Tod für alle

Auf Kampnagel startet das doppelt inklusive Stück „Welt ohne uns“

Von Jan-Paul Koopmann

Nun ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Brüder Grimm Inklusion und performative Künste im Sinn hatten, als sie die Erzählung vom „Gevatter Tod“ in ihre Märchensammlung schrieben. Sie wissen schon, die vom Sensenmann, „der alle gleichmacht“. Bestreiten lässt sich die Nähe aber kaum: zwischen Diskursen über Tod und Gleichberechtigung, zwischen ideellem Wert des Lebens und den ganz anderen herrschenden Realitäten.

„Welt ohne uns“ ist ein Theaterstück über den Tod und wird am heutigen Mittwoch seine Uraufführung auf Kampnagel erleben. Eine inklusive Produktion ist es gleich auf zwei Ebenen. Zum ersten Mal haben hier nämlich die Gruppen „Meine Damen und Herren“ (aus Theaterschaffenden mit und ohne Behinderung) und das altersübergreifende Kollektiv „Masters of the Universe“ (Motu) zusammengearbeitet.

Beide bringen Menschen auf die Bühne, die dort sonst in der Regel nicht angemessen repräsentiert werden. Einig sind sich beide Gruppen allerdings auch darin, dass das allein noch längst nicht reicht: Beide verstehen sich weniger als Sozialprojekte, denn als Kunstschaffende auf der Höhe der Zeit. So ist schon der Ansatz von „Welt ohne uns“ nicht nur durchdrungen von Performance- und Körperwissen, sondern reflektiert stets auch die Bedingungen der eigenen Entstehung.

Das ist fraglos ein Gewinn für die Darstellenden, aber sind solche Überlegungen auch interessant fürs Publikum? Vorsichtig prognostiziert: ja. Denn auch wenn vordergründig der Witz und die schon beim Vorgespräch überbordende Spielfreude der Ak­teu­r:in­nen im Mittelpunkt stehen (ganz zu schweigen von der meterhohen Eisstielpalme, einem Schlauchboot voller Schlamm, dem rituellen Essen der Totenasche oder der Tatsache, dass in dem modrigen Boot später auch noch gebadet wird) – entscheidender ist doch das angepeilte ­Abstraktionsniveau dieser Arbeit.

Es sei nie darum gegangen, sagt Mark Schröppel von Motu, „zu einer einheitlichen Todesreflexion zu finden“. Vielmehr sei über das gemeinsame Philosophieren, Spielen und die kollektive Stückentwicklung „ein gemeinsamer Erfahrungshorizont“ entstanden, aus dem sich die körperlichen Elemente entwickelt haben. Und der ist schwer zu fassen, aber doch auch von außen fühlbar. Und es ist Kopfarbeit: Der inklusiv und gruppenübergreifend besetzte „Regie Think Tank“ hat ­abstrakte Diskussionen in assoziative Bilder verwandelt und sich bewusst gegen Kitsch gestellt, gegen religiöse Vereinfachung oder esoterische Heilsgeschichten. Ob’s geklappt hat, sehen Sie ab heute Abend

„Welt ohne uns“: Uraufführung am Mi, 29. 9., und täglich bis 2. 10., jeweils 19 Uhr, Kampnagel K1, Hamburg