die Sängerin war unzufrieden, brüllte, vom Mikrofon abgewandt, ihre Wut heraus und verzichtete auf eine Zugabe. Nach dem Konzert ließ sie lange auf sich warten. „Ich kann nicht empfehlen, am Tag eines Auftritts zum Osteopathen zu gehen. Vor allen Dingen nicht, wenn es das erste Mal überhaupt ist!“

Nun war ich also zum Fan geworden, hatte mich mehrfach mit der Künstlerin unterhalten, und ein geschäftliches Interesse gab es auch – ich wollte ihr ein Auftragswerk anbieten, das sie bei „Pop-Kultur“ aufführen könnte. Wovon Fishbach sang, wusste ich allerdings noch immer nicht. Mein Schulfranzösisch reichte zum Verständnis ihrer Texte nicht aus.

Musik zur Krise

Trotzdem fühlte ich, verstanden zu haben, worum es in ihrer Musik ging: um Verzweiflung und Sehnsucht, um Wahnsinn, um Krisen. Nach ihrem letzten, umjubelten Auftritt in Rennes offenbarte ich mich und fragte Flora Fischbach, wie sie einen Begriff fände, den ich für ihre Musik erfunden hätte, ich hatte dabei auch an die terroristischen Anschläge im Bataclan und auf Charlie Hebdo gedacht, an einen zunehmend düsteren Sound, den ich meinte in der zeitgenössischen, französischen Popmusik ausgemacht zu haben: „Krisenmusik, musique de crise?!“ Sie sagte nur: „Du hast alles verstanden.“

Im Januar 2017 erschien Fishbachs Debütalbum „À ta merci“. In Frankreich wurde es ein großer Erfolg. (Das Auftragswerk, eine Zusammenarbeit mit der Berliner Modedesignerin Lou de Bétoly, wurde im August 2017 in der Berliner Kulturbrauerei aufgeführt.) Im Dezember desselben Jahres, wieder in Rennes, erzählte Fishbach, dass sie ein zweites Album Anfang 2019 veröffentlichen wollen würde.

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Téléportation

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Rolle in „Vernon Subutex“

Dazu kam es aber nicht, denn die mutige und selbstbewusste Flora Fischbach wurde Schauspielerin und spielte die zurückhaltende und unsichere Filmproduktionsassistentin Anaïs in der TV-Serienverfilmung von Virginie Despentes’ Roman „Vernon Subutex“ beim französischen Sender Canal Plus. Als Model arbeitete sie für Paco Rabanne und trat in dem opulent inszenierten Kurzfilm „The Apparation“ des Pariser Modehauses auf, das sie bis heute ausstattet. Als DJ legt sie regelmäßig in Paris und Moskau auf.

Als wir uns Ende 2019 zum Abendessen in Paris unweit eines Aufnahmestudios trafen, berichtete sie mir von ihrem Umzug – weg aus Paris, zurück in ihre Geburtsstadt, Charleville-Mezières im Nordosten Frankreichs. „Paris ist mir zu trubelig. Ich brauche Ruhe.“ Sie sprach von der Arbeit an ihrem zweiten Album und einer ersten Single, „ich schätze, es wird Herbst 2020!“ Gut Ding will Weile haben.

Die erste Auskopplung aus ihrem zweiten Album „Avec les yeux“, das nun endlich erscheint, kam Ende 2021 heraus. Wie schwer das lange Warten der Künstlerin wohl gefallen sein mag? „Téléportation“ ist ein pompös produziertes Klagelied mit kreischendem Gitarrensolo und symbolistisch-expressionistischen Texten („Der Abend ist weiß mit all seinen Zähnen /Ich beobachte mich / Wer hat die Wände weiß gestrichen? / Es weckt mich auf“).

Musikalisch abwechslungsreich, mit ulkigen Pub-Rock- und Stadion-Pop-Ausflügen, textlich größtenteils schwer zu dechiffrieren, sowohl für Mut­ter­sprach­le­r:in­nen als auch für Google Translate: „Avec les yeux“ ist ein eigenwilliges, herausforderndes und mitreißendes Album geworden.

Es zeigt eine vielseitige Künstlerin, die sich Zeit gelassen hat, um ein tiefgründiges Werk abzuliefern, das uns mit seinem Facettenreichtum noch lange beschäftigen wird.

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