Die Wahrheit: Die irische Invasion Kanadas
Die Kanada-Woche der Wahrheit: Von der grünen Insel marschierte man nicht nur ein, als Kanada noch britisch war. Eine kurze Geschichte des Scheiterns.
D ie Kanadier sind Pechvögel. Fast wären sie Iren geworden und hätten Guinness trinken können, aber stattdessen müssen sie mit Ahornsirup vorlieb nehmen. Die Fenian Brotherhood, ein Vorläufer der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), der aus Veteranen des US-amerikanischen Bürgerkriegs bestand, hatte ab 1866 immer wieder versucht, Kanada zu besetzen.
Der Plan war einfach: Zunächst wollte man Ontario einnehmen. Dort würde man ein paar Schiffe kapern, den St.-Lawrence-Strom hinaufsegeln und Quebec unterwerfen. Danach wollte man Königin Viktoria anbieten, Kanada unter der Bedingung wieder herauszurücken, dass sie im Gegenzug Irland in die Unabhängigkeit entließ. Um die Invasion zu finanzieren, hatten die Fenier Schuldverschreibungen ausgegeben.
Am Ende scheiterte die Sache. Es hatten sich lediglich 1.000 Mann gemeldet, viele hatten ihre Waffen zu Hause vergessen, andere desertierten, bevor der erste Schuss gefallen war. Dem Rest gelang es immerhin, ein Zollhäuschen und Fort Erie einzunehmen. Das Fort, so berichtete die englische Times höhnisch, bestand lediglich aus einer abgebrannten Kornmühle und einem Wohnhaus.
Irgendwann schickte die US-Regierung ein paar Soldaten, um den Aufstand zu beenden. Die Demokratische Partei in New York musste Geld spenden, damit die geschlagenen Iren Bahnfahrkarten für den Rückzug aus Kanada kaufen konnten. Trotz dieser Demütigung versuchten sie es immer wieder.
Sie marschierten in Kanada ein, als es eine britische Kolonie war, und sie marschierten dort ein, als es ein Dominion mit gewisser Eigenständigkeit war. „Fünf Jahre lang, von 1865 bis 1870, wusste morgens kein Kanadier, der nur einen Tagesmarsch von der US-Grenze entfernt lebte, ob ein irischer Stoßtrupp mal wieder das lokale Postamt besetzt hatte“, schrieb das Postmedia Network.
Einmal gab es sogar eine Erfolgsmeldung: Bei der Schlacht von Ridgeway unterlag die kanadische Miliz vorübergehend, weil ihr Kommandant, der spätere Premierminister John A. Macdonald, zu betrunken war, um die Depeschen mit den Angriffswarnungen zu lesen.
Die Iren waren aber nicht nur wegen der ständigen Invasiönchen in Kanada unbeliebt. Nach der irischen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts waren Zigtausende nach Kanada geflohen, wo sie „unsere Armenhäuser und Gefängnisse“ füllten, wie die Zeitung The Globe indigniert schrieb.
Seitdem haben sich die Iren kaum Freunde in Kanada gemacht. Heutzutage sind es die irischen Studenten, die im Sommer in Vancouver einfallen, in den Clubs auf die Tanzfläche pinkeln, in Kneipen und Pensionen die Zeche prellen und rund um die Uhr voll wie die Nattern sind. Vielleicht hatten die Kanadier damals doch eher Glück, dass ihr Nationalgetränk nicht Guinness, sondern Ahornsirup geworden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“