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Mehr Diplomatie in der Ukraine-KriseAlle reden auf Hochtouren

Gegen den Willen Moskaus diskutiert der UN-Sicherheitsrat über die Ukraine-Krise. Boris Johnson besucht Kiew, Viktor Orban besucht Moskau.

Linda Thomas-Greenfield, UN-Botschafterin der USA, im Sicherheitsrat am Montag Foto: Mary Altaffer AP

New York/London/Moskau/Washington afp/dpa/rtr/ap | Die USA und Russland haben sich im UN-Sicherheitsrat auf einer Sitzung über die Ukraine einen harten verbalen Schlagabtausch geliefert. Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja warf Washington in der Sitzung am Montag in New York vor, Hysterie schüren zu wollen und „Megafon-Diplomatie“ zu betreiben, indem es die erste öffentliche Sitzung des höchsten UN-Gremiums zum russischen Truppenaufmarsch entlang der Grenze zur Ukraine einberufen habe.

US-Botschafterin Linda Thompson-Greenfield konterte: „Stellen Sie sich vor, wie unangenehm es Ihnen wäre, 100.000 Soldaten an Ihrer Grenze zu haben.“ Die russische Mobilisierung entlang der ukrainischen Grenze sei die größte in Europa seit Jahrzehnten, sagte Thompson-Greenfield und verwies außerdem auf einen Anstieg von Cyberangriffen und russischen Desinformationen.

Es war die erste öffentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrats, in der alle Protagonisten der Ukraine-Krise das Wort ergriffen. Russland war zuvor mit dem Versuch gescheitert, zu verhindern, dass die Sitzung öffentlich abgehalten wird. Der Geschäftsordnungsantrag wurde mit zehn gegen zwei Stimmen – mit Russland stimmte nur China dafür – abgelehnt. Der Sicherheitsrat hat 15 Mitglieder.

Der russische UN-Botschafter Nebensja verließ demonstrativ den Saal, als der ukrainische Botschafter Sergej Kyslyzja das Wort ergriff. Zuvor hatte er gesagt, in Kiew seien 2014 „Nationalisten, Radikale, Russlandhasser und reine Nazis“ an die Macht gekommen. So sei die Feindschaft zwischen der Ukraine und Russland erst entstanden.

Von Seiten der Ukraine hieß es, man könne den russischen Versicherungen nicht glauben, bis die Truppen wieder zurückverlegt worden seien. Sein Land werde keine Offensive gegen die Separatistengebiete im Osten der Ukraine, die von Russland annektierte Krim oder woanders starten.

London – Kiew, Budapest – Moskau

Unterdessen verschärfen beide Seiten ihre Suche nach Verbündeten. Der britische Premierminister Boris Johnson reist heute (Dienstag) in die Ukraine und wird in Kiew den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenski treffen. Außenministerin Liz Truss fliegt nicht wie geplant mit – sie wurde am Montagabend positiv auf Covid getestet. Sie kündigte aber neue Gesetze an, mit denen gezielt Sanktionen gegen russische Verantwortliche für eine Aggression gegenüber der Ukraine verhängt werden könnten. Dabei könnten auch Vermögenswerte in Großbritannien eingefroren werden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will am Donnerstag nach Kiew reisen.

Russlands Präsident Putin empfängt derweil in Moskau den ungarischen Regierungschef Viktor Orban – das erste persönliche Treffen des russischen Staatsoberhaupts mit dem Regierungschef eines Nato-Mitgliedstaats seit der Eskalation zwischen Russland und dem Westen im Ukraine-Konflikt.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege Antony Blinken wollen außerdem an diesem Dienstag telefonieren, nachdem Russland auf die schriftliche Antwort Washingtons auf Russlands Forderungskatalog nach „Sicherheitsgarantien“ wiederum schriftlich geantwortet hat.“ Wir können bestätigen, dass wir ein entsprechendes Schreiben von Russland erhalten haben. Es wäre nicht zielführend, dies in der Öffentlichkeit zu diskutieren, also überlassen wir es Russland, ob es seine Antwort kommentieren möchte“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums.

US-Regierung rät zur Ausreise aus Belarus

Russland setzt zugleich seine Vorbereitungen für ein Manöver in Belarus fort, wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilte. Dazu wurde auf einem Truppenübungsplatz in Brest an der Grenze zu Polen ein Feldlager errichtet. Russland und Belarus hatten erklärt, die Standardübung vom 10. bis 20. Februar sei für niemanden eine Bedrohung.

Die USA hingegen sehen die Gefahr eines Angriffs auch von dort auf die Ukraine und forderten die Familienangehörigen von US-Regierungsmitarbeitern in Belarus zum Verlassen des Landes auf. Das US-Außenministerium riet seinen Staatsbürgern zudem angesichts „des Risikos von Inhaftierungen und der ungewöhnlichen und beunruhigenden russischen Militärpräsenz entlang der Grenze von Belarus zur Ukraine“ von Reisen in das Land ab. Die Situation sei „unvorhersehbar“, die Spannungen in der Region „erhöht“.

Washington hatte erst kürzlich die Familienangehörigen der US-Diplomaten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgefordert, das Land zu verlassen, was die Regierung der Ukraine irritiert hatte.

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6 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Wenn es knallt kann der Westen wenigstens mit gutem Gewissen sagen man hat es mit Verhandeln versucht, Russland wollte nicht.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Welches Handeln des "Westens"?

      In Europa wird versucht, einen Krieg noch zu verhindern. USA und GB bereiten sich nur noch auf den Knall vor.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        GB schließt mittlerweile



        "prophylaktische" Sanktionen gegen Putins Umfeld nicht mehr aus und will am 10. Februar die nötige Gesetzgebung dafür beschließen. Diesbezüglich sind die Briten (und die USA) ein ganzes Stück weiter als die EU.

        • @Barbara Falk:

          OK. Wenn die Sanktionen so und so kommen, gibt es für Putin überhaupt keinen Grund mehr, seine Truppen zu Hause zu lassen.

          Ich habe also Recht. Während sich ein Teil der EU, besonders D und F, bemüht, einen Krieg zu verhindern, wollen andere ihn unbedingt auslösen.

          Der ukrainischen Regierung ist ob so viel "Freundschaft" schon schlecht. Kein Wunder. Gestorben wird ja dort.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            "wollen andere ihn unbedingt auslösen".

            Könnte es sich da eventuell um Wladimir Putin halten? Ziehen Sie das mittlerweile zumindest in Erwägung?

            "Wenn die Sanktionen so und so kommen, gibt es für Putin überhaupt keinen Grund mehr, seine Truppen zu Hause zu lassen."

            Das ist die so in etwa die Begründung, die bislang von USA, GB und EU vorgebracht wurde. Zum Glück scheint sich das zu ändern.

            Ich sehe diese Kausalität nicht, dass der Hebel dann verschwindet, sondern halte eine abgestufte Sanktionsliste, auf der zeitnah die ersten fünf oder auch zehn Leute erscheinen, für eine vielversprechende (und absolut nicht-militärische, und auch deshalb zu befürwortende) Maßnahme. Weil sie an den Kern von Putins Herrschaftspraxis greifen. Solche Sanktionen kann er sich nicht leisten.

            Was gäbe es denn umgekehrt für einen Grund für Putin, seine Truppen loszuschicken wegen solcher Sanktionen? Macht er das dann mit dem Schlachtruf "Sterben für [Arkadi] Rotenberg", wie Nawalny mal sarkastisch vorgeschlagen hat, und schreibt an die NATO, dass mit den staatstragenden Forderungen von wegen Sicherheitsgarantien und Ukraine und so, das wäre nur ein Tippfehler gewesen, jetzt aber bitte die Yachten, Immobilien, Firmen, Visa, Greencards etc. zurückgeben?

            Zumal er mit solchen Sanktionen doch gar nichts am Hut haben sollte. Er lebt doch bekanntlich privat ganz asketisch und bescheiden, Eigentumswohnung, Datscha in Petersburg, Mittelklassewagen, Präsidentengehalt.

            • @Barbara Falk:

              Die Verbündeten der USA verhängen seit viele Jahren im Abstand von 1...2 Monaten immer neue Sanktionen, ohne etwas Substanzielles zu bewirken. Nicht nur gegen Russland.

              Eine Waffe, die man ständig einsetzt, verliert ihren Schrecken.

              Jetzt ist jedenfalls der Zeitpunkt, zu verhandeln. Nicht immer neue Drohungen auszustoßen. Gelingen Verhandlungen nicht, gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit Krieg. Und Krieg ist kein Jungbrunnen, sondern das Schlimmste, was man Menschen antun kann. Ich für meinen Teil würde das den Ukrainern (und Russen) gern erspart sehen.