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Schweizer Referendum über MediengesetzZuspitzen und herrschen

Am Sonntag stimmt die Schweiz über ein neues Presseförderungsgesetz ab. Die Diskussion darüber ist nicht nur für helvetische Verhältnisse hitzig.

Plakate zur Volksabstimmung über das „Bundesgesetz über ein Massnahmenpaket zugunsten der Medien“ Foto: Christian Beutler/keystone/picture alliance

Zürich taz | Irgendwann blieb Barbara Lüthi, „Club“-Moderatorin des Schweizer Fernsehens, nichts anderes übrig, als energisch an die coronabedingte Plexiglasscheibe im TV-Studio zu klopfen. Doch auch damit konnte sie Philipp Gut nicht unterbrechen – der Mann war in Rage und ignorierte die Moderatorin des renommierten TV-Talks. In der Mitte Januar ausgestrahlten „Club“-Ausgabe zum Mediengesetz schrien sich die Diskussionsteilnehmer nach wenigen Minuten derart an, dass die Aussagen nur in Bruchstücken verständlich waren.

Vor allem Markus Somm, Chefredakteur des rechtsbürgerlichen Satiremagazins Nebelspalter und der ehemalige Vizechefredakteur der rechten Weltwoche, Philipp Gut, fielen den anderen Gesprächsteilnehmern beharrlich ins Wort. Beide sind Gegner des Mediengesetzes, welches für die Medienhäuser zusätzliche staatliche Gelder vorsieht und über das in der Schweiz in einer Volksabstimmung am 13. Februar abgestimmt wird. Gut ist freier Journalist, Kommunikationsberater und Geschäftsführer des Nein-Komitees. Moderatorin Lüthi twitterte nach anhaltender Kritik an der Sendung schließlich: „Im Sinne einer konstruktiven Diskussion hätte ich härter durchgreifen müssen“.

Seit Wochen wird in der Schweiz ungewöhnlich hitzig darüber debattiert, ob die staatliche Medienförderung ausgeweitet werden soll. Es sind vor allem die Gegner, welche Fakten und Zahlen bis zur Unkenntlichkeit propagandistisch zuspitzen. Rechtsbürgerliche und Libertäre lehnen das Paket ab. Die Mitte und die Linke hingegen unterstützen es mehrheitlich.

Beide Seiten nehmen für sich in Anspruch, die Medienfreiheit zu verteidigen. Die Befürworter sagen: Dank staatlicher Unterstützung werde die Medienvielfalt gesichert und die Redaktionen hätten mehr Ressourcen, um angemessen arbeiten und entsprechend auch kritisch informieren zu können. Die Gegner finden, dass die Journalisten dadurch ans Gängelband des Staats genommen würden.

Unter dem Motto „Staatsmedien Nein“ hat das Nein-Komitee ein Referendum gegen die Vorlage des Bundes eingereicht und relativ schnell genügend Unterschriften sammeln können. Landesweit provoziert das Komitee mit Plakaten, auf denen der Slogan „Keine Steuermilliarden für Medienmillionäre“ steht. Zu sehen sind Hände, die in einen Sack voller Geld greifen; ins Visier genommen werden so die drei Großverleger Michael Ringier (Ringier), Pietro Supino (TX Group) und Peter Wanner (AZ Medien), die neben kleinen Medienunternehmen ebenfalls Steuergelder bekommen sollen.

In Bedrängnis

Unterstützung bekamen die Gegner von Coronaskepti­kern, die ohnehin ­unzufrieden sind mit der Pandemieberichterstattung der tonangebenden Medien. Rechtzeitig zum Wahlkampfbeginn wurde auf der Homepage des Nebelspalters ein Video geleakt, das den Ringier-Geschäftsführer Marc Walder in Bedrängnis brachte. Der sagte im Februar 2021 bei einer Onlineveranstaltung mit Blick auf die Pandemie: „Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt –, auf meine Initiative hin gesagt: Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen“. Der Autor des zugehörigen Artikels, eben jener Philipp Gut, ätzte: „Die Ringier-Medien, allen voran die Blick-Gruppe, sind das Megafon des Staates“.

Mit dem Motto „Ja zur Medienvielfalt“ versucht das überparteiliche Ja-Komitee das Stimmvolk für das Förderungspaket zu gewinnen. Diesem Komitee gehören Parlamentarier aus allen Fraktionen außer der SVP an; ebenso dabei sind kleinere regionale Medien wie die Engadiner Post, aber auch Ringier, Tamedia und die NZZ-Mediengruppe. Auf einem ihrer Abstimmungsplakate zerschlägt der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell eine Mauer aus Falschnachrichten.

„Wer Fakten statt Fake News will, sagt Ja zum Medienpaket“, ist darauf zu lesen. „Die Geg­ne­r:in­nen der Medienförderung geben vor, für unabhängige Medien zu kämpfen, und meinen damit intransparent finanzierte, rechte Propaganda-Maschinen wie die Weltwoche oder den Nebelspalter“, warnen sie auf ihrer Homepage. „Mit einem drohenden Nein zum Medienpaket könnte der Lebenstraum des SVP-Oli­garchen Christoph Blocher Realität werden: Eine Medienlandschaft, die von Rechts­po­pu­lis­t:in­nen und ihren Financiers beherrscht wird.“

Seit rund 170 Jahren subventioniert die Schweiz die Zustellung von Zeitungen und Zeitschriften mit der Post, was die Verlage finanziell entlastet. Weil Zeitungen immer mehr Abonnenten verlieren und damit die Zustellung pro Zeitungsexemplar immer mehr kostet, weil Werbeeinnahmen schrumpfen und seit 2003 rund 70 Printtitel in der Schweiz verschwunden sind oder mit anderen fusionierten, soll diese indirekte Medienförderung nun für sieben Jahre aufgestockt werden. Diese Zusatzfinanzierung soll den Verlagen helfen, den Strukturwandel auf den digitalen Markt zu meistern.

Neu hinzu kommen eine Unterstützung von Onlinemedien in Höhe von 30 Millionen Franken sowie Beiträge an die mediale Infrastruktur. Insgesamt 151 Millionen Franken kostet das Hilfspaket. Inhaltliche Vorgaben für die Unterstützungsgelder macht das Gesetz keine. Es müssen nur formale Kriterien erfüllt werden. So soll vermieden werden, dass der Staat das Informationsangebot beeinflussen kann.

„Diese Medienförderung hilft den superreichen Verlegern mit ihren Yachten und Kunstsammlungen“, kritisiert Christian Keller, Chefredakteur des Basler Onlineportals Prime News. „Zu siebzig Prozent profitieren die drei Großverlage der Schweiz, die kleinen bekommen Almosen. Es gibt da viele falsche Hoffnungen“, warnt Keller, der sich gegen das Förderpaket engagiert. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass die 70 Prozent nicht zutreffen. Schätzungsweise liegt der Anteil der großen Verlage am Hilfspaket bei 30 bis 50 Prozent. Genau lässt sich das derzeit nicht berechnen, da die Ausführungsbestimmungen zum Mediengesetz noch nicht bekannt sind.

Teilweise überlebenswichtig

Das Gesetz legt allerdings fest, dass die kleinen Medien überproportional profitieren sollen. Camille Roseau, Präsidentin des Ja-Komitees, sagt: „Das Förderpaket wurde explizit auch für die kleineren Medien geschnürt, es soll ihnen finanzielle Stabilität ermöglichen und damit in Randregionen für die notwendige Medienvielfalt sorgen.

Großverlage bekommen im Verhältnis weniger Förderung als kleinere Verlage, weil für hohe Umsätze tiefe prozentuale Zuschusssätze vorgesehen sind.“ Kleine Verlage mit tiefen Umsätzen dagegen würden mit hohen Zuschusssätzen relativ gesehen stärker gefördert. „Deswegen liegt die Verteilung der Fördermittel mindestens bei 50/50.“ Kleine Betriebe dürften wegen der Kritik an der Hilfe für die Großen „nicht in Sippenhaft genommen werden. Für die Kleinen sei es teilweise überlebenswichtig“, hält die Werberin der Wochenzeitung WOZ der Kritik entgegen.

Gemäß dem neuen Mediengesetz müssen die geförderten Redaktionen den Jugendschutz beachten und die einschlägigen Regeln der journalistischen Praxis einhalten. Die Gegner befürchten, dass der Staat so Einfluss nehmen kann. Christian Keller aus Basel sagt: „Darf ich dann nicht über Gewalt schreiben? Erklärt mir dann ein Beamter, dies verstoße gegen das Jugendschutzgesetz? Was ist mit branchenüblichen Standards gemeint? Wer beurteilt, was das ist?“

Mit den „branchenüblichen Standards“ bezieht sich das Gesetz auf den Pressekodex, der vom Schweizer Presserat festgelegt wird. Diesem Gremium gehören keine Staatsvertreter an. Allerdings ist vorgesehen, dass der chronisch unterfinanzierte, von einer Beschwerdeflut überlastete Presserat ebenfalls vom Hilfspaket profitieren soll. Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien, sagt: „Es gibt keine Leistungsaufträge und keine informellen Schrauben in der Verteilung der Fördergelder, an welchen die öffentliche Hand drehen könnte. Damit ist die Unabhängigkeit garantiert“.

Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ist von der Initiative nicht betroffen, weil sie – vergleichbar dem System in Deutschland – durch die Medienabgabe finanziert wird. Dennoch steht die SRG unter politischem Druck. Zwar wurde 2018 die Volksinitiative „No Billag“, die eine Abschaffung der TV- und Radiogebühren verlangte, mit einem Nein von 71 Prozent abgelehnt, doch Kritiker des öffentlichen Radios und Fernsehens, unter ihnen nicht zuletzt die SVP, drohen mit weiteren Initiativen. Die Rede ist von einem Vorstoß zur Halbierung der Gebühren, die derzeit jährlich 335 Franken betragen.

„Die politischen Diskussio­nen um Sinn und Zweck der SRG hinterlassen im Programm­angebot offensichtlich Spuren“ kommentierte der frühere NZZ-Medienredakteur Rainer Stadler die „Club“-Sendung vom Januar und kritisierte: „Aus Angst vor Kritik aus dem rechten Lager übt man sich in Demutsgesten.“ Gemäß einer Anfang Februar veröffentlichten SRG-Umfrage ist der Ausgang der Abstimmung über das Mediengesetz völlig offen. Das Nein-Lager ist derzeit leicht stärker als jenes der Befürworter.

Anmerkung: Die Autorin ist Redakteurin der WOZ.

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