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Journalistische FormateWiederentdeckung des Newsletters

Plötzlich zahlen Menschen gern für Newsletter. Sie sind niedrigschwelliger als klassischer Journalismus. Doch fehlt es an redaktioneller Kontrolle.

„Send Mail“ Foto: Paula Winkler/imago images

Bestellbestätigungen, Rechnungen und Werbung – jahrelang landete bei den meisten vermutlich nichts anderes mehr im privaten Mailpostfach. Persönliche Nachrichten werden schon lange nicht mehr per E-Mail verschickt, sondern über Messenger oder DMs. Seit einiger Zeit aber gesellen sich in den Postfächern zu den unliebsamen Mails immer mehr Newsletter. Laut der aktuellen Onlinestudie von ARD und ZDF lesen mittlerweile 21 Prozent der über 14-Jährigen in Deutschland mindestens einmal pro Woche einen Newsletter.

Große Medienhäuser verschicken schon länger im Wochen- oder Tagesrhythmus per Newsletter zielgruppenspezifische Inhalte an ihre Leser:innen. Doch in den vergangenen Monaten sind es vor allem Newsletter von Individuen, die sich besonders großer Beliebtheit erfreuen. In den USA – die in solchen Fragen Europa meist ein wenig voraus sind – spricht man schon von einer „independent newsletter revolution“ als Nachfolge der Blogging- und Influencer-Zeit. Die „Individuen“ sind Jour­na­lis­t:in­nen oder Autor:innen, aber auch Promiköch:innen, Sport­le­r:in­nen und nicht berühmte Menschen mit oder ohne „special interests“. Wieso feiert das Medium gerade jetzt ein Comeback?

Ein Teil der Antwort dieser Frage hat sicher mit der Coronapandemie zu tun. Viele Menschen hatten während des ersten Lockdowns wieder mehr Zeit zum Lesen – und auch zum Schreiben. So war es zum Beispiel bei Sophia Hembeck. Seit dem Frühjahr 2020 verschickt die Autorin in ihren Dreißigern jeden Sonntag „The Muse Letter“.

„Ich hatte damals seit Langem mal wieder ein bisschen Zeit und Ruhe. Und weil mir Instagram zu schnell­lebig geworden ist, dachte ich mir, warum nicht ein Medium ausprobieren, bei dem man ein bisschen mehr Raum für seine Gedanken hat“, sagt sie der taz. In ihrem Newsletter erzählt sie dann mal vom Streit mit ihrem Vermieter, ihrer Flug­angst oder warum man auch als Er­wach­se­ne:r noch immer Albträume von der Schule hat. Jeden Sonntag lässt sie rund 2.000 Le­se­r:in­nen an ihrem Alltag in Edinburgh und ihrer Gefühlswelt teilhaben.

Gefühl von Sonntag am Frühstückstisch

Warum aber ein Newsletter und nicht einfach ein Blog? „Für mich hat das Lesen etwas von dem Gefühl, sonntagmorgens mit der Zeitung am Frühstückstisch zu sitzen. Nur jetzt eben mit Laptop oder Handy“, sagt sie. Weil die meisten Newsletter, die sie abonniert, über die Onlineplattform Substack verschickt werden, meldete sie sich auch dort an. Und hier liegt neben der Pandemie die wohl zweite wichtige Ursache für den Erfolg des Newsletters. Das US-amerikanische Unternehmen Substack wurde 2017 gegründet, die Idee dahinter ist simpel: Substack ist eine Plattform zum Bloggen und Verschicken von Newslettern.

Au­to­r:in­nen können entscheiden, ob sie ihre Inhalte kostenlos oder gegen Bezahlung im Abomodell anbieten möchten, Substack behält zehn Prozent der Einnahmen ein. Die Abokosten können von den Au­to­r:in­nen selbst festgelegt werden und liegen in der Regel zwischen 5 und 15 Dollar pro Monat. Substack verspricht, in keiner Form Einfluss auf die Inhalte auszuüben. Die Un­ter­neh­me­r:in­nen verstehen Substack dabei als neue Heimat für den Journalismus, bei dem die Au­to­r:in­nen gut bezahlt werden. Die inhaltliche Ausrichtung der Newsletter ist breit: Es gibt Cocktailrezepte ebenso wie Analysen der US-Politik, Vorhersagen, wie der Bitcoin sich entwickeln könnte, oder persönliche Essays.

Rettung oder Untergang des Journalismus

Je nachdem, wen man fragt, ist das Unternehmen mit seiner Idee die Rettung oder der Untergang des Journalismus oder gleich eine gravierende Gefährdung der Demokratie. Für wieder andere ist Substack nur ein kurzer Hype oder gleich das neue soziale Medium, das bald alles bestimmen wird. Diese Zuschreibungen sind vermutlich alle etwas extrem, doch klar ist: Trotz zahlreicher Alternativen hat sich Substack mittlerweile als Newsletter-Plattform durchgesetzt. Innerhalb von einem Jahr hat sich die Zahl der zahlenden Abon­nen­t:in­nen laut dem Unternehmen vervierfacht und liegt nun bei einer Million.

Zum Erfolg der Plattform haben auch prominente Jour­na­lis­t:in­nen beigetragen, die sich von ihren vorherigen Arbeitgebern „gecancelt“ fühlten. Dazu zählt Bari Weiss, die 2020 bei der New York Times kündigte, weil sie als konservative Redakteurin keinen Rückhalt im Unternehmen gespürt habe. Andrew Sullivan verließ das New York Magazine aus ähnlichen Gründen. Glenn Greenwald fühlte sich von dem von ihm mitgegründeten Onlinemagazin The Intercept zensiert.

Ungeprüfter Meinungsjournalismus

Und dann ist da noch der NYT-Autor Alex Berenson, dessen Twitterprofil deaktiviert wurde, nachdem er Falschnachrichten über Covid-Impfungen verbreitet hatte. Sie alle schreiben nun schon seit über einem Jahr erfolgreiche Newsletter bei Sub­stack, und zwar ohne eine Redaktion im Rücken, die kritische Nachfragen stellt, redigiert oder Fakten überprüft.

Sarah Roberts, kalifornische Medienprofessorin, kritisiert das. In Sub­stack sieht sie eine „Bedrohung für den Journalismus“. Denn ohne redaktionelle Qualitätskontrolle und Faktenchecking seien die Newsletter lediglich Geldmacherei mit ungeprüftem Meinungsjournalismus. So schrieb es Roberts in einem viel beachteten Thread bei Twitter.

Summen im hohen sechsstelligen Bereich

Dass diese Form der Individualisierung irgendwann auch den Journalismus erreicht, ist erst einmal keine Überraschung. Auch in anderen Branchen hat diese Vereinzelung stattgefunden, ein Beispiel dafür ist die Plattform OnlyFans. Zwischeninstanzen, die mitverdienen oder mitentscheiden wollen, fallen so weitestgehend weg. Das macht die Branchen offener, das Gatekeeping entfällt: Theoretisch gesehen kann jeder und jede so erfolgreich werden, der Einstieg ist niedrigschwelliger. Doch das Problem ist natürlich: Im Journalismus sollte es nicht um einzelne Stars gehen, sondern in erster Linie um faktentreue Berichterstattung.

Weiss, Sullivan, Berenson und Greenwald sind mit ihren Substack-Newslettern überaus erfolgreich und verdienen durch die Abos jährlich Summen im hohen sechs- und niedrigen siebenstelligen Bereich. Vermutlich deutlich mehr, als sie als Re­dak­teu­r:in­nen verdient haben. Damit bilden sie eher die Ausnahme als die Regel. In der Regel können diejenigen von ihren Newslettern leben, die auch schon zuvor berühmt waren. Anders als bei sozialen Medien folgt man auch nicht Hunderten oder Tausenden, sondern eher einer Handvoll Au­to­r:in­nen – und auf die muss man auch erst einmal aufmerksam werden.

Nur eine Form des Journalismus

Substack verspricht auf seiner Website, dass im Schnitt zehn Prozent der Abo­nenn­t:in­nen zahlen. Bei der Autorin Sophia Hembeck sind es eher vier Prozent, und ihrer Erfahrung nach sehe es bei anderen nicht berühmten Newsletter-Schreiber:innen ähnlich aus. Der Newsletter ist also nicht der Hauptbroterwerb – sondern eher ein Nebenprodukt für die Schreibenden. Bei Stars wie der Autorin Roxane Gay sind es dafür 20 Prozent der 36.000 Abonennt:innen, die den Jahresbeitrag von 60 Dollar zahlen. Geld, das sie im Übrigen nicht ausgezahlt bekommt, weil sie – wie einige andere Promis – einen exklusiven Vertrag mit Substack abgeschlossen hat.

Le­se­r:in­nen sind also durchaus bereit, für die Inhalte zu zahlen, die sie konsumieren. Im Kulturbereich leider keine Selbstverständlichkeit. Dass Substack jedoch den Journalismus „zerstören“ wird, wie es manch ei­ne:r vermutet, ist erst einmal genauso unwahrscheinlich wie die Hoffung, dass es ihn „retten“ wird. Denn Meinungsbeiträge sind nur eine Form des Journalismus und Formen wie Reportagen oder investigative Recherchen finden in den Newslettern laut einer Recherche der NYT bislang kaum statt.

Spannendes Experimentierfeld

Zudem haben die Vorwürfe zu fehlenden Kontrollmechanismen zwar durchaus ihre Berechtigung, allerdings kamen die auch schon in den Nullerjahren auf, als plötzlich je­de:r einen eigenen Blog hatte. Und auch die Blogs haben den Journalismus nicht nachhaltig zerstört. Welchen Raum Privatnewsletter im Journalismus einnehmen werden, muss sich noch zeigen. So lange kann man die Wiederentdeckung des Newsletters als spannendes Experimentierfeld verstehen.

So verkündete beispielsweise der Bestsellerautor Salman Rushdie im Oktober, seinen neuen Roman „Quichotte“ als wöchentlichen Substack-Newsletter zu veröffentlichen, zum Abopreis. Und außerdem ist es doch schön, wöchentlich eine nette Mail, einen klugen Gedanken oder einen interessanten Funfact im Postfach zu haben – auf den man nicht einmal antworten muss.

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