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Präsidentschaftswahlen in ChileDämpfer für den Aufbruch

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Die Stichwahl zwischen dem Linken Boric und dem Rechtspopulisten Kast ist ein Wettrennen der Extreme. In jedem Fall droht Chile ein Stillstand.

Unterstützer von José Antonio Kast feiern den Sieg Foto: Ivan Alvarado/reuters

D as Ergebnis der ersten Runde der chilenischen Präsidentschaftswahlen ist ernüchternd. Nach den Massenprotesten vor zwei Jahren und den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung von diesem Jahr schien alles darauf hinzudeuten, dass die alte neoliberale Rechte mit Nähe zur Pinochet-Diktatur wirklich endlich ausgedient habe. Und doch liegt jetzt mit José Antonio Kast ausgerechnet ein durchaus extremer Vertreter gerade dieser Linie zunächst in Führung.

Es liegt jetzt am linken Gegenkandidaten Gabriel Boric, bis zur Stichwahl am 19. Dezember ein Bündnis zusammenzubekommen, das er selbst am Wahlabend schon als „Allianz der Demokraten gegen die extreme Rechte“ betitelt hat.

Das wird ein in Teilen absurdes Wettrennen darum, vor wem die politische Mitte mehr Angst hat: vor einem Boric, den Kast als Kommunisten bezeichnet und ihm unterstellt, Chile auf die Spuren Kubas und Venezuelas setzen zu wollen, oder vor einem Kast, der von sich selbst erklärt, das eigentlich vollkommen diskreditierte neoliberale chilenische Modell aus Diktaturzeiten sogar noch vertiefen zu wollen.

Wie auch immer das ausgeht: Von dem großen Aufbruch, der in Chile in den letzten Jahren doch in greifbare Nähe zu rücken schien, ist das Land offenbar weiter entfernt als vermutet. Sollte Boric am Ende nur mit knapper Mehrheit gewinnen, sind seine politischen Handlungsspielräume gering. Gewänne Kast, würde direkt aus dem Präsidentenpalast gegen die neue Verfassung gearbeitet, die gleichzeitig im Entstehen ist.

Vieles an dieser Konstellation ist sehr spezifisch chilenisch, eines aber nicht: Boric sah sich im Wahlkampf gleich mehrfach genötigt, sich von den Präsidenten Nicaraguas und Venezuelas, Daniel Ortega und Nicolás Maduro, zu distanzieren und sich zu demokratischer Rechtsstaatlichkeit zu bekennen. Das selbsterklärte Linkssein dieser korrupt-autoritären Regierungen ist toxisch für linke Positionen im Rest des Kontinents, auch für jene, die mit den Ortegas, Maduros und Díaz-Canels wirklich nichts am Hut haben.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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2 Kommentare

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  • Boric hin oder her, ich denke die Chilener:innen wird es, wie jüngst USA und Deutschland schaffen, die schwere Konservativ-Neoliberale Decke der Superreichen Eliten etwas abzuwerfen und notwendige Reformen für Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Zusammenhalt starten. Kast brauchen sie dafür sicher nicht.

  • Konkret chilenisch problematisch ist der Zustand der Kommunistischen Partei Chiles, die ja Bestandteil von Boric Liste ist. Neben vernünftigen Persönlichkeiten wie Camila Vallejo und Carol Kariola, die sich öfters kritisch zu den Jurassic Parks der Lateinamerikanischen Linken äußern, dominieren da Aparatschiks und Verbal-Radikalinskis, die den Blödsinn immer noch verteidigen.



    Unter Allende fungierten die Kommunisten ja als realpolitische Bremser gegen radikale Solis bestimmter Teile von Allendes fragiler Koalition. Mit Gladys Marin hatten sie um die Jahrhundertwende noch eine hochintelligente und weitsichtige Vorsitzende. Davon ist heute noch Vallejo und Kariola übrig.



    Ich habe nie geglaubt, dass Boric wirklich eine Chance hat, jetzt viel zu bewegen, aber Kast muss nun wirklich auch nicht sein. Zumindest sein Vater scheint konkret mit der super-brutalen Geheimpolizei und Foltertruppe DINA verbunden zu sein, die Ende der 70er gottseidank v.a. auch auf Druck seitens der USA aufgelöst wurde. www.youtube.com/watch?v=aDbovKqY5fY



    Johannes Kaiser, ein sehr sichtbares Mitglied von Kasts Wahlkampfteam und neuer Abgeordneter in der Camara de Diputados hatte ständig den bekannten Menschenrechtsverletzungen-unter-Pinochet Leugner Hermogines de Arce in seinen youtube Sendungen. Das geht einfach zu weit.



    Aus Chile höre ich privat Dinge wie Ärger über illegale Hausbesetzungen von Migranten, die Chilenen Wohnraum wegnehmen. Ganz vertraue ich den Anekdoten nicht, kann aber sein. Chile ist nicht so geordnet wie viele im Ausland glauben



    Wirklich erstaunen auch die 13% von Franco Parisi, der den ganzen Wahlkampf per Internet aus den USA führte, weil ihn in Chile Prozesse wegen Wirtschaftskriminalität und nicht-zahlen von Unterhaltszahlungen an die Mutter eines Kindes erwarten. Nachdem sich die Gesellschaft 4 Jahre über die wohl betrügerischen Geschäftspraktiken Pineras aufregt, wird so ein Vogel mit 13% gewählt...