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EU-Minister streiten über AtomkraftGas-Zoff erreicht Klimapolitik

Die EU-Energieminister einigen sich nicht auf Maßnahmen gegen teure Energie. Stattdessen streiten sie über die Rolle der Atomkraft für Klimapolitik.

Kostbare Flamme: Gas beim Kochen Foto: Rainer Weisflog

Brüssel taz | Der Streit über die steigenden Gas- und Strompreise in der EU läuft aus dem Ruder. Nach stundenlangen ergebnislosen Verhandlungen beim EU-Gipfel letzte Woche in Brüssel zeigten sich am Dienstag in Luxemburg auch die Energieminister tief gespalten. Das ist an sich kein Problem. Die EU-Kommission hat eine „Toolbox“ vorgelegt, aus der sich die 27 Mitgliedsländer im Kampf gegen die Krise bedienen können.

Doch die Uneinigkeit bei der Energie strahlt auf die Klimapolitik aus. Mittlerweile ringen die EU-Länder nicht mehr nur um Maßnahmen gegen den Preisschock, sondern auch um die Rolle der Atomkraft und den „European Green Deal“.

Es habe eine „intensive Debatte“ über die Rolle der Atomkraft gegeben, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson nach dem Krisentreffen in Luxemburg. Nukleare Energie werde von den meisten EU-Staaten „als eine kohlenstoffarme Energiequelle anerkannt, aber die Meinungen über die potenzielle Auswirkung auf die umweltpolitischen Ziele gehen auseinander“, so Simson.

Beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche hatte sich erstmals eine Mehrheit dafür ausgesprochen, die Atomkraft als „grünen“ Energieträger zu werten und in einer sogenannten Taxonomie der förderungswürdigen Energien zu empfehlen. Nach dem Gipfel sprach sich dann auch noch Kommissionschefin Ursula von der Leyen für Kernkraft und Gas als „sichere Brückentechnologien“ aus.

Atomkraft als Strategie gegen den Klimawandel

Damit ging sie auf Frankreich zu, das den Ausbau der Atomkraft als Teil der europäischen Strategie gegen den Klimawandel betrachtet. Deutschland, Österreich und einige andere EU-Länder lehnen diese Einschätzung ab, verweisen auf Risiken und Nebenwirkungen der Kernenergie und blockieren die seit Wochen überfällige offizielle EU-Empfehlung.

Deutschland warnt vor übereilten Eingriffen in den Markt

Deutschland und acht weitere EU-Länder stehen auch bei der Reform des Energiemarktes auf der Bremse. Für eine solche Reform macht sich vor allem Spanien stark. Hintergrund ist der gestiegene Preis für Gas, das Spanien vorwiegend auf dem volatilen Spotmarkt einkauft. Es könne nicht sein, dass ein hoher Gaspreis sofort auf den Strompreis durchschlägt, heißt es in Madrid. In Paris sieht man das ähnlich.

Demgegenüber warnt Deutschland vor übereilten Eingriffen in den Markt. „Transparente und wettbewerbsfähige Märkte“ seien der Garant für wettbewerbsfähige Preise für die Endverbraucher, heißt es in einem Positionspapier, das die scheidende Bundesregierung vor dem Ministertreffen in Luxemburg verteilt hatte.

Gegen Debatte über „Nord Stream 2“

Statt die Märkte zu regulieren, solle die EU den Ausbau erneuerbarer Energien fördern. „Ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz werden die Importabhängigkeit der EU reduzieren und einen wertvollen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten“, erklärte der deutsche Staatssekretär Andreas Feicht. Allerdings hinkt Deutschland bei den Erneuerbaren europaweit hinterher; zudem ist das größte EU-Land von Gasimporten aus Russland abhängig.

Eine Debatte über die Gaspipeline „Nord Stream 2“ konnte Berlin bisher abwehren, doch die EU-Kommission will untersuchen, ob der russische Gaskonzern Gazprom den Wettbewerb behindert. Die Sorge über Manipulation oder Spekulation im Gasmarkt sei verbreitet, sagte Energiekommissarin Simson. Gazprom weist jede Schuld von sich – und verweist auf den Spotmarkt in den Niederlanden, wo die Preise zuletzt explodiert sind.

Ein weiteres Streitthema ist der EU-Klimaplan „Fit for 55“ und die darin ab 2026 vorgesehene Ausweitung des Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude. Die Ampelkoalition in Berlin hat sich bereits für dieses Vorhaben ausgesprochen. Entschiedener Widerstand kommt aber aus Ungarn, Polen und Tschechien.

Die Pläne aus Brüssel würden Energie noch teurer machen und „die europäische Mittelschicht umbringen“, warnte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán beim EU-Gipfel. Wenn er Ernst macht, dann wird auch „Fit for 55“ zum Zankapfel – und damit die gesamte EU-Klimapolitik.

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7 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Berliner Erdgasspeicher wurden zum 01.04.2017 eingestellt.



    Das war dumm!



    Damit hätte man den Preis prima regulieren können.



    Wer keine Reserven/Lager anlegt, muss halt den aktuellen Preis zahlen.

  • Aus der Kernkraft, der nachweislich sowohl sichersten als auch saubersten Energegewinnungsmethode gegenwärtig verfügbar, auszusteigen wäre ja reichlich blöd. Man steigt also übereilt aus, trotz des Klimawandels, um dann massenhaft Landwirt*innen im "entbürokratisierten" Eilverfahren ("die FDP-Handschrift macht sich gut in dieser Konstellation", denkt sich das Supermegahyperumweltministerium), auch angesichts desselben Wandels, zu enteignen. Wenn's um den politischen Gegner geht, kann man dann schonmal RWE-Methodik auspacken, nicht wahr? Entscheidend ist doch wer es tut und wofür und nicht etwa auch das Mittel, oder? Diese Kette falscher Entscheidungen und das autoritäre Zustopfen von Löchern, die woanders wieder aufpoppen, geht mir auf die Nerven. Also was nun? Schnellstmöglich wieder in die Kernenergie einzusteigen wäre hier zumindest mal ein Anfang.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @BazaarOvBirds:

      Aus der Kernkraft, der nachweislich sowohl sichersten als auch saubersten Energegewinnungsmethode gegenwärtig verfügbar, auszusteigen wäre ja reichlich blöd.

      Tschernobyl, Fukushima - schon mal gehört?



      Die Ursachen von Störfällen, die zur Katastrophe führen, kann vielfältig sein.



      Jeder, der ein wenig Verstand hat, weiß, dass die Kernkraft die teuerste Lösung darstellt. Sie gehören offenbar nicht zu dieser Gruppe.

      • @17900 (Profil gelöscht):

        Die Anzahl der Todesopfer der Kernenergie pro erzeugter Kilowattstunde unterschreitet, trotz Katastrophen (deren Wirkung übrigens häufig überschätzt wird), jede andere Form der Energiegewinnung.

        • 1G
          17900 (Profil gelöscht)
          @BazaarOvBirds:

          Sie behaupten, das wäre eine sichere und saubere Energiegewinnungsmethode.



          Sind sie Hellseher und können wenigstens 100 Jahre in die Zukunft schauen?

          Ich habe es erlebt, wie man ganze Aquifere vergiftet hat. Grund waren krebserregende Lösungsmittel, die man in den 60er Jahren für die Reinigung von Machinen eingesetzt hat. Soviel zur zeitnahen Voraussicht.

          Aber allein aus Kostengründen ist Kernkraft ein no-go.



          Es sei denn man folgt dem alten Prinzip "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren".



          Auch das Betreiben eines Endlagers für radioaktive Stoffe, das wenigstens über Jahrhunderte betrieben werden muss, sprengt schon jegliche Kalkulation!

  • Atomkraft nun endlich wieder als Allheilmittel? Und wenn es soweit ist, erinnern wir uns wieder der bis heute nicht gelösten Probleme einer dauerhaft und gefahrenlosen Entsorgung? - Brückenlösungen, z.B. Gas, bis wir endlich bereit sind, die erneuerbaren Varianten voll auszuschöpfen. Wir müssen gar nicht über die Grenzen schauen, wir haben bereits im eigenen Land Probleme bei beiden Varianten; Bayern will keine Atommüllagerungen, es will aber auch keine Stromtrassen zur Verteilung der erneuerbaren Energie. Wozu dann die ganzen Diskussionen?

  • Während in Deutschland ein paar Tausend und in den anderen Ländern der EU ein paar Hundert Menschen für das Klima "streiken" bereiten die Regierungen der EU Staaten gerade das Comeback der Kernkraft und Supersubventionen für fossile Energieträger vor und setzen sie in Windeseile durch.

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