ARD-Serie „Legal Affairs“: Abseits der Carmen-Nebel-Zielgruppe
Die Serie „Legal Affairs“ versucht, modern zu sein. Das gelingt mit ihrer Themenwahl, doch in der Dramaturgie fehlt es an Kniff.
Bei der Filmpremiere klingelt Leo Roths Handy. Es hat ein Busunglück gegeben. Wen vor Gericht vertreten, das Reiseunternehmen oder die Angehörigen der verstorbenen Busfahrerin? Kurz darauf sitzt sie am Konferenztisch ihrer Kanzlei. Nudelboxen auf dem Tisch, Breaking News auf dem Flachbildschirm an der Wand und schnelle Wortwechsel mit dem Team, wie „Pro bono ist wie ein Boomerang“ und „hak mal bei der Kripo nach.“
Die Medienanwältin entscheidet sich, honorarfrei den hinterbliebenen Ehemann vor Gericht zu vertreten. Das hat aber wenig mit Menschlichkeit oder Empathie zu tun – in diesem Fall geht es zwar ausnahmsweise nicht um Geld, sondern um etwas noch Wichtigeres: das Image.
Kalkül spielt die eigentliche Hauptrolle in der ARD-Serie „Legal Affairs“ über die Anwältin Leo Roth (gespielt von Lavinia Wilson). In acht Folgen, bei denen Randa Chahoud und Stefan Bühling Regie geführt haben, geht es darum, die Boulevardpresse zurückzudrängen, Politiker:innen vor Skandalen zu retten und Geschehnisse zum eigenen Vorteil zu deuten. Oder wie Roth an einer Stelle sagt: Es gehe darum, wer „die beste Geschichte“ erzählt.
Pro Folge gibt es einen neuen Fall. Die Themen wirken dabei wie ein Nachgeschmack der letzten Jahre: Da geht es zum Beispiel um Deep Fakes, also die kaum noch nachvollziehbare Manipulation von digitalen Videos, oder um das sogenannte „Institut für rosige Zeiten“, dessen „Satire“ problematische Grenzen überschreitet. Und um deutsche Polizei, die extrem verspätet auftaucht, als Migrant:innen von Rechtsextremen angegriffen werden.
Nicht nur die aktuellen Themen, sondern auch der Vorspann mit seinen hippen Berlin-Bildern und die rastlose, dokumentarische Kamera verraten es: Man will hier hochmodernes Fernsehen machen. Und teilweise gelingt das auch.
Generell überlässt „Legal Affairs“ Scharfsinn und Gefasstheit vollständig seinen weiblichen Figuren. Männer – sei es der Innensenator mit der Affäre oder der Promi-Klient – sieht man meist im aufgelösten, selbstmitleidigen Zustand.
Wie Leo Roth sich Gehör verschafft, wenn die Diskussion mal hitzig und unübersichtlich wird, oder schnell einen Mitarbeiter rausschickt, als sie unter einem Schwächeanfall leidet, damit der sie nicht in einem verletzlichen Zustand sieht, zeigt sie als wahre Führungspersönlichkeit, wenn man es positiv ausdrücken will. Denn es wird auch nicht davor zurückgeschreckt, Roth moralisch sehr fragwürdig zu zeigen.
Jede Episode folgt einem Muster
Leo Roth ist eine gelungene Frauenfigur, die nicht in einer der Schubladen „Cruella de Vil“ oder „Girlboss“ verschwindet, sondern in der wenigen Freizeit, die „Legal Affairs“ ihr gönnt, eine ambivalente Persönlichkeit entwickelt, mit der man trotz ihrer Abgebrühtheit mitfiebert. Das ist ein erstaunlicher Drahtseilakt.
Bei all den erfrischenden Entscheidungen, die „Legal Affairs“ getroffen hat, fällt eine entscheidende Schwachstelle auf: dass in jeder Folge genau ein Fall abgeschlossen wird, wirkt altbacken, analog, etwas Schwarzwaldklinik. Moderne Serien erzählen meist folgenübergreifend. Sie wissen, dass Entschleunigung dazugehört, stille Momente, in denen Zuschauer:innen durchatmen können.
Das gibt es bei „Legal Affairs“ nicht. Weil jede Folge dem gleichen Muster folgt – nämlich Wendung, Wendung, Auflösung – kann das Bingen dieser Serie etwas nervös machen und gleichzeitig ermüden, denn es passiert alles in einem rasanten, aber wiederkehrenden Rhythmus.
Im Minutentakt klingelt das Handy und Roth ist im Auto, um die nächste Katastrophe abzuwenden. Die Kamera bleibt immer auf Roth selbst gerichtet, die Haupt- und Nebenhandlung allein auf ihren eleganten Schultern trägt. Nie wird mal in die Angelegenheiten der anderen Figuren abgeschweift. Man wundert sich deshalb auch nicht, als die Anwältin schon in Folge zwei auf dem Laufband zusammenbricht.
„Legal Affairs“, ARD-Mediathek, acht Folgen
Legal Affairs wird „online first“ in der ARD-Mediathek gezeigt und ist mit Sätzen wie „Sperma, Blut, Schweiß, Tränen, alles klar, aber wenn Scheiße dazukommt!“ Und „Dein Fick, wie heißt sie?“ wahrscheinlich nicht auf die Carmen-Nebel-Zielgruppe ausgerichtet, die sich noch nach dem klassischen Fernsehprogramm richtet. Da kann es zum Problem werden, wenn „Legal Affairs“ am besten einmal wöchentlich wie ein Tatort funktioniert und nicht im mehrstündigen Stream, wie junge Leute heutzutage Serien schauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!