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Eine schwierige Liebe

Lehe in Bremerhaven dient den Boulevardmedien als Klischee eines verwahrlosten Stadtteils. Doch da ist mehr. Die Fotografin Miriam Klingl erkundete zwei Jahre lang das andere Lehe

Fotos von Miriam Klingl

Wandel sei besser als Stillstand, sagen die Leute in Bremerhaven-Lehe. Dort wird jetzt lieber nach vorn geblickt. Dabei lebte man lange in der Erinnerung an bessere Zeiten. An damals, als Elvis von Bord ging und Rock ’n’ Roll der Sound der Stadt war. Als die hier stationierten GIs Musikclubs eröffneten und die Zukunft Aufschwung versprach.

Stattdessen aber kamen Dark Wave und eine Krise, die Bremerhaven und besonders dessen Stadtteil Lehe heftig erwischte. Lehe ist jenes Gründerzeitviertel in bester Lage zwischen Innenstadt und Hafen, wo die Weser in die Nordsee mündet. Seit der Wirtschafts- und In­kasso­dienst­leis­ter Creditreform in seinem Schuld­ner­atlas Lehe zum ärmsten Stadtteil Deutschlands erklärte, diente er den Kamerateams von RTL und Sat1 sowie der Bild-Zeitung als Modellquartier für ihren Elendsjournalismus.

In Lehe, wo ein Drittel der 113.557 Ein­woh­ner:in­nen Bremerhavens leben, stehen viele Altbauten leer. Zahlungskräftig zu sein und trotzdem hier zu wohnen ist noch heute ein Statement. Denn viele von denen, die es sich leisten können, pendeln lieber vom rund 50 Kilometer entfernten Bremen oder aus dem ländlichen Umland in die über das Wachstums­imperativ ins Straucheln geratene Stadt. Mit Gentrifizierungsinstrumenten von der Stange jedenfalls komme man hier nicht weit, dafür fehle das Bürgertum, sagt man unter örtlichen Stadtplanern.

Bremerhaven, die Industriearbeiterstadt, ist verarmt. In Lehe verdichtet sich diese Lage. Hier wohnen viele Arbeitslose, Alleinerziehende, Arme. Osteuropäer:innen leben in Wohnungen, in denen sich mehrere Leute ein Zimmer teilen. Ein vermögendes Bürgertum, das in die Häuser investieren könnte, gibt es kaum.

Als es in den 80ern mit der Stadt gerade aufwärtsging, folgten auch schon die Rückschläge: mit der Werftenkrise, der Fischereikrise, dem Abzug der US-Amerikaner. Seit Anfang der 90er Jahre haben rund 10.000 Bremerhavener deshalb ihre Arbeit verloren. Ein Bevölkerungsschwund setzte ein. Bis zu 2.000 Einwohner sind jährlich weggezogen. Rund 5.000 Wohnungen und viele Geschäfte stehen leer. Das verlassene Karstadt-Gebäude in der Innenstadt hat die Stadt jüngst gekauft – um es abzureißen.

Dass Lehe mehr zu bieten hat als Armut und Verfall, spricht sich vergleichsweise langsam herum. Die Berliner Fotografin Miriam Klingl liefert mit ihren Bildern einen Gegenschuss zum Klischee der Verwahrlosung. Im Auftrag der Bremerhavener Kulturkirche hat sie über zwei Jahre hinweg hinter die Fassaden geschaut und Alteingesessene wie auch Pioniere aufgespürt, die sich bewusst zu diesem Stadtteil bekennen.

„Lehe ist stark von seinen Bewohner:innen geprägt“, sagt sie, sie seien Lebenskünstler:innen. Wo Leute sich durch wirtschaftlich schwierige Zeiten und gegen Vorurteile durchschlagen, entstehe ein besonderer Zusammenhalt. Das Ergebnis sei ein behutsamer Wandel, bei dem eine Verdrängung nicht absehbar sei.

Lena Kaiser

Das Fotobuch „Lehe im Wandel“ erscheint am 1. Oktober, am selben Tag ab 19 Uhr gibt es einen Book-Launch in Kooperation mit pavlo’s dog: Sankt Studio, Mittenwalder Straße 15, Berlin; vom 20. Mai bis 17. Juni 2022 ist die Ausstellung in Bremerhaven-Lehe zu sehen

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