Roman „Mai, Juni, Juli“: Merkwürdiges Wuchern
Wiedergelesen: Joachim Lottmanns Debütroman „Mai, Juni, Juli“ führt zurück in die Achtzigerjahre.
„Es war in der Zeit, als ich unbedingt ein Schriftsteller sein wollte. Eine schreckliche Zeit.“ So beginnt Joachim Lottmann seinen Debütroman und klingt dabei, als wäre dieses Schriftstellerseinwollen eine Art Verirrung gewesen, der zum Glück nicht beschrittene Lebens-Pfad. Wer je von diesem Lottmann gehört hat, weiß, dass der sehr wohl einer geworden ist: „Ich bin ein Schriftsteller! Ich bin ein Schriftsteller!“, ruft er uns ja schon auf der nächsten Seite entgegen, da in „Mai, Juni, Juli“.
Solches Hakenschlagen, Sichwidersprechen auch auf sehr wenig Raum, daran muss sich gewöhnen, wer das Buch liest. Ebenso die konsequente Koketterie mit dem Außenseiter-Sein: unter den Außenseiter:innen in einer 80er-Jahre-Popzeitschriftenredaktion, der ganzen westdeutschen Großstadtbohème, dem Autor:innen-Stall seines renommierten Verlags oder auch der Handvoll deutschsprachiger Vertreter:innen des als „Pop-Literatur“ bekannt gewordenen Subgenres. Vor allem aber treibt er ein mal mehr, mal weniger absichtsvoll wirkendes Spiel mit der Literarisierung und deren völliger Abwesenheit, vielleicht sogar: Ablehnung.
Der eingangs so mit dem Schreiben hadernd sich zeichnende Schreiber: Er schlägt sich durch im Hamburg der mittleren 80er-Jahre. Als einziger Mieter „in einem kleinen Stadthaus inmitten der Innenstadt“ wohnt er unterm Dach, in einem Raum, „der mit und ohne Sonne vor Staub flirrte und in dem sich seit 1795 nichts verändert hatte“. Eine Variation aufs Thema „Kunst verträgt keine Ablenkung“, mithin ganz und gar Kanon und kein bisschen außenseiterig. Überhaupt geht „Mai, Juni, Juli“ als eine Art Knut-Hamsun-Coverversion durch; nicht Lottmanns einzige, glaubt man diversen Rezensionen auch späterer Bücher.
Joachim Lottmann: „Mai, Juni, Juli“. Kiepenheuer & Witsch, Köln, zuletzt 2017, 256 S., 9,95 Euro; E-Book 9,99 Euro
Unsere Serie „Wiedergelesen“stellt in loser Folge Texte und literarische Werke vor, die von Norddeutschland handeln oder deren Autor:innen hier gelebt haben oder beides – und auf die aufmerksam zu machen, es Gründe gibt.
Erneut lesen wir dafür Bücher, weil jede:r meint, sie zu kennen, sie aber doch ganz anders verstanden werden müssten; weil keine:r sie kennt, obwohl jede:r sie kennen sollte; weil sich nicht loskommen lässt von ihnen; weil sie in Vergessenheit geraten sind – oder weil sie zu Unrecht Ruhm und Publikum eingeheimst haben.
Die Pose des Eremiten aber „war für meine Schriftstellerexistenz das wichtigste“, lesen wir: Andere Schreibende „mußten nämlich, in diesem Jahrhundert, schrecklich viel Miete bezahlen, was sie dazu zwang, ehrlose Arbeiten für Zeitungen auszuführen, wodurch sie ihr Urteil, ihren Blick für das Universum, ihre Liebe zu den Menschen verloren“. Klar: Sogar dieser Ich-Erzähler geht mal aus dem Haus, und sei es, um im nahe gelegenen amerikanischen Schnellrestaurant Zuckertütchen zu klauen. Auf solchen Wegen erwägt er Schreibprojekte, begegnet zuweilen Menschen. Beides dient Lottmann zu – so ist anzunehmen – auch damals schon gezielten Verstößen: gegen das, was später als vermeintlich übertriebene Politische Korrektheit galt oder, noch später, als „Wokeness“. Überrascht es irgendwen, dass die Welt 2003 befand, der Roman sei „eine Provokation der Literary Correctness aus dem Geiste des Pop“?
Ob er nicht über Billerbeek schreiben solle, zum Beispiel, fragt sich der Ich-Erzähler bei so einem Gang auf Hamburger Straßen. Klingt wie ein Flecken im norddeutschen Umland, ist aber sein „einziger wirklich häßlicher Freund“. Dem Namen stellt Lottmann wiederholt ein N-Wort voran, das harmlosere der beiden, das weniger eindeutig rassistisch codierte; gerahmt meistens durch Anführungszeichen, und beim ersten Mal gleich wieder lottmanntypisch kommentiert: „Nein, nein, schon der Name war unmöglich.“ Aber ganz weglassen ging eben auch nicht. Dieser „Billerbeek“ ist nicht von dunklerer Pigmentierung, sondern hat schlimme Verbrennungen erlitten, so viel zur Notwendigkeit.
Diese, seine Spielchen spielte Lottmann 1986, da schrieb er – angeblich wirklich im Verlauf er drei titelstiftenden Monate – den im Jahr darauf erschienenen Roman. Da waren heutige Debatten über Sprache und Privilegien noch weit weg, ebenso das Internet, für das Lottmann mitunter wie gemacht scheint. Er fand ja irgendwann zum Bloggen – unter anderem für die taz, die er 1986/87 freilich fürs Zentralorgan des Ökospießertums gehalten haben dürfte. Oder doch nicht? Seinem Ich-Erzähler entfährt durchaus Schwärmerisches über Rudi Dutschke.
Dieses ironisch sich windende, stets sich gleich wieder absichernde Sprechen und Schreiben hatte natürlich seine Vorbilder: Punk war noch nicht lange tot, aber schon wieder lang genug, dass auch ein phänotypischer Spießer wie Lottmann sich als Abweichung gegen die Norm gewordene Abweichung fühlen konnte; der auch später manchmal ausgestellte Ekel gegen weichspülende Lehrer:innen und gleichmachende Sozialdemokratie: alles bloß abgekupfert – aber Authentizität war ja, eben, was für Hippies.
„Das ist kein Buch, das ist das Leben“, hat es dann irgendwann – 2002, da war das Buch nur antiquarisch zu kriegen – die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung formuliert, aber der Satz könnte auch von Lottmann selbst sein, so einleuchtend wie blöde ist er: einleuchtend, weil er jeden kunstfertigen Umgang mit der Sprache, alles Literarische leugnet; blöde, weil er auf Schritt und Tritt zu widerlegen ist und Lottmann einen ganzen Schwung Bücher in eines gezwängt hat: Im Nachwort zur Wiederveröffentlichung 2003 schreibt Verleger Helge Malchow, Lottmann habe „in diesem Roman zahlreiche weitere Romane erzählt“; der erwähnte Hamsun, dessen „Hunger“ im eingangs zitierten ersten Satz aufscheint, war da nur eine Bezugsgröße; bis zu 32 sind „Mai, Juni, Juli“ attestiert worden.
Irgendwann lässt Lottmann sein Alter Ego Hamburg verlassen, gen Köln, wo ja das Buch geschrieben wurde. Angeblich hatte er vor, der dortigen Kunstszene richtig einen einzuschenken, mit dem nächsten Roman, der aber nie Realität wurde. Mal heißt es: Er sei geradezu verjagt worden, dann wieder soll es der Mauerfall gewesen sein, der der Republik ein Hauptstadt-Berlin wiedergegeben habe – seither Lottmanns Bühne und Sujet.
Aber auch diese Geschichte kann schlicht eine Ranke mehr sein in diesem merkwürdigen Wuchern aus Text und Paratext, Schelmen-Pop-Literatur, Tresenfantasterei und schlicht aufs allerbeste aufgerissenem Maul.
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