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„Bring mich nach Hause“ im ZDFEin beherztes Plädoyer

Ein Film zum Thema Wachkoma bezieht eindeutig Stellung: Zu Sterbehilfe, Gerätemedizin und gegen die Geschäftsmodelle von Pflegedienstleistern.

„Ungleiche Schwestern“ hat man oft im Fernsehfilm. Aber hier geht es um Sichten auf Leben und Tod Foto: Hannes Hubach

Es geht los wie in einem TV-Fami­lienfilm, und das ist es in gewisser Weise ja auch. Zwei Schwestern, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten – oder es eben nur in einer Seifenoper sind. Ulrike (Silke Bodenbender) lebt in ihrem Heimatdorf, mit Mann und Kindern und dem lieben Gott, an den sie ganz fest glaubt. Sandra (Anneke Kim Sarnau) hingegen ist ausgezogen in die große Stadt, wo sie gerade Karriere als (Natur-)Wissenschaftlerin macht. Die Schwestern haben sich nicht viel zu sagen, ihre Leben haben nicht viel miteinander zu tun.

Bis beide sich hoffnungslos in denselben Chefarzt verlieben …

Nein, Spaß, tun sie nicht, denn in diesem Genre sind wir dann doch nicht. Die Liebe der beiden Schwestern wird auf viel weniger romantische Weise auf die Probe gestellt. Durch ihre Mutter, die im Koma liegt. „Selbst wenn Ihre Mutter aufwachen sollte“, heißt es im Krankenhaus. „wird sie nicht wieder zu Bewusstsein kommen. Sie wird in jedem Falle schwer hirngeschädigt sein. Das geht in der Regel mit einer extrem geringen Lebensqualität einher.“

Wie geht man mit so einer Nachricht um? Ulrike maximal emotional und arg unbedarft; Sandra so sachlich wie möglich, so skeptisch wie nötig. Ihre Reaktion, als die Mutter (Hedi Kriegeskotte) die Augen öffnet, könnte gegensätzlicher nicht sein: Ulrike hofft das Beste – Sandra ahnt das Schlimmste. „Was bist du, ohne Bewusstsein?“, fragt Sandra. „Ein lebendiges Wesen, das Gott genauso liebt“, antwortet Ulrike. Ihren Kindern versichert sie: „Ganz sicher geht es ihrer Seele gut. Ganz sicher.“

Geld spielt eben eine Rolle

Der Film

„Bring mich nach Hause“, am Montag, 25.10., um 20.15 Uhr im ZDF

Da ist der Streit etwa um die monatlichen Leasing­raten für ein Auto, das die Mutter nie wieder fahren wird, vorprogrammiert. Geld spielt eben eine Rolle. Im Krankenhaus kann die Mutter in ihrem Wachkoma (nach einer Gehirnblutung) nicht bleiben, eine Patientenverfügung zum Abschalten der Apparate scheint es nicht zu geben, sie soll ins Pflegeheim. „Unser Eigenanteil läge bei mindestens zweitausendfünfhundertirgendwas Euro im Monat“, rechnet Ulrikes Mann ihr vor.

„Bei uns menschelt es richtig doll. Diese Medizin bewirkt oft mehr als jede Pille“, nährt die Leiterin des Pflegeheims ihre Hoffnung. Sie tut das auch noch, als die Mutter immer mehr an Gewicht verloren und ein offenes Druckgeschwür entwickelt hat, als ihr sämtliche Zähne aus dem inzwischen verfaulten Kiefer gezogen werden müssen: „Wir finden, dass sich Ihre Mutti gut eingelebt hat. Also, soweit man natürlich davon sprechen kann.“ Und: „Also erst mal muss ich Ihnen sagen, dass Ihre Mutti eine ganz tolle Persönlichkeit hat. Das überträgt sich auf jeden, der ihr Zimmer betritt.“

Es gibt da in dem Pflegeheim auch noch eine Pflegerin, die den Traumfänger, den der Enkel seiner Oma gebastelt hat, in den Papierkorb wirft mit den Worten: „Du, das ist ein dummer, heidnischer Brauch. Das braucht deine liebe Oma hier gar nicht. Hier passt der liebe Gott auf sie auf.“ Unterm Arm trägt die Pflegerin dabei eine Illustrierte mit dem Titelthema: „Herzhafte Hack-Diät“.

Das kann man schon mehr als nur leicht übertrieben nennen, es soll aber kein Slapstick sein. Dieter Hallervorden gehört nicht zum Cast, ebenso wenig hat sich hier Til Schweiger das Thema Wachkoma als Fortsetzung zu seiner Alzheimer-Schmonzette „Honig im Kopf“ ausgesucht. Der Film von Christiane Balthasar (Regie) und Britta Stöckle (Buch) will nicht warmherzig sein. Er ist eine eindeutige Stellungnahme, ein beherztes Plädoyer: für die Sterbehilfe, gegen die Gerätemedizin und das Geschäftsmodell der Pflegedienstleister. Ulrike, und das ist ihr Zweck in dieser lehrfilmhaften Versuchsanordnung, exerziert mit ihrem Einlenken auf die Linie der Schwester am Ende vor, was richtig ist – und was von Anfang an falsch war. Damit es auch der letzte Zuschauer noch begreift.

Und es könnte natürlich sein, dass es wirklich richtig ist.

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