TV-Runde zur Abgeordnetenhauswahl: Sextett statt Triell

In der RBB-“Wahlarena“ treffen die Spitzenkandidaten der im Parlament vertretenen Parteien aufeinander. Klare Gewinner sind dabei nicht auszumachen.

Das Foto zeigt die Spitzenkandidaten der sechs führenden Parteien für die Abgeordnetenhauswahl am 26. September bei der RBB-"Wahlarena".

Das Spitzenkandidaten-Sextett samt Moderatoren im Backstein-Ambiente des E-Werks Foto: dpa

BERLIN taz | Das ist echt Einsatz. Eine Stunde vorher da sein, ein, zwei Minuten die eigene Frontfigur bejubeln und ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen, um dann wieder nach Hause zu gehen und nur im Fernsehen mitzubekommen, was weiter passiert. Dieses Schicksal teilen am Dienstagabend knapp zwei Dutzend Grüne und, doppelt so stark vertreten, der CDU-Nachwuchs Junge Union. Schauplatz: Die Event-Location E-Werk in Mitte zwischen Wilhelm- und Mauerstraße, in der an diesem Abend die Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl bei der RBB-“Wahlarena“ aufeinander treffen.

Ein „Sie kommt!“ eines Vorpostens kündigt die Grüne Bettina Jarasch, die laut bejubelt wird. CDU-Mann Kai Wegner wiederum erwartet von seinen Leuten ein skandiertes „Neustart Berlin“ – wobei sich das „Neustart“ mal ein bisschen wie „Deutschland“ anhört, mal wie „Neustaat“, Titel eines Buchs von Wegners Parteifreund Thomas Heilmann. Aber nein, versichert Wegners Pressesprecher, das sei alles „Neustart“.

Die anderen vier Teilnehmer – Franziska Giffey (SPD), Klaus Lederer (Linkspartei), Sebastian Czaja (FDP) und Kristin Brinker (AfD) –, müssen ohne eigenen Fanclub auskommen. Wobei: Begrüßt wird Brinker durchaus. „Alerta Antifascista“, rufen die Grünen im Rückgriff auf einen Slogan der Antifa-Bewegung. Und in Ermangelung eigener Unterstützer erbarmen sich die Grünen auch des Linkspartei-Spitzenkandidaten Lederer: Den beklatschen sie und ermutigen ihn, mit Rot-Rot-Grün weiter zu machen – was vergangene Woche schon die Nachwuchsorganisationen von SPD, Linkspartei und Grünen von ihren Mutterparteien forderten.

Die folgenden zwei Stunden drinnen legen allerdings nahe, dass es nicht in Lederers Hand liegt, ob es mit Rot-Rot-Grün weiter geht. Drinnen heißt: In dem Fernsehstudio, das der RBB im Backsteinlook des E-Werks – früher Umspannwerk und Techno-Club – eingerichtet hat, und wo die sechs Kandidaten nun an Stehtischen vor 75 Zuschauern stehen.

Unterhaltsam trotz sperrigen Formats

Denn bei den Themen Enteignung, Randbebauung des Tempelhofer Felds und Videoüberwachung liegen Lederers Linkspartei und die derzeit in den Umfragen führende SPD von Giffey weit auseinander.

Der Abend verläuft überraschend unterhaltsam angesichts des sperrigen Formats, sechs Spitzenkandidaten der besseren Vergleichbarkeit halber zu allen Themen zu Wort kommen zu lassen. Zeitweise entwickelt sich zumindest kurz ein Dialog zwischen den drei Frauen und drei Männern an den Stehtischen. Die Fragen kommen dabei, teils nach kurzen einführenden Filmen, vorwiegend von Zuschauern. Wobei die Einspieler allerdings teils arg zuspitzen: Ein zwischen Kladow an der äußersten südwestlichen Stadtgrenze und Treptow zur Arbeit pendelnder SUV-Fahrer als Beispiel für eine nicht optimale Verkehrsinfrastruktur auszusuchen, wirkt nicht ganz glücklich.

Auffällig unauffällig gibt sich an diesem Abend AfD-Kandidatin Brinker, von Regierungschef Michael Müller (SPD) vergangene Woche im Parlament noch hart wegen fehlender Abgrenzung zur Parteiströmung „Flügel“ kritisiert. Kein Wort kommt nun von ihr zu Flüchtlingen und Asylbewerbern. Und als erste Aktion nach der Wahl würde sie sich als Regierungschefin ganz nüchtern den Landeshaushalt angucken.

Auch was Brinker über Radverkehr sagt, klingt so anders als das AfD-Wahlprogramm, das vor einer „ideologischen Überdimensionierung des Radverkehrs“ warnt und wo nur allgemein von gefahrlosen Fuß- und Radwegen die Rede ist: Von Radrouten durch Nebenstraßen spricht Brinker stattdessen – so etwas aber steht nicht in ihrem Wahlprogramm, sondern in dem von FDP und CDU. Doch Widerspruch im Stile von Müllers Kritik von vergangener Woche regt sich an den Nachbartischen nicht.

Pressesprecher könne glätten

Als Journalist sitzt man derweil nicht im Studio, sondern im sogenannten „Pressezentrum“, zwei eher sterilen Nebenräumen im Obergeschoss, wo man das Ganze im Fernsehen verfolgen kann, wie mutmaßlich die inzwischen längst abgezogenen Grünen- und CDU-Unterstützer. Immerhin sitzen im Raum auch die Presseleute der Kandidaten – was den Vorteil hat, schnell nachfragen zu können, ob diese oder jene Aussage nun ein neuer Dreh ist.

Etwa, als Klaus Lederer zum Tempelhofer Feld sagt, angesichts von Platz für 200.000 Wohnungen an anderer Stelle sei das Feld „nicht das Erste, was wir bebauen müssen.“ Nicht das Erste? Aber vielleicht das Zweite oder Dritte? Die Parteisprecherin schüttelt den Kopf und verweist aufs Wahlprogramm der Linkspartei, wo über das Feld steht: „Als Ganzes frei zu halten.“

Beim Thema Videoüberwachung, wo die Moderatoren Differenzen zwischen SPD und FDP erwarten, gibt es hingegen zwischen zwei möglichen Partnern einer künftigen rot-schwarz-gelben Koalition keine Kluft. Mit der Einschränkungen „temporär“ hat FDP-Spitzenkandidat Czaja kein Problem mit der Überwachung, über die SPD-Frau Giffey sagt: „Da muss jedes Mittel genutzt werden.“

Klimaschutz kommt nicht vor

Fazit nach 90 Minuten: Duelle sind spannender als solche Sechser-Runden, aber dazu ist die Lage vor der Abgeordnetenhauswahl zu unklar. Giffey liegt zwar derzeit vorne, in manchen Umfragen auch deutlich. Aber wer hätte ihr gegenüber stehen sollen? Mal lagen in den jüngsten Umfragen die Grünen auf Platz zwei, mal die Christdemokraten. Und auch Lederers Linkspartei war Ende August mit 15 Prozent nicht wirklich abgeschlagen.

Eine Frage bleibt an diesem Abend ungestellt: Mit wem vor allem Franziska Giffey am liebsten regieren würde. Andererseits: Ebenso oft wie fast alle anderen ihre Präferenzen schon klar gemacht haben, hat Giffey in den vergangenen Wochen retourniert, dass sie auf „SPD pur“ setzt.

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hat ganz anderes vermisst: „Über Klimaschutz haben wir gar nicht gesprochen“, sagt sie der taz nach der Sendung, „dazu hätte ich eine Menge sagen können“ – das Thema ist ja auch Punkt 1.1 im Grünen-Wahlprogramm. Und während andere Kandidaten nun mit dem Auto nach Hause fahren, macht sie sich mit ihrem Sprecher durch den gerade pausierenden Nieselregen zu Fuß auf den Weg.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.