Albanischer Fußball: Schmerzhafte Liebe
Ein Sportbuch über Albanien schafft ein wunderbar differenziertes, warmherziges Panorama eines Landes mit großer Fußballkultur.
Die 15 durchtrainierten Kerle vor dem Hauptquartier in der albanischen Hauptstadt Tirana sind skeptisch. Man spreche Französisch oder gar nicht, blafft einer der „Guerrils“, der linken Ultras vom FK Partizani. Autor Hardy Grüne schildert lakonisch: „Ich blicke in die Runde, frage auf Französisch, ob alle einverstanden sind. Sind sie nicht, denn kaum jemand spricht die Sprache.“ War doch bloß ein Test.
Am Thema Kommerzkritik findet man dann doch zueinander. Und es öffnet sich eine weitere Tür in den albanischen Fußball. Dieses Mal in die politisch widersprüchliche Rivalität zwischen Partizani, dem einst verhätschelten Armeeklub, und dem einst gegängelten bürgerlichen Klub Tirona, nun Rekordmeister. „Partizani sind ja die Kommunisten, also sind wir die Nazis“, so erklärt es ein Ultrà der Gegenseite. In dem Land, wo Linkssein mit unfassbaren Gräueln assoziiert ist, ist Rechtssein schon mal Rebellion.
„Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien“ heißt das jüngste Buch des renommierten Fußballautors Hardy Grüne. Dass dieses Buch existiert, ist ein kleines Wunder in Zeiten der Monokultur von Star- und Klubbiografien. Wer schreibt schon kundig über Fußball in Albanien? Fußballhistoriker Hardy Grüne hat Geschmack am Abseitigen und vermeidet noch dazu angenehm die Fehler des Groundhopper-Genres mit seinen Klischeegeschichten über hitzige Derbys. Grüne hat nämlich nichts weniger als den gesamten albanischen Männerfußball penibel recherchiert. Und anschließend ungefähr jedes Kaff mit Fußballgeschichte besucht.
Der Grundton des Buches ist denn auch, anders als im testosteronschwangeren Tirana, ein melancholischer. Grüne fährt durch atemberaubende Bergpanoramen oder von Öl verseuchte Mondlandschaften und kommt meist an einem heruntergekommenen Provinzstadion an.
Orte des Verfalls
Bei Klubs wie Skënderbeu Korçë, dem Arminia Bielefeld von Albanien, das zwischen 2011 und 2018 plötzlich sieben Mal Meister wurde. Dann kamen umfassende Manipulationen ans Licht, die Uefa sprach eine drakonische Strafe aus – und die Fans vor Ort klagen darüber, wie an ihnen ein Exempel statuiert wurde, der Traum einer ganzen Stadt zerstört. Oft sind es Orte des Verfalls, mit maroden Stadien, mit Jugendlichen, die nur wegwollen, und einem Fußball, der unter Perspektivlosigkeit, kriminellen Investoren und Korruption ebenso leidet wie unter den übermächtigen Big-Five-Ligen.
Dabei gäbe es so viel Tradition und lokale Liebe zu pflegen, eigentlich. Wie beim einstigen Publikumsliebling Flamurtari Vlorë, der in den 80ern mit einem legendären 1:0-Sieg über den FC Barcelona für eine der Sternstunden des Landes sorgte. Oder beim KS Besa in der Industriestadt Kavaja, wo einst die demokratische Revolution begann. Der Glanz ist fast überall vergangen, die Liebe bleibt. Ein Ex-Kombinatsarbeiter sagt: „Ich habe keine Hoffnung mehr. Und liebe den Fußball so sehr, dass es schmerzt.“
Hardy Grüne trifft sie alle, Arbeiter, Fans, windige Investoren und Klubmitarbeiter. Solche, die noch an eine Zukunft glauben, und solche, die den Glauben längst verloren haben. Und er schafft damit ein wunderbar differenziertes, warmherziges Panorama eines Landes mit großer Fußballkultur. Wenn es eine Schwäche gibt, dann die Länge von gut 340 Seiten, sodass sich bei den vielen Porträts zwangsläufig Muster wiederholen. Zumindest ein Kapitel zum Frauenfußball hätte dem Buch gutgetan. Die ausführliche Recherche ist aber auch die große Stärke von „Onkel Enver“.
Natürlich gibt es hier die schönen Schnurren, wie die von Gerd Müller und Günter Netzer, die am Flughafen von Tirana wegen verboten langer Haare nur knapp dem sozialistischen Flughafenfrisör entgehen konnten. Oder von George Best, der über Spiele gegen den unangenehmen Underdog Albanien klagte: „Im Stadion schnitten sie das Gras mit Handscheren. Es war so lang, dass sich ein paar Tiger darin hätten verstecken können.“
Viel wichtiger aber ist Grüne die Geschichte hinter der Geschichte. Von Albaniens Gründung als unterentwickeltem Agrarstaat über die sozialistische Diktatur und totale Isolation, in der das Land für seine Bürger:innen zum Gefängnis wurde – und Fußball die einzige Freude. 1987/88 hatte die Erstligasaison unfassbare 1,8 Millionen Zuschauer:innen bei nur 3,1 Millionen Einwohner:innen. In der freieren Gegenwart dominiert die Leere, man schaut jetzt nur noch die Großklubs in der Champions League. Albanien, bilanziert Grüne, liebt den Fußball immer noch. Nur nicht mehr seinen eigenen.
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