Kinotipp der Woche: Ohne Eile und in Farbe
Rhythmus und Struktur: Das Kino Arsenal würdigt das Spätwerk des japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu mit einer kleinen Filmreihe.
Zwischen den Dächern einer Vorstadt Tokios blickt man auf einen erhöhten Weg. Schulkinder ziehen oben nach Hause, ihre Mütter eilen unten entlang. Vier Jungs haben es nicht eilig, in aller Ruhe spielen sie ihr routiniertes Spiel, bleiben stehen und der Reihe nach drückt einer dem anderen auf die Stirn. Der gedrückte pupst kurz.
„Ohayo“ (Good Morning) ist ein Film über die Begeisterung für Fernsehen, die Modernisierung der japanischen Nachkriegsgesellschaft und Pupse. Er ist Teil des Spätwerks des japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu.
Das Arsenal zeigt die sechs Farbfilme, die Ozu zum Ende seines sonst schwarz-weißen Werks drehte, über die Weihnachtstage in einer Filmreihe. Die Jungs pupsen nicht einfach nur so, sie haben ihre Ernährung daraufhin perfektioniert. Auch sonst setzen sie Prioritäten. Statt englisch zu lernen, verfolgen sie lieber bei den Nachbarn eine Sumo-Meisterschaft im Fernsehen.
Erzwungene Modernisierung
Die Brüder Minoru und Isamu sind so fernsehbegeistert, dass sie beschließen, kein Wort mehr zu sagen, bis auch ihre Eltern einen Fernseher kaufen. Das stellt sich als verlässlicher Weg der Modernisierung des Haushalts heraus. Die Erwachsenen tun sich damit schwerer.
Eröffnet wird die Reihe des Arsenal mit Ozus erstem Farbfilm „Higanbana“ (Equinox Flower), ebenfalls ein Film über gesellschaftliche Erneuerung. Der Geschäftsmann Wataru Hirayama findet es gar nicht witzig, als er herausfindet, dass seine Tochter Setsuko seine Hochzeitspläne für sie durchkreuzt hat.
Kino Arsenal: Ozu in Farbe – Das Spätwerk von Yasujiro Ozu, 21.–30. 12., Potsdamer Str. 2
Auch seine jüngere Tochter erklärt ihm strahlend: „Keine Sorge, ich finde selbst einen Mann für mich.“ Sein Schulfreund Shukichi Mikami hat das gleiche Problem, seine Tochter hat beschlossen, mit einem Musiker zusammenzuleben. „Equinox Flower“ ist ein Film über alte Männer, die gezwungen sind, Anschluss an die Gegenwart zu finden.
Ozus Werk ist geprägt von wiederkehrenden Motiven und Schauspieler_innen und einem überaus bewussten Einsatz der filmischen Stilmittel. Schon in dieser Hinsicht bilden die sechs Farbfilme eine Einheit.
Sorgfältiges Design
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Die axialen, symmetrischen Kameraeinstellungen, die reduzierten Kamerabewegungen werden hier ergänzt durch ein sorgfältiges Farbdesign. Ozu schafft sich eine eigene Farbordnung, die eine Vielzahl gedämpfter Töne um einige wenige kräftige Farben – vor allem Rot – gruppiert.
Ozus Farbfilme sind auch eine späte Hommage an das Farbverfahren von AGFA. Deren Betonung der Rottöne, anfangs auch dafür da, Hakenkreuzfahnen im richtigen Farbton wieder zu geben, wird bei Ozu einer zivilen Nutzung zugeführt.
Eine Flasche auf einer Hafenmauer, ein Leuchtturm an der Hafeneinfahrt gegenüber, dazu das Tuckern eines Bootsmotors. Drei Sprünge der Einstellungsgröße machen deutlich, dass selbst diese gemächliche Handlung noch zu viel Aufregung wäre für das verschlafene Hafennest am japanischen Binnenmeer in „Ukigusa“ (Floating Weeds).
Eine reisende Kabuki-Schauspiel-Truppe kommt in die Stadt, doch das Publikum bleibt aus und Veränderungen und Neuanfang scheinen unausweichlich. Mit „Floating Weeds“ hat Ozu ein Remake eines eigenen Films von Mitte der 1930er Jahre gedreht.
Die Farbe der Melancholie
Im Programmheft des Arsenals schreibt Milena Gregor, eine der drei Co-Leiterinnen des Arsenals zur Reihe: „Der Blick auf Ozus sechs Farbfilme und damit auf den letzten Abschnitt seines Schaffens zeigt indes die wichtige Erweiterung seines Instrumentariums um ein Stilmittel, mit dem er nicht nur Geschehen und Stimmungen unterstreicht und kommentiert, sondern uns nicht zuletzt vor Augen führt, dass auch Melancholie eine Farbe hat.“
Mit der Reihe „Ozu in Farbe – Das Spätwerk von Yasujiro Ozu“ macht das Arsenal Berliner Kinogänger_innen zum Jahresende ein Geschenk. Die Filme Ozus sind in ihrer ruhigen Art immer gleichermaßen Gelegenheit zur Selbstreflexion beim Zusehen und Angebot zum Abtauchen, in den Rhythmus und die Struktur der Filme und ihrer Handlung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“