piwik no script img

Frau Warburg sucht den sanften Weg des Ausgleichs

An der Seite des epochalen Kunsthistorikers Aby Warburg schuf seine Frau Mary Gemälde und Plastiken. Eine Ausstellung erkundet ihr Werk

Hübsch, aber ohne erkennbares Interesse am Experiment: Mary Warburgs Blick in einen Blumengarten (1921) Foto: The Warburg Institute /Ernst Barlach Haus

Von Falk Schreiber

Natürlich lesen die Kinder. Sie können kaum krabbeln, aber lesen müssen sie, auf Bildern wie der Bleistiftzeichnung „Bildnis Marietta Warburg vor einem Bücherstapel“ (1900), die die damals einjährige Tochter von Mary Warburg zeigt. Das Bild ist nicht idealisierend, es zeigt ein etwas pummeliges, etwas traurig blickendes Mädchen mit zerzaustem Haar, aber es ist ein Mädchen, das nicht spielt, es ist ein Mädchen, das liest. Natürlich.

An der Ausstellung „Auf Augenblicke frei und glücklich“ im Hamburger Ernst Barlach Haus, der ersten großen Überblicksschau zu Mary Warburg (1866–1934) überhaupt, lässt sich einiges zeigen. Einerseits, wie eine Künstlerin ein ganzes Jahrhundert lang zum Verschwinden gebracht werden konnte, immer im Schatten ihres übermächtigen Ehemanns, des Kunsthistorikers Aby Warburg. Bis heute wird Warburg in Verbindung zu ihrem Mann betrachtet. Dessen „Bilderatlas Mnemosyne“ war erst vergangenen Herbst in einer spektakulären Ausstellung in der Sammlung Falckenberg zu sehen, seine Kollektion von Pueblo-Kunst präsentiert ab März das Museum am Rothenbaum unter dem Titel „Blitzsymbol und Schlangentanz“. Die Arbeit seiner Frau Mary wird dagegen kaum wahrgenommen: Ein Großteil ihres Nachlasses befindet sich in der Hamburger Kunsthalle, von Zeit zu Zeit ist dort auch mal das eine oder andere Bild ausgestellt, aber eine große Schau? Für die muss man ins kleine, abseits im Jenischpark gelegene Barlach-Haus.

Das ist das eine. Das andere ist, wie sehr sich Warburg selbst klein machte in ihrer Kunst, in den rund 50 Pastellen, Aquarellen, Zeichnungen und Plastiken, die im Barlach-Haus zu sehen sind. „Sie sucht Anschlüsse“, beschreibt Hausherr Karsten Müller ihr kunstfertiges Ausprobieren in unterschiedlichen Techniken, „kein künstlerisches Freischwimmen.“ Das heißt: Warburg sieht etablierte Künstler*in­nen ihrer Zeit und arbeitet in deren Stil, allerdings ohne Kämpfe mit der Ästhetik. Das Ergebnis sind meist kleinformatige Landschaftsgemälde, Kinderporträts, Skizzen, die einen in den Bann ziehen durch ihre Detailgenauigkeit und ihren Blick für wirkungsvolle Reduktion, die allerdings weit weg sind vom Schmerz einer Künstlerinnenexistenz.

Warburg war die Tochter des Hamburger Senators und Kaufmanns Adolph Ferdinand Hertz – das war am Ende des 19. Jahrhunderts Großbürgertum, wohlhabend und kunstsinnig. Gemeinsam mit ihrem Vater konnte sie sich Reisen leisten, auf denen erste Gemälde entstanden, sie konnte sich auf der Damenmalschule (damals eine der wenigen Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen) künstlerische Techniken aneignen. Widerstand? Kaum. Es gibt Briefe, aus denen deutlich wird, dass sich die Halbakte, die sie zeitweise zeichnete, für eine höhere Tochter unschicklich seien. Sei es drum.

Ein größeres Problem: die Ehe mit Aby Warburg. Die Familie Hertz war zum Protestantismus konvertiert, ihre jüdische Vergangenheit wurde negiert, und der Bankierssohn Warburg galt entsprechend als schlechte Partie, auch wenn der jüdische Glaube für diesen selbst nicht zentral war. Mary Warburgs Kunst war in dieser Phase auf Ausgleich bedacht.

„Sie sucht Anschlüsse, kein künstlerisches Freischwimmen“

Karsten Müller, Direktor des Ernst Barlach Hauses

Nachdem sie mit ihrem Mann um die Jahrhundertwende für einige Jahre nach Florenz gezogen war, schickte sie ihren Eltern Bilder aus dem toskanischen Alltag des Paares: „Schaut her, es geht uns gar nicht so schlecht“, sollten diese forciert bürgerlichen Darstellungen sagen, „trotz der Mesalliance“.

Das prägt „Auf Augenblicke frei und glücklich“, eine Ausstellung, die konventionell, luftig aber nicht unsympathisch gehängt drei Räume im Barlach-Haus in Beschlag nimmt: die Idee, dass Kunst die bürgerliche Ordnung nicht stören soll und dass schon kleine Ausbrüche – eine angedeutete Brust, eine als nicht standesgemäße Liebe – Erschütterungen bedeuten, zu denen man sich irgendwie verhalten muss. Kein Wunder, dass Warburg keine formalen Experimente zuließ.

Ein Ausbruch in die Abstraktion etwa, wie ihn Zeit­ge­nos­s*in­nen ja durchaus versuchten, wäre in dieser Welt eine Katastrophe gewesen. Was nicht heißt, dass Warburg in den Konservatismus geflüchtet sei: Das Ehepaar stand im Austausch mit der Kunstwelt, mit Arnold Böcklin und Adolf Hildebrand, auch mit Ernst Barlach, von dem eine frühe, untypische Zeichnung in die Schau geschmuggelt wurde, was den Kontext zum Ausstellungsort herstellt.

Diese Kunst funktioniert, und weil man erkennt, wie talentiert Warburg war, was sie für einen genauen Blick hatte, stimmt einen die Ausstellung ein wenig melancholisch. Was hätte diese Künstlerin gekonnt, wenn man sie nur gelassen hätte! Eine Ahnung gibt das einzige größere Gemälde, „Auf der Wiese in Gosslers Park, Hamburg-Hoheluft“ (1894), das plötzlich Ausbrüche zulässt, Verwischungen, Ungenauigkeiten, die ein Tor aufstoßen zum Impressionismus und zur Moderne. All das ist angelegt in Warburgs Kunst, aber den letzten Schritt zu einer eigenständigen Künstlerin ging sie dann doch nicht. Weil dieser Schritt die bürgerliche Wohlanständigkeit zerstört hätte.

Seltene Geste der Selbstinszenierung: Mary Warburg im Atelier neben ihrer Büste der Schriftstellerin Lili du Bois-Reymond, 1923 Foto: Ernst Barlach Haus

Dass allerdings innerhalb dieses bürgerlichen Rahmens einiges möglich war, arbeitet die Ausstellung mustergültig heraus. Warburg mag keine Revolutionärin gewesen sein, aber innerhalb ihrer Beschränkungen war sie eine hochkreative Künstlerin, die wahrscheinlich nicht einmal darunter gelitten haben dürfte, immer nur als Frau ihres genialischen Gemahls wahrgenommen zu werden.

Gezeigt wird auch eine Büste ihres Mannes – kurz stand der seiner Frau Modell, brach die Sitzung aber bald ab. Fertiggestellt wurde die Büste nach Aby Warburgs Tod 1929, nach dem Vorbild seiner Totenmaske: Die Unterordnung der Frau unter den Mann mag eine bürgerliche Konvention sein, und wenn man diese Konvention nicht brechen möchte, dann darf man sie zumindest dehnen.

Dass besagte Büste bis heute das Bild von Aby Warburg definiert, ist das eine. Dass kaum jemand weiß, dass sie ein eigenständiges Kunstwerk ist, geschaffen von einer Künstlerin von eigenem Rang – das ist der Preis für die Akzeptanz bürgerlicher Zwänge. Es scheint, als habe sie das gesamte Leben Mary Warburgs geprägt.

Auf Augenblicke frei und glücklich. Mary Warburg, Pastelle, Zeichnungen, Plastiken, Ernst Barlach Haus, Hamburg, bis 12. Juni

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen