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Die rot-grüne Ära ist vorbeiKOMMENTAR VON JENS KÖNIG

Dieser 1. Juli wird in die Geschichtsbücher eingehen – als der Tag, an dem Rot-Grün zu Ende ging, parlamentarisch beglaubigt durch das Misstrauen einer Mehrheit gegenüber dem sozialdemokratischen Kanzler. Das Vermächtnis dieser kurzen, aufregenden Ära verkörperte an diesem Tag jedoch nicht Gerhard Schröder, sondern Joschka Fischer.

Mit seiner ehrlichen rot-grünen Bilanz samt dem Eingeständnis eigener Fehler, seinem rhetorischen Furor und den Attacken auf eine gedankenarme Opposition gab Fischer der Koalition in ihrem verdienten Untergang wenigstens die historische Legitimation zurück. Der Kanzler selbst hatte sie seiner eigenen Regierung neulich abgesprochen, als er davon sprach, dass die Kombination Rot-Grün zur „gesellschaftlichen Situation“ nicht gepasst habe. Der Außenminister hingegen markierte die Bedeutung dieses Bündnisses, bei all seinen Schwächen: Zum ersten Mal in Deutschland gab es eine Mehrheit der demokratischen Linken, die sich auf 1968 bezieht, und das hat dieser Republik gut getan.

Schröders Rede war auch ein Vermächtnis – allerdings sein eigenes. So einsam er seine Entscheidung für Neuwahlen gefällt hatte, so allein inszenierte er sich auch im Abgang: Ein starker, unbeugsamer Kanzler, ein Patriot, der sein Amt dem Volke zu Füßen legt. Das ist mindestens zwei Nummern zu groß, aber es ist wenigstens aufrichtig.

Schröder empfindet so, und dementsprechend fiel auch die Bilanz seiner Amtszeit aus: Seine Reformpolitik bezeichnete er nicht nur als „notwendig“, sondern auch als „richtig“. Die Schuld am Scheitern gab er vielen: den Abweichlern in den eigenen Reihen, mächtigen Lobbygruppen, einer machtversessenen Opposition, dem überhitzten Medienbetrieb. An allem ist etwas dran, und Angela Merkel wird auch noch merken, dass ihre versprochene „Politik aus einem Guss“ genau jene Allmacht suggeriert, über die Politik heute nicht mehr verfügt. Schröder verlor jedoch kein einziges Wort über seine Fehler und Unzulänglichkeiten. Aber erst dieses Eingeständnis eigener Schwäche hätte seine Bilanz ehrlich gemacht: Schröder ist nicht zuallererst an Schröder gescheitert, das ist wohl wahr. Aber eben auch an sich selbst.

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